Wirtschaftsstudie:Bayerns Firmen verlagern ihre Produktion ins Ausland

Lesezeit: 3 min

  • Laut einer Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) konzentrieren sich Bayerns Unternehmen immer mehr auf die Produktion im Ausland.
  • Deutsche Unternehmen würden oft behandelt "wie Verbrecher und Schlachtvieh, denen immer Steine in den Weg gelegt werden", klagt ein bayerischer Firmenchef.
  • Der VBW-Chef droht, dass es zu einer "Abwanderung von Wertschöpfung und Beschäftigung ins Ausland" komme, wenn die "Belastungen der Unternehmen" weiter zunehmen.

Von Florian Stocker, München

Auf den ersten Blick haben Honig, Knochenbrei und Klärschlamm wenig gemeinsam. Felix Kleinert aber sieht vor allem die Gemeinsamkeiten: Es handelt sich jeweils um zähflüssige Substanzen. Wann immer sie irgendwo transportiert werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Kleinerts Unternehmen die Finger mit im Spiel hat: An ihrem Standort in Waldkraiburg produziert die oberfränkische Firma Netzsch für den Transport dickflüssiger Stoffe Schneckenpumpen, die sie in die ganze Welt exportiert.

Und nicht nur in Bayern ist Weltmarktführer Netzsch, der zuletzt einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro erwirtschaftete, vertreten. Zunehmend investiert der Konzern, der auch Niederlassungen in Brasilien, China und Indien betreibt, ins Ausland. Gerade auf den asiatischen Markt haben die Bayern ein Auge geworfen, soeben war Spatenstich für eine neue Firma in China.

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Bayerns Unternehmen konzentrieren sich immer mehr aufs Ausland - das ist auch das Ergebnis einer Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), für die 150 Unternehmen im Freistaat befragt wurden. Demnach hat sich die Investitionssumme bayerischer Industrieunternehmen im Ausland seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt auf 247 Milliarden Euro, im Inland stieg sie dabei nur um rund zehn Prozent.

Laut VBW erwägt jede dritte Firma eine Produktionsverlagerung ins Ausland. Dabei ist die bayerische Wirtschaft schon heute global aufgestellt: Mehr als die Hälfte ihres Umsatzes erzielt sie über den Export, gleichzeitig hat jedes zweite Unternehmen mindestens einen Standort jenseits der bayerischen Grenzen.

"In Europa haben wir de facto kein Wachstum mehr"

So auch der Baumaschinenfabrikant Sennebogen aus Straubing. Neben 750 Mitarbeitern in Straubing und Wackersdorf beschäftigen die Firmenchefs Erich und Walter Sennebogen weitere 400 Mitarbeiter in Ungarn, ihr Jahresumsatz liegt bei insgesamt rund 350 Millionen Euro. Sennebogen baut vor allem große Kräne und verkauft mehr als 80 Prozent der Geräte rund um den Globus.

"Wir brauchen alle Märkte der Welt und kämpfen um jeden Kunden. Ob das der Kranvermieter in Korea, der Minenbesitzer in Australien oder ein Stahlunternehmen in den USA ist", sagt Walter Sennebogen. Gerade bei der Vorproduktion von Einzelteilen denkt auch der niederbayerische Firmenchef "immer wieder über Verlagerungen ins Ausland nach".

Es sind verschiedene Vorteile, die sich die Unternehmer vom Auslandsgeschäft versprechen: Zum einen hoffen sie, am Wachstum ausländischer Märkte stärker teilzuhaben, indem sie dort produzieren. "Gerade in Asien gibt es hohe Wachstumsraten. Diesen Kunden müssen wir folgen", sagt Netzsch-Chef Kleinert. Dagegen verliere der amerikanische und europäische Markt immer mehr an Bedeutung.

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Und auch für Sennebogen werden die Geschäfte mit Südamerika und Asien immer wichtiger: "In Europa haben wir de facto kein Wachstum mehr. Ich erwarte nicht, dass sich das noch einmal ändert."

Auch der direktere Zugang zu Rohstoffen und möglichen Kooperationspartnern im Ausland spielen eine Rolle, aber auch reine Kostenüberlegungen wie etwa Steueroptimierung und günstigere Arbeitskräfte. "Im Ausland ist eine Arbeitsstunde oft nur halb so teuer wie in Deutschland", so Kleinert. Beim Gewinn verzeichnet Netzsch Margen "deutlich im zweistelligen Bereich", bei den deutschen Niederlassungen sei es nur ein Bruchteil davon.

Auslandsproduktion bringt auch Nachteile mit sich

Der Nachteil der Auslandsproduktion: Während bei einer Firma, die sich auf den Export ihrer Produkte beschränkt, immer noch Arbeitnehmer in Bayern beschäftigt und bezahlt werden, bleibt bei der Produktion im Ausland ein Großteil des Geldes dort, wo es erwirtschaftet wird: jenseits der Landesgrenzen.

"Die Ausweitung der Auslandsproduktion ging bisher nicht zulasten der Inlandsproduktion", sagt VBW-Geschäftsführer Bertram Brossardt. Die Firmen beobachteten die Entwicklung der inländischen Standortfaktoren aber "immer genauer und kritischer". Die Politik müsse die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so weiterentwickeln, dass die Wettbewerbsfähigkeit Bayerns erhalten bleibe.

Der VBW-Chef droht: Wenn die "Belastungen der Unternehmen" etwa durch Energiekosten, Steuern und Abgaben sowie durch "Regulierung und Bürokratisierung weiter zunehmen", komme es zur "Abwanderung von Wertschöpfung und Beschäftigung ins Ausland". Entsprechend klagt Firmenchef Sennebogen, deutsche Unternehmen würden oft behandelt "wie Verbrecher und Schlachtvieh, denen immer Steine in den Weg gelegt werden".

Dass es ganz so schlimm um die heimischen Unternehmen nicht stehen kann, lassen indes vorläufige Berechnungen des Landesamts für Statistik erkennen: Demnach verzeichnete die bayerische Wirtschaft erst im Januar 2016 wieder einen Exportüberschuss von mehr als 200 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Brossardt darf sich freilich trotzdem sicher sein, gehört zu werden: Die VBW ist die wohl mächtigste Lobbyorganisation in Bayern und vertritt die Interessen von insgesamt 4,4 Millionen Beschäftigten. Ohne sie ist Wirtschaftspolitik im Freistaat kaum denkbar. Erst im vergangenen Sommer bot Ministerpräsident Horst Seehofer wieder "eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit" an.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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