Einzelhandel:Dübel kaufen nachts um halb drei

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Der Scanner liest spezielle Etiketten an den Waren aus, die Kasse bucht das Geld dann automatisch vom Konto des Kunden ab. (Foto: Maximilian Gerl)

In Vöhringen probiert die Firma Würth ein neues Konzept aus: Die Filiale ist 24 Stunden geöffnet. Nachts kommt man nur mit der richtigen App rein.

Von Maximilian Gerl, Vöhringen

Das Gebäude ist kein Baumarkt. Es ist ein Experiment und der Kunde ist ein Teil davon. Zur Versuchsanordnung gehört, dass vieles aussieht, wie es in einem Baumarkt auszusehen hat, in den Regalen stehen Kisten mit Dübeln und Schrauben, Werkzeug hängt an Haken. Nicht zum üblichen Interieur gehören dagegen die rot leuchtenden Schranken, mannshoch und aus Plexiglas, die den Eingang versperren. Oder das Warenband, das durch einen Tunnelscanner führt, fast wie am Flughafen, nur dass dieser statt Handgepäck die Einkäufe kontrolliert.

Das Experiment steht in Vöhringen, Landkreis Neu-Ulm, 13 000 Einwohner. Normalerweise werden gegen 17 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Außer im Gewerbegebiet vor den Toren der Gemeinde. Dort probiert die Firma Würth aus, wie vielleicht die Zukunft des stationären Fachhandels aussehen könnte: Statt abends zu schließen, bleibt die Filiale einfach geöffnet. Von Montag bis Samstag, 24 Stunden täglich. Nonstop Schrauben-Shopping. Die Mitarbeiter gehen trotzdem um 17 Uhr nach Hause. Für sie übernimmt nachts die Technik, dann läuft alles automatisiert.

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Seit April ist das Experiment im Gange. Mit dem Verlauf ist Versuchsleiter Matthias Glaser zufrieden, er ist bei Würth zuständig für den Bereich Niederlassungsexpansion. Glaser führt durch die Filiale, 4500 Produkte auf 500 Quadratmeter. Das Sortiment des Großhändlers aus Künzelsau in Baden-Württemberg umfasst vor allem Montage- und Befestigungstechnik, ähnlich dem vieler Baumärkte, nur für Baufirmen und Handwerker.

Neben 470 deutschen Niederlassungen gibt es einen Onlineshop, der aber bisweilen an Grenzen stößt. Zum Beispiel, wenn auf der Baustelle dringend ein bestimmtes Teil benötigt wird, auf dessen Lieferung sich nicht warten lässt. Eine fehlende Schraube könne den ganzen Betrieb aufhalten, sagt Glaser.

Die sofortige Verfügbarkeit ist vielleicht das größte Pfund, mit dem stationäre Händler wuchern können. Seit Jahren experimentieren sie mit neuen Formen des Einkaufens, ächzen sie doch unter dem zunehmenden Druck des Online-Handels, der auf Automatisierung, digitale Beratung, riesige Lager und immer schnellere Lieferungen setzt. Der "Würth24" in Vöhringen versucht, von beiden Welten etwas mitzunehmen.

Vereinfacht funktioniert das so: Der Kunde lädt eine App aufs Smartphone und registriert sich. Diese App generiert einen QR-Code, der die Türen zur Filiale öffnet. Die Schranken mit den Scheiben gewährleisten, dass nur eine Person eintritt. Dahinter warten die Regalreihen. Jedes Produkt ist mit einem RFID-Etikett versehen, eine Art weiterentwickeltem Strichcode. Als Kasse fungiert der Tunnelscanner. Er liest die Etiketten aus. Die Ware wird entsichert, eine Rechnung ausgedruckt, das Geld automatisch vom Konto abgebucht. Am Ausgang öffnet sich wieder eine Schleuse, zurück geht es in die Nacht.

"Jede Nacht kommt ein Kunde"

Ein Aufwand, einerseits. Andererseits: Die Entwicklungskosten waren nach Unternehmensangaben überschaubar, Würth tat sich dafür mit dem Ladeneinrichter Wanzl aus Leipheim zusammen. Die Filiale selbst steht ohnehin zu jeder Uhrzeit da, nur dass sie kein Geld verdient, wenn sie geschlossen ist. Außerdem hat sich das Verhalten der Zielgruppe geändert. "Handwerker werden immer mobiler", sagt Glaser, ihre Baustellen seien oft weit weg vom eigenen Betrieb und Lager.

Würth hat ermittelt, dass ein Drittel der Kunden nicht aus der Gegend stammt, in der die von ihnen besuchte Filiale steht. In Vöhringen beläuft sich diese Quote auf 25 Prozent. Viele finden über die Autobahn 7 ihren Weg in den Laden, er liegt direkt an der Ausfahrt. Das neue Konzept habe sich vom ersten Monat an rentiert, sagt Glaser, "jede Nacht kommt ein Kunde." Meist zwischen 19 und 23 Uhr, "aber wir hatten auch schon jemanden, der hat nachts um halb drei Dübel gekauft."

Den meisten Umsatz macht die Filiale weiter tagsüber. Dann ist die Technik ausgeschaltet. Stattdessen gibt es zwei Mitarbeiter und Beratung. Und einige Produkte, die nachts nicht verkauft werden dürfen oder können. Sie sind in einem eingezäunten, nur tagsüber zugänglichen Bereich untergebracht. Für manche Waren fehlen derzeit noch RFID-Etiketten, die das System auslesen könnte. Andere passen nicht durch den Scanner - Schubkarren zum Beispiel. Auch Chemikalien sind nachts nicht verfügbar, ihr Verkauf ist von Rechts wegen nur nach Fachgespräch gestattet.

Würth sieht sich mit dem Konzept auf dem richtigen Weg und will es in weiteren Filialen anwenden. Bald wird es in Stuttgart getestet. Bis dahin dreht der Schraubenhändler an ein paar Schräubchen. "Wir lernen immer noch dazu" sagt Glaser. Künftig wolle man mehr mit Stimmen arbeiten. Der Scanner könnte akustisch Anweisungen geben, wenn etwas beim Etikettenlesen nicht klappt. Eine andere Verbesserung wurde bereits umgesetzt: Musik hallt durch den Laden. Gegen die Stille. Einige Kunden gaben an, es nachts allein im Baumarkt etwas gruselig zu finden.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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