Untersuchungsausschuss:Staatsanwalt stellt BGH-Rechtsprechung in Frage

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Wolfgang Natale beharrt darauf, dass die Einstellung der Ermittlungen im Laborskandal richtig war

Von Stefan Mayr, München

An einem Mangel an Selbstbewusstsein leidet Wolfgang Natale nicht. Gleich zu Beginn der Sitzung des Landtags-Untersuchungsausschusses Labor stellt der 46-jährige Karriere-Jurist kurz und knackig die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Zweifel. "Die Annahme eines Betrugsschadens hat mich zu keinem Zeitpunkt überzeugt, das tut es auch heute nicht", sagt der ehemalige Augsburger Staatsanwalt.

Natale war maßgeblich daran beteiligt, dass die Augsburger Anklagebehörde im Januar 2009 Betrugsermittlungen gegen Hunderte Ärzte einstellte. Dies, obwohl gleichzeitig noch ein Pilotverfahren gegen einen Münchner Arzt lief. Obwohl die Staatsanwaltschaft München I die Fälle unbedingt anklagen wollte. Und obwohl der BGH die Abrechnungspraxis all dieser Ärzte später sehr wohl als Betrug bewertete. Die BGH-Entscheidung gilt als schallende Ohrfeige für die Augsburger Staatsanwaltschaft. Dennoch beharrt Natale am Montag auf seiner Meinung: "Ich habe diese Auffassung nach wie vor, und ich bin da auch in guter Gesellschaft."

Der Untersuchungsausschuss will klären, ob die bayerische Justiz all die Ärzte nicht verfolgt hat, weil die Politik dies nicht wünschte. Die Abgeordneten fragen sich seit 15 Monaten, warum das komplexe Verfahren in Augsburg binnen weniger Wochen eingestellt wurde, und warum die Staatsanwaltschaft nichts gegen die drohende Verjährung unternommen hat. Erstmals seit seinem Start im Juli 2014 bekommt der Ausschuss klare Antworten. Diese Antworten aus Natales Munde lösen in Reihen mancher Abgeordneter wildes Kopfschütteln aus. Sogar der CSU-Ausschussvorsitzende Alexander König fragt energisch nach und macht süffisante Bemerkungen über die Vorgänge in der Justiz - auch dies hat es noch nicht gegeben.

"Meine Rechtsmeinung habe ich mir selbst gebildet", stellt Natale klar. "Es wurde mir nicht von oben aufoktroyiert: Natale, du hast das so zu sehen." Es habe keinerlei politische Einflussnahme gegeben.

Mit dem Fall um den Augsburger Laborunternehmer Bernd Schottdorf hatte sich eine Sonderkommission des Landeskriminalamtes zwei Jahre lang beschäftigt, im Laufe der Zeit hatten sich Hunderte Aktenordner angehäuft. Dennoch stellte die Augsburger Staatsanwaltschaft nach Übernahme des Verfahrens von den Münchner Kollegen innerhalb weniger Wochen ein. Dies hatte die Staatsanwaltschaft München I enorm überrascht. Natale stellt die schnelle Entscheidung als das normalste der Welt dar. "Für eine Beurteilung der Rechtslage ist die Aktenkenntnis nicht erforderlich", sagt er. Er habe die Einstellungsverfügung vorformuliert, ohne den Großteil der Akten gelesen zu haben, berichtet er. Das löst großes Staunen bei den Abgeordneten aus. Natale bleibt cool und erklärt, er könne nicht weiter ermitteln, wenn er der Überzeugung ist, dass der Sachverhalt keine Straftat darstellt. Und deshalb habe man auch keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen ergriffen.

In diesem Moment wird Alexander König laut. "Das verstehe ich nicht", ruft er. Das sogenannte Pilotverfahren sei ja nicht "aus Jux und Tollerei" gemacht worden, sondern um eine hochrangige Rechtsprechung herbeizuführen. "Selbst wenn sie anderer Rechtsauffassung sind, wäre es nicht umso mehr geboten gewesen, verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu ergreifen?", fragt König. Natale betont, er dürfe das gar nicht, sobald er überzeugt sei, dass der Sachverhalt keine Straftat darstellt. "Das Pilotverfahren hat also gar keinen Wert", tönt König und lässt dabei offen, ob das eine Frage oder eine Feststellung ist.

Den damaligen Einstellungsvermerk Natales hat seine Kollegin Daniela Kollegin Lichti-Rödi unterzeichnet. Ihre Vernehmung beginnt erst nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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