Unausgesprochene Missbilligung zerknautscht die Miene von Anja Karliczek bei dem, was sie sich da anhören muss. Freitagvormittag, Bundestag. Gerade hat Karliczek ihre Bafög-Reform vorgestellt, staatstragende Sätze sind gefallen: "Wir stärken Familien mit Kindern in Ausbildung. Wir stärken Leistungsträger unserer Gesellschaft. Wir investieren in die Zukunft." Und nun zerpflücken die Abgeordneten der Opposition gnadenlos, woran sie so lange gearbeitet hat.
Nach einem Jahr im Amt lege Ministerin Karliczek ihren ersten Gesetzentwurf vor, ätzt Kai Gehring von den Grünen, damit habe sie "Horst Seehofer als untätigsten Minister abgehängt". Jens Brandenburg, FDP, haut in die gleiche Kerbe: "Wenn das alles ist, was Ihnen dazu einfällt, das hätten sie auch letzten Sommer schon haben können." Tatsächlich wartet das Projekt Bafög sogar deutlich länger auf Bearbeitung, als die Hotelfachfrau im Ministeramt ist. Die letzte Bafög-Novelle war 2014 beschlossen worden, aber erst 2016 in Kraft getreten und galt Kritikern da schon als veraltet. Seitdem hatte es keine Anpassungen mehr gegeben.
Neben zu niedrigen Förderbeträgen für bedürftige Schüler, Schülerinnen und Studierende bemängeln deren Interessenvertreter, dass es immer weniger Empfänger gibt, heute rund 200 000 weniger als 2012. Die Bemessungsgrenzen beim Elterneinkommen hatten mit der Lohnentwicklung nicht Schritt gehalten. Die Bundesregierung räumte Nachholbedarf ein. Was sie nun vorlegt, um die Lücken zu schließen, sieht so aus: Die maximale Förderung von derzeit 735 Euro steigt bis 2020 schrittweise auf 861 Euro monatlich. Auch die elterlichen Einkommensgrenzen werden günstiger.
Zurzeit beträgt der Grundfreibetrag beim Nettoeinkommen 1715 Euro (Alleinerziehende: 1145 Euro), bis 2021 steigt er in drei Stufen auf 2000 Euro (Alleinerziehende: 1330 Euro). Zufrieden sind damit nur CDU und SPD. Warum nach den Nullrunden der letzten Jahre die Erhöhungen jetzt nicht in einem Rutsch statt kleckerweise kommen, fragt Kai Gehring. Warum das Bafög nicht endlich dynamisiert wird, also automatisch mit der Preisentwicklung steigt, fragt Nicole Gohlke von den Linken.
Der dickste Zankapfel: der Wohnzuschuss
Und warum es nicht die längst überfällige "große Strukturreform" gibt, fragt Jens Brandenburg. "Als gute Service-Opposition haben wir das natürlich jetzt selbst in die Hand genommen", sagt er und erläutert den Antrag der FDP. Elternunabhängig müsse das Bafög sein, schon allein, damit die Eltern bei der Studienwahl keinen Druck ausüben können. Statt ihnen Kindergeld zu zahlen, soll der Staat Studierenden 200 Euro im Monat geben. Plus 200 Euro, wenn sie zehn Wochenstunden jobben gehen, Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Zurückzahlen sollen sie nur, was sie dann noch als flexibles Darlehen aufnehmen, bis zu 1000 Euro monatlich, abzüglich Sockelbetrag. Anja Karliczek kann sich über dieses "Bafög für alle" eingedenk der von Finanzminister Olaf Scholz geplanten drastischen Schrumpfung des Bildungsetats nur wundern: "Wer jeden unterstützen will, unterstützt niemanden mehr."
Aber der dickste Zankapfel in der Debatte ist der Wohnzuschuss. 2016 auf 250 Euro angehoben, soll er nun 325 Euro betragen. 30 Prozent mehr, doch den Kritikern nicht genug: Ein WG-Zimmer in München oder Hamburg bliebe damit den Kindern reicher Leute vorbehalten. Besser wäre eine Staffelung nach Mietenstufen, wie beim Wohngeld für Bedürftige, schlagen die Grünen vor.
Anja Karliczek kann sich über das Gemecker ordentlich ärgern: Das Bafög sei nicht dazu da, das Wohnraumproblem in Großstädten zu lösen. Sie sieht die Länder in der Pflicht. Die müssten mit ihren Mitteln für sozialen Wohnungsbau eben mehr Wohnheimplätze bauen. In Berlin etwa stünden 168 000 Studierenden "weniger als 10 000 Wohnheimplätze" zur Verfügung, schimpft die Ministerin.
Den Studenten, die aktuell unter den hohen Mieten leiden, ist damit nicht geholfen. Doch noch ist das neue Bafög nicht beschlossen. Jetzt hat erst mal der Bildungsausschuss das Sagen.