Verhungertes Kind in Tirschenreuth:Jugendamt räumt Fehler ein

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Hätten die Behörden den Hungertod der kleinen Lea verhindern können? Das Jugendamt verspricht, interne Verstöße zu prüfen. Leas Mutter soll das Kind beim Chatten völlig vergessen haben.

Im Fall des Hungertodes der zweijährigen Lea haben die Behörden eigene Fehler eingestanden. Es sei ein Versäumnis gewesen, dass Mitarbeiter des Jugendamtes vor einem halben Jahr trotz des Hinweises einer Nachbarin auf einen Hausbesuch verzichtet hätten, sagte Amtsleiter Albert Müller auf einer Pressekonferenz in Tirschenreuth: "Ich wünschte mir, man könnte die Zeit zurückdrehen." Regierungsdirektor Alfred Meyer kündigte an, interne Verstöße von Mitarbeitern des Jugendamtes zu überprüfen.

Die kleine Lea war am Samstag vermutlich an Unterernährung und Austrocknung gestorben. Eine eindeutige Todesursache konnte bislang aber nicht festgestellt werden. Leas 21-jährige Mutter Birgit W. hatte den Notarzt zu spät gerufen. Die Frau wurde noch am Montag festgenommen und sitzt seither wegen des Verdachts auf Totschlag durch Unterlassen in Untersuchungshaft.

Laut Staatsanwaltschaft hatte das Kind aufgrund einer Krankheit allenfalls noch wenig gegessen und getrunken. Birgit W. soll einfach zugesehen und gedacht haben: "Wenn sie stirbt, ist's mir egal."

Zuletzt habe das Mädchen deutlich unter zehn Kilo gewogen, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schäfer. Es hätte einen Arzt gebraucht, die Krankheiten wären aber wohl behandelbar gewesen.

Landrat Wolfgang Lippert betonte, ein Hausbesuch hätte das Mädchen nicht retten können: "Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem nicht erfolgten Hausbesuch und dem Tod des Mädchens." Eine Nachbarin hatte vor einem halben Jahr beim Jugendamt angerufen, weil sie Lea und ihren vierjähriger Bruder nicht mehr so häufig im Garten gesehen hatte. Dem Hinweis war die Behörde aber nicht nachgegangen. Mitarbeiter hätten ihn nicht als Hinweis auf eine "akute Gefährdung" eingestuft, erklärte Amtsleiter Müller.

Nach seinen Angaben hatte der von Leas Mutter getrennt lebende Vater noch bis zwei Wochen vor Leas Tod regelmäßig Kontakt zu seinen Kindern. Bis dahin sei der Zustand des Mädchens gut gewesen. Danach war sie erkrankt und nahm immer weniger Nahrung zu sich.

"Das muss eine kurzfristige Entwicklung gewesen sein", sagte Müller. Die 21-jährige Mutter des Kindes sei seiner Behörde auch nie negativ aufgefallen. "Es gab keinerlei Anhaltspunkte für eine Überlastung der Mutter oder erzieherische Defizite", sagte der Behördenchef. Noch im Februar habe die junge Frau das Jugendamt vielmehr darüber informiert, dass sie einen Ausbildungsplatz in Aussicht habe.

Leas Mutter vergaß übers Chatten ihr Kind

Unterdessen gibt es allerdings immer mehr Hinweise darauf, dass sich Birgit W. möglicherweise in eine Parallelwelt zurückgezogen hat. Ihre Spuren finden sich auf verschiedenen Online-Plattformen, auf denen sie Freunde suchte, spielte und über Probleme klagte.

Eine Freundin von ihr sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, dass Birgit W. auf verschiedenen Foren beinahe ohne Unterlass online gewesen sei. Auf dem Portal eines bayerischen Radiosenders habe sie bis zum Jahreswechsel gechattet. Auf dem Profil einer Partnerschaftsagentur gibt Birgit M. als Motto an: "No risk no fun." Und auf die vorformulierte Frage, auf was sie stolz sei, schrieb sie in fehlerhaftem Deutsch: "auf das was ich im leben schon erreicht habe auf mei kids :)"

Unter der Rubrik Kochkünste findet sich schließlich ein Eintrag, der jetzt zynisch wirkt: "Ja glaub schon verhungert is nu keiner und geschmeckts hat es bis jeden a noch!!!" Die Freundin, die auch am Tag des Kindstods Kontakt zu Birgit W. hatte, kann die Vorgänge nicht fassen. "Birgit wusste offensichtlich nicht mehr, was in der Realität los ist."

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