Dolores Sailer geht alles andere als optimistisch in das Jahr 2015. "Bei uns herrscht sehr große Unsicherheit", sagt die Konzernbetriebsrats-Vorsitzende im Augsburger Weltbild-Verlag. "Viele Leute verlassen das Unternehmen freiwillig, die halten das nicht mehr aus." Genau vor einem Jahr hat die damals noch katholische Verlagsgruppe Insolvenz angemeldet. Heute heißt das Unternehmen Weltbild Retail GmbH und gehört dem Düsseldorfer Investor Walter Droege und seiner GmbH. Von einstmals 2200 Mitarbeitern in Augsburg sind gerade einmal 950 übrig. Mehr als 1000 Menschen wurden auf die Straße gesetzt, dazu kommen etwa 300 in den Filialen.
Und trotz der enormen Einschnitte muss sich das verbliebene Personal schon wieder ernsthafte Sorgen um den Job machen. Denn vor Weihnachten hatte die neue Geschäftsführung weitere Entlassungen angekündigt - ohne Zahlen zu nennen. Wie geht es weiter mit dem Unternehmen, das in Konkurrenz zum US-Riesen Amazon sowohl im Internet als auch in Geschäften Bücher und andere Waren verkauft? Die Arbeitnehmer-Vertreter kritisieren den neuen Eigentümer und seine Manager scharf und rechnen langfristig mit weiteren Entlassungen, die über das bisher bekannte Ausmaß hinausgehen.
Verdi ist von Eigentümer Droege enttäuscht
"Wir nehmen immer mehr wahr, dass die Geschäftsführung auf Schrumpfung setzt und nicht auf Wachstum", sagt Hubert Thiermeyer von der Gewerkschaft Verdi. "Das Konzept Weltbild 2.0, das mit den knallharten Sanierern von Roland Berger erstellt wurde, wird nicht umgesetzt", kritisiert Thiermeyer. "Und es liegt keine bessere Alternative vor, das ist ein großes Problem." Er sei "selten so euphorisch gestartet und danach so enttäuscht worden", sagt der Verdi-Mann.
"Anfangs gab Droege das klare Versprechen, dass er ins Unternehmen investiert und nicht mit der üblichen Kürzungsorgie kommt. Aber er machte dann sofort das Gegenteil." Der Investor habe sich als "klassischer knallharter Kosten-Sanierer" entpuppt, "der mit Drohungen und Geheimhaltungspolitik arbeitet". Wenn er aber weiterhin nur an den Kosten spare und Weltbild 2.0 nicht umsetze, "steigt die Gefahr, dass wir die Kunden verlieren". Es gibt gut informierte Mitarbeiter, die hinter vorgehaltener Hand mittelfristig eine weitere Halbierung der Mitarbeiterzahlen erwarten. Sie berichten von "leeren Regalen" in den Filialen im Weihnachtsgeschäft, weil zu wenig Ware bestellt worden sei. Und wenn, dann sei nur Ramsch gekommen.
Kritik kommt auch vom Insolvenzverwalter
Selbst Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, der Droege als Retter ins Boot holte, kritisiert den 60-Prozent-Mehrheitsgesellschafter - wenn auch nur in diplomatischen Tönen. "Das Sanierungskonzept, der Verhandlungsstil und der Umgang mit den Mitarbeitern sind anders als von der Insolvenzverwaltung", sagt Geiwitz. Insider berichten, Geiwitz sei sehr unzufrieden mit Droeges Vorgehen und versuche regelmäßig, ihm einen sanfteren Umgangston näherzubringen. Allerdings ohne Erfolg. Geiwitz muss sich fügen, denn als Vertreter der Gläubiger hält er nur 40 Prozent der Anteile. Über sein Verhältnis zu Droege sagt er nur: "Trotz der deutlichen Unterschiede glaube ich immer noch an den Erfolg der Sanierung."
Damit meint Geiwitz vor allem: Für die Gläubiger muss eines Tages mehr Geld herausspringen als es bei einer Abwicklung des insolventen Verlages Anfang 2014 der Fall gewesen wäre. Wie viele Angestellte es dann noch gibt, muss für Geiwitz zweitrangig sein. Dennoch, so bestätigen alle Gewerkschafter, ist es Geiwitz, der sich für die Interessen des Personals einspreizt. Und Walter Droege? Er gibt trotz mehrmaliger Nachfragen keine Interviews.
Seitdem die Geschäftsführer trotz anderslautender Versprechungen eine zusätzliche Entlassungsrunde angekündigt hatten, ist das Tischtuch zwischen Betriebsrat und Management zerschnitten. Vor Weihnachten sollte nochmals verhandelt werden. Das Gespräch platzte. Bis heute gab es kein Treffen mehr. Betriebsrat Timm Boßmann attackiert das Management frontal: "Die Situation ist extrem unbefriedigend, die Strategie des Herrn Droege irritiert." Auch Boßmann befürchtet, Weltbild solle "totgeschrumpft" werden.
Tatsächlich erscheint der Weltbild-Katalog seit der Übernahme seltener und in geringerer Auflage. "Das ist verheerend", sagt ein Mitarbeiter. "Früher schnellte bei Erscheinen des Katalogs unser Umsatz immer hoch, danach schlief er langsam ein." Wenn der Katalog nun nur noch alle acht statt vier Wochen erscheine, werde auch der Verkauf entsprechend einbrechen. Ein Management-Fehler? Oder Kalkül? Im November warf Geschäftsführer Gerd Robertz überraschend das Handtuch. Er war im von Droege installierten und kontrollierten Manager-Trio der einzige, der sich im Buchhandel auskannte.
Manager Hoffmann sieht Potenzial für einen Neustart
Zuvor hatte es im Oktober eine Zäsur in der Geschäftspolitik gegeben: Nach dem ersten Umsatzrückgang nahm Droege kein Geld in die Hand, um dagegenzusteuern, sondern kappte sofort zahlreiche Kosten: Dem Hausmeister-Service wurde gekündigt, und ein bereits gedrehter und gebuchter TV-Werbe-Clip storniert. Letzteres stößt bei der Belegschaft auf scharfe Kritik. Es wird als Indiz gewertet, dass Droege rückläufige Umsätze als Rechtfertigung für Entlassungen anstrebt.
Nun ist das erste Jahr nach der Insolvenz vorüber, das Management nennt aber keine Umsatz-Zahlen. Man äußert sich nur zum Weihnachtsgeschäft. "Wir haben unsere Erwartungen erreicht", sagt Geschäftsführer Robert Hofmann. In den Filialen sei das Geschäft "zunächst schleppend" angelaufen, "aber ein starker Endspurt hat vieles wettgemacht". Es gibt sogar positive Nachrichten: Das E-Lesegerät Tolino verkauft sich besser denn je. "Tolino ist es im dritten Quartal 2014 gelungen, Amazon beim eBook-Verkauf zu überholen", verkündet Manager Sikko Böhm.
Reicht das, um das gesamte Unternehmen profitabel zu machen? Wie geht es weiter? Manager Hoffmann: "Weltbild hat Potenzial für einen Neustart." Wie dieser Neustart aussehen soll und ob er auch gelingen wird, darüber werden die Beteiligten vor und hinter den Kulissen noch länger streiten. Betriebsrat Boßmann stellt die Situation so dar: "Die gute Nachricht ist: Uns gibt es noch. Das war vor einem Jahr alles andere als selbstverständlich."