Virtual Reality:Feuerwehrleute in der Oberpfalz üben Einsätze am Computer

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Virtuell lässt sich mit der entsprechenden Brille auf dem Kopf auch der Einsatz bei einem Schlafzimmerbrand durchspielen. (Foto: Johann Osel)
  • Feuerwehrleute im Landkreis Cham können nun mit einem aufwendigen Computerprogramm Einsätze üben.
  • Die Einsatzkräfte bekommen zumindest ein rudimentäres Gefühl dafür, wie man sich in einem brennenden Haus verhalten muss. Früher fanden Schulungen nur aus der Vogelperspektive statt.
  • Das Programm "Katie" wurde an der Universität Kassel entwickelt und wird nun in Cham erprobt.

Von Johann Osel, Cham

Vorne wirkt das Haus unauffällig, kurzer Rasen, ein weißer Kastenwagen in der Einfahrt, alles friedlich. Doch die Feuerwehr wurde alarmiert, die Nachbarin steht schon winkend an der Straße. Der Retter geht ums Haus, gelangt durch die Hintertür ins Innere. Er tastet sich durch die Küche. Herd und Toaster sind zu sehen. Er geht die Treppe hinauf zum Schlafzimmer, greift an den Türknauf und schaut hinein. Überall dichter Rauch, schemenhaft ein Bett. Er geht in die Knie, jetzt erst erkennt er die brennende Stehlampe - mit der Wärmebildkamera hätte er sie früher gesehen.

Die Szenerie trägt sich zu in der Kreiseinsatzzentrale in Cham in der Oberpfalz. Der Feuerwehrmann im Einsatz steht in einem Seminarraum, mit einer kantigen Brille im Gesicht und zwei Steuerelementen in den Händen. Er bewegt sich auf nur gut zwei Quadratmetern. Daneben bedient ein Kamerad eine Simulationssoftware: Schlafzimmerbrand hat er eingestellt und allerlei Details. Seit kurzem üben Feuerwehrleute im Landkreis Cham in virtueller Realität.

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Das Programm "Katie" wurde eigens dafür an der Universität Kassel entwickelt. Der Name steht für "Katastrophen, Avatare, Technische Simulationen - in virtuellen Environments". Von der Küche mit brennender Pfanne bis zum verunglückten Gefahrgutlaster reichen die Einsatzorte, in die Teilnehmer via Computer virtuell hineingehen können, um ihre Strategien zu trainieren: Einsatzablauf, Feuerwehrtaktik, Lagebild, Befehlskette.

Der Kreis Cham ist in einem Pilotprojekt Partner der Forscher. "Die hatten die Technik, wir die Taktik, die Szenarien", sagt Kreisbrandrat Michael Stahl. "Das Besondere ist, dass wir die Programmierung von Katie beeinflussen können." Auch besonders: der breite Ansatz des Projekts. Es geht insbesondere um die ehrenamtlichen Feuerwehren in ländlicher Region.

Der Computerspielszene, in der virtuelle Realität (VR) zum Zweck von Unterhaltung und Spaß eingesetzt wird, ist die Technik längst entwachsen. Handel, Medizin, Architektur, Tourismus - das sind einige der Felder, in denen Simulationen mittlerweile als detailgenaues Abbild der Realität genutzt werden. Im Sicherheits- und Rettungsbereich bietet VR völlig neue Möglichkeiten in Ausbildung und Arbeit. Ernstes Spielen sozusagen. Beispiel Polizei: Das Landeskriminalamt vermisst Tatorte dreidimensional. Mit einer Virtual-Reality-Brille können ihn Ermittler später betreten und analysieren.

Auch in einem virtuellen Rettungswagen soll geübt werden

Jährlich bis zu 80 Schauplätze vermisst das LKA-Team und erstellt Digitalmodelle von Orten, an denen gemordet wurde. Die Vision der Behörde ist ein virtuelles Ermittlungslabor, in dem Kommissare und Sachverständige standardmäßig mit VR-Brillen in Tatorte eintauchen. Als möglichen Anwendungsbereich der Zukunft sieht das Innenministerium auch die Vorbereitung großer Polizeieinsätze, wie es vergangenes Jahr nach einer Kabinettssitzung hieß.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) lotet ebenfalls die Optionen der Technik aus. Unter anderem mit einem virtuellen Rettungswagen, in dem angehende Sanitäter die Lebensrettung trainieren könnten, inklusive Beatmung oder intravenösen Zugängen. Intensive Kenntnisse könne man eigentlich erst im Einsatz und am lebenden Objekt erwerben, heißt es aus dem DRK-Präsidium. Doch gerade für Anfänger verbiete sich "Üben am Patienten". Und da sind eben noch die Feuerwehren. Auch dort wird mit VR geliebäugelt. Aber: So stringent, wie das nun in Cham abläuft, gilt das laut Kreisbrandrat Stahl als bayernweites, womöglich gar als bundesweites Pionierprojekt.

Schulungsabend in Cham. Zehn Gruppen- und Zugführer sind hier, aus Bad Kötzting, Rötz oder Dalking. Mehr als 1000 solcher Führungskräfte gibt es in den 190 Feuerwehren im Landkreis. Knapp 20 Termine sind für 2019 angesetzt, das Projekt wird Zeit brauchen. In der Einsatzzentrale findet man auch eine Planspielplatte mit Häusern und Straßen. Eine Landschaft wie für Modelleisenbahnen. So sieht Taktikübung bisher aus: Weiße Watte steht für Rauch, viel weiße Watte für viel Rauch, rote für Flammen. Da lässt sich, wenn etwa die Dorfkirche brennen sollte, natürlich der Einsatz besprechen. Angefangen damit, wo die Fahrzeuge postiert werden. Man kann aber nicht in Häuser schauen. Sie betreten erst recht nicht. "Es ist immer die Vogelperspektive. Da stehen die Leute drumherum und wollen geschult werden", erklärt Stahl, bevor er virtuell Dinge wie Gullydeckel nah heranzoomt. Im Grunde lässt sich mit Katie alles programmieren, was in Einsätzen eine Rolle spielt: ein Strahlrohr, verletzte Personen und dergleichen. Im Modell Schlafzimmerbrand fuchtelt auch einer am Fenster, ruft um Hilfe.

"Du stehst mittendrin, so realitätsnah." Franz Löffler ist sichtlich von Stolz erfüllt. Der CSU-Landrat sagt, es habe "für Furore gesorgt, was die in Cham wieder machen". Dass man sich getraut habe, das Projekt anzupacken. "Eine andere Hausnummer als echte Übungen" sei das, und aus seiner eigenen Feuerwehrzeit wisse er, welch "extremen Stresssituationen" man ausgesetzt sei. Etwa, wenn man in einen brennenden Stall mit lebenden Tieren gehen müsse. Er sei froh um jede kleine Feuerwehr, ein jeder Ehrenamtler solle bestmöglich trainieren können. Noch haben sie nur eine einzige VR-Brille. Die Kollegen ohne Brille verfolgen die Szene auf der Leinwand; vertröstet mit Semmeln und Limo. Drei Brillen sollen es mittelfristig sein, dann könne in Rollenspielen interagiert werden.

An die 10 000 Euro hat der Landkreis bisher investiert. Zu kaufen war etwa ein Gamer-PC mit viel Speicher. "Das bringt den Aha-Effekt. Wenn der Rechner im Einsatz hängen würde, hätte man ja keine Freude daran", sagt Stahl. Zumindest das ist vom Ursprung der Spieler-Szene geblieben: Ein bisschen Spaß soll das Ganze bereiten.

© SZ vom 25.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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