Konsum:Wie wir in Zukunft einkaufen

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Fehlt zumindest in Deutschland noch im Sortiment des US-Versandhändlers Amazon: frisches Obst und Gemüse. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Bisher bestellen sehr wenige Deutsche Lebensmittel im Internet. Nun wird bald Amazon Salat und mehr nach Hause liefern. Das könnte den Markt verändern und auch unser gesamtes Konsumverhalten.

Von Michael Kläsgen, München

Lionel Souque, der künftige Chef der Rewe Group, hat es mal so ausgedrückt: Man stelle sich vor, jemand würde heute mit folgender angeblich großartigen neuen Geschäftsidee auftrumpfen: Wäre es nicht genial, einen großen rechteckigen Kasten, genannt Supermarkt, an die Ausfallstraßen der Städte zu setzen und davor einen großen Parkplatz zu bauen? Dort dürften dann die Kunden parken, oft Mütter mit kleinen Kindern, die dann nach knapp einer Stunde mit ihren genervten Kindern und den Einkäufen in der Schlange an der Kasse stehen. Dann müssen sie das Gekaufte nur noch ins Auto packen und dürfen wieder nach Hause fahren. Geniale Geschäftsidee? Nicht wirklich, keiner würde das heute ernsthaft so nennen. Und doch ist genau das heute die Realität. Souque und viele andere ahnen, dass die Kinder von heute so nicht mehr einkaufen werden, wenn sie groß sind.

Seriös kann niemand wissen, wie sich die Kinder von heute in der Zukunft Essen, Shampoo, Toilettenpapier besorgen werden. Mit großer Sicherheit werden weder Supermärkte noch Drogerien ganz verschwinden. Andererseits: Werden sie wirklich noch Lust haben, jede Woche immer die selben Wege durch immer die selben Läden zu machen, um immer die selben Produkte zu kaufen? Werden sie vielleicht lieber bei Amazon bestellen und sich die Sachen liefern lassen? Wäre doch bequem. An dieser Frage scheiden sich die Geister. Ist es spannend oder wagemutig oder eher halsbrecherisch, dass der US-Versandhändler mit seinem Dienst Amazon Fresh bald auch Obst und Gemüse in Deutschland zustellen will?

Jeder, der schon mal eingekauft hat, ahnt, was für ein gigantischer Markt sich hinter Lebensmitteln und Drogerieartikeln verbirgt. Wenn davon nur ein oder zwei Prozent über das Internet eingekauft werden, geht es hier gleich um Milliardenbeträge, und -gewinne. Und natürlich hat es Amazon, aber nicht nur Amazon, auf diesen Markt abgesehen. Seriöse Studien schätzen, dass in den kommenden fünf Jahren sechs bis acht Milliarden Euro in den Online-Lebensmitteleinzelhandel abwandern könnten. Und das wäre wohl erst der Anfang. Dieser Logik zufolge setzt mit dem Startschuss von Amazon Fresh in diesem Jahr im deutschen Lebensmitteleinzelhandel eine Art tektonischer Erdplattenverschiebung ein.

Supermärkte, die gerade eben noch so Gewinn machen, könnten in die Verlustzone rutschen. Weil das relativ viele sind, könnte jeder siebte in die roten Zahlen geraten. Zehntausende Arbeitsplätze könnten sich in den Onlinebereich verschieben und viele Jobs an der Kasse oder hinter der Theke bedroht sein. So könnte es kommen - muss es aber nicht.

Fresh könnte zunächst einmal nur eine Verlängerung des Amazon-Angebots Prime Now werden, das es bisher nur in Berlin und München gibt. Prime Now beinhaltet das Versprechen, Lebensmittel binnen einer Stunden oder einem frei gewählten Zweistundenfenster zu liefern. Bisher sind keine frischen Lebensmittel darunter, die gekühlt werden müssen. Sondern nur besonders stark nachgefragte Artikel wie Reis oder Nudeln. Zumindest bei diesen Produkten soll der Service einigermaßen wettbewerbsfähig sein. Bei Lebensmittel-Paketen im Wert von etwa 25 Euro soll der Einkauf nicht mal mehr als einen Euro teurer sein als im Supermarkt um die Ecke - und zudem erfolgt die Lieferung frei Haus, hat die Unternehmensberatung Oliver Wyman berechnet.

Besonders umworben sind Gutverdiener mit wenig Zeit

Mit ihren Eigenmarken sollen die großen Lebensmittelkonzerne hingegen noch klar im Vorteil sein. Die wird es, erstens, jedoch bei Amazon vorerst nicht geben. Und zweitens erhöhen sich die Kosten für Amazon, wenn die Kühlkette bis vor die Haustür aufrecht erhalten werden muss. Dann sollen sie pro Lieferung bei drei bis vier Euro liegen. Und das bei den extrem geringen Margen in der Branche. Das macht das Unterfangen also halsbrecherisch. Wobei Amazon Deutschland, anders als ein kleiner Start-up daran nicht zugrunde gehen wird. Wenn sich einer auf dieses Abenteuer einlassen kann, weil er die Größe dazu hat und zunächst nur Marktanteile gewinnen will, dann Amazon.

In den USA und Großbritannien läuft Amazon Fresh bereits, aber dort kaufen auch mehr Menschen online Lebensmittelein; dort ist die Filialdichte der Supermärkte nicht so groß; und dort wird der Markt nicht von zwei großen Discountern in Schach gehalten. Die Discounter, namentlich Aldi, haben die Deutschen dazu erzogen, bei Lebensmittel viel stärker auf den Preis zu achten, als das in anderen Ländern üblich ist. Das Vorhaben von Amazon ist insofern schon deshalb riskant, weil es am sehr speziellen Einkaufsverhalten der Deutschen scheitern könnte.

Die Gewohnheiten ändern sich derzeit. Die Deutschen geben mehr Geld für höhere Qualität auch bei Lebensmitteln aus. Amazon könnte diesen Trend nutzen. Das Angebot wird in erster Linie berufstätige Gutverdiener ansprechen. Und es wird den Druck auf die Kosten weiter erhöhen. Spätestens wenn sich zeigt, dass die Deutschen Fresh nutzen, werden die großen deutschen Lebensmittelkonzerne wie Rewe auch ihren Service verbessern.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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