Wiesentheid:Schwerverletzte Frau im Schlosspark: "Das Netz war voll mit Müll"

Lesezeit: 3 min

  • Unter mysteriösen Umständen wurde im Januar eine junge Frau im Schlosspark in Wiesentheid schwerverletzt aufgefunden.
  • In der unterfränkischen Gemeinde machten schnell fremdenfeindliche Gerüchte die Runde - zu Unrecht.
  • Vor Gericht muss sich ein 19 Jahre alter Mann aus sogenanntem gutbürgerlichen Elternhaus verantworten.

Von Olaf Przybilla, Wiesentheid

Als Paul Graf von Schönborn aus dem Weihnachtsurlaub zurückkam, glaubte er zunächst an Dreharbeiten im Schlosspark von Wiesentheid. Irritiert habe ihn das schon, sagt er, immerhin ist der auch nachts frei zugängliche Landschaftspark in Unterfranken Eigentum der Schönborns, da wäre er zuvor schon gerne informiert worden. Vergessen könne er diesen Tag nicht mehr seither: überall Absperrungen und Uniformierte im Idyll. Aber es gab dort keine Dreharbeiten, vielmehr war der Schlosspark zum Tatort geworden. In den Morgenstunden des 5. Januar hatte ein Spaziergänger in der Nähe des Sees eine schwer verletzte Frau gefunden, ihr Zustand war äußerst kritisch. Dass der Park Ort eines Kapitalverbrechens geworden sein muss, war den Ermittlern bald klar. Auch wenn die 22-Jährige erst Monate später vernommen werden konnte, ihrer lebensbedrohlichen Verletzungen wegen.

Die Stunden nach dem Fund der Frau sind Schönborn, der im angrenzenden Schloss von Wiesentheid wohnt, doppelt schlimm in Erinnerung geblieben. Da war die Studentin, die Tochter eines Mitarbeiters der Schönborns, die um ihr Leben rang. Und da waren die erbärmlichen Spekulationen im Internet, genährt offenbar von Leuten aus der Region. "Das Netz war voll mit Müll", erinnert sich Schönborn, mit Hetze "gegen Ausländer und Moslems". Der Grund dafür war dem Anschein nach eine Asylbewerberunterkunft in der Nähe des Parks. Wenige Tage nach den Übergriffen in Köln fühlten sich Internetnutzer offenkundig hinreichend gut informiert, um willkürliche Verdächtigungen gegen Flüchtlinge in die Welt zu setzen.

Auch der Bürgermeister von Wiesentheid, Werner Knaier, reagierte fassungslos auf die Welle der Mutmaßungen. Als kurz darauf ein dringend tatverdächtiger Mann festgenommen wurde, der nicht im Entferntesten etwas mit der Flüchtlingsunterkunft zu tun hatte, versandte der CSU-Mann eine lange Erklärung an die Medien. "Persönlich erschrocken und enttäuscht", sei er über das, was er da in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke habe lesen müssen. Man habe von Anfang an ein "gutes und freundschaftliches Verhältnis" zu den Somaliern und Syrern im Ort gepflegt, diese seien "bestens integriert und in unserem Ort verwurzelt". Was sie aber in Wiesentheid offenbar nicht vor willkürlichen Verdächtigungen schützte. Er bedanke sich bei allen, teilte der Bürgermeister außerdem noch mit, die sich "an den Spekulationen und Gerüchten" nicht beteiligt hätten.

Festnahme bei Wiesentheid
:19-Jähriger soll Frau im Schlosspark schwer verletzt haben

Nach der Tat hatten fremdenfeindliche Gerüchte die Runde gemacht. Zu Unrecht, wie sich nun herausstellt.

Von Olaf Przybilla

Vor Gericht wird sich kein Asylbewerber aus Wiesentheid verantworten müssen, sondern ein 19 Jahre alter Mann aus sogenanntem gutbürgerlichen Elternhaus, der noch kurz zuvor die Schulbank gedrückt hatte. Er ist der Ex-Freund der 22-Jährigen und stammt aus dem Landkreis Kitzingen. Nach seiner Festnahme im Januar hat er die Tat Ermittlern gegenüber inzwischen eingeräumt, jedenfalls im Grundsatz. Mit einer Anklage sei in den kommenden Wochen zu rechnen, sagt Boris Raufeisen, Leitender Oberstaatsanwalt in Würzburg. Anklage erhoben werden soll demnach auch gegen einen 18-jährigen mutmaßlichen Komplizen, der dem Hauptbeschuldigten bei der Tat geholfen haben soll. Er bestreitet, über den Plan des 19-Jährigen Bescheid gewusst zu haben.

Dem 19-Jährigen wird vorgeworfen, seine Ex-Freundin in den Park gelockt und dort mit einem Messer mehrfach auf sie eingestochen zu haben, unter anderem in den Hals. Der Kontakt zu ihr soll über SMS zustande gekommen sein. Möglicherweise war daran auch ein dritter, nichts ahnender Mann beteiligt, der im Verfahren nicht als Beschuldigter gilt. Was den 19-Jährigen zu der ihm vorgeworfenen Tat bewogen haben könnte, bleibt auch ein halbes Jahr danach rätselhaft. Einen Anhaltspunkt aber gibt es: Einer, der mit dem Fall beschäftigt ist, sagt, für den 19-Jährigen sei innerhalb kürzester Zeit vieles in seinem Leben zu Bruch gegangen.

Unter Mitschülern galt er als Einzelgänger und "Strebertyp". Er soll sich in der Realschule gemobbt gefühlt und darunter psychisch gelitten haben. Aus dem Elternhaus zog er offenbar im Streit aus und lebte stattdessen in einer wenig erstrebenswerten Unterkunft in Würzburg. Nach der Schule bekam er für kurze Zeit einen Job, verlor ihn aber wieder. Die Beziehung mit seiner Freundin ging in die Brüche. Einlassungen des 19-Jährigen in der Untersuchungshaft sollen sich so deuten lassen, dass er die Ex-Freundin für seine Malaise verantwortlich gemacht habe. Er habe aber bereits mehrere Versionen seiner Geschichte und des Tathergangs geliefert.

Den "objektiven Sachverhalt" habe der 19-Jährige jedoch inzwischen grundsätzlich eingeräumt, sagt sein Anwalt Jan Paulsen. Folglich auch, dass er geplant habe, seiner Ex-Freundin was anzutun. Das psychiatrische Gutachten stehe aber noch aus, dies werde für den Prozess ebenso relevant sein wie die Frage, ob sich der 19-Jährige nach Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht verantworten müsse. Kursierenden Gerüchten, sein Mandant habe auch noch geplant, die schwerverletzte Frau im Krankenhaus heimzusuchen, um eine Aussage zu verhindern, widerspricht Paulsen dagegen. Zwar gebe es wohl eine Äußerung des 19-Jährigen, die sich womöglich so deuten lasse. Einen "Mordkomplott" gegen die Schwerverletzte habe es aber nicht gegeben. Während der Zeit, in der noch kein Verdächtiger gefasst war, wurde das Klinikzimmer der Frau von Beamten gesichert.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kolumnen von Flüchtlingen
:So lebt ihr hier also

Geflohene Journalisten aus Nigeria, Syrien, Uganda und Afghanistan schreiben in der SZ, wie sie Deutschland sehen und die Oberbayern erleben. Wir stellen die Autoren vor.

Von Korbinian Eisenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: