Umweltschutz:Petition gegen den Chef

Lesezeit: 3 min

Ein Spitzenbeamter des Umweltministeriums wendet sich an den Landtag, weil die bayerische Wirtschaft auf kurzem Dienstweg beim Minister intervenierte

Von Lisa Schnell, München

Vierzig Jahre ist Georg Schmid-Drechsler im öffentlichen Dienst, so etwas aber hat er noch nicht erlebt. Schmid-Drechsler ist Leiter des Referats "Fachübergreifendes Recht" im Umweltministerium. All seine Expertise aber nützte nichts. Nur ein einziges Mal musste sich der Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft beim Umweltminister melden und Schmid-Drechslers "wichtigste Arbeit der letzten vielen Jahre" galt nichts mehr. So schildert er es in einer Petition an den Landtag, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt und die einen höchst ungewöhnlichen Vorgang darstellt.

Ein Beamter, der seinem Dienstherren öffentlich eine Ehrverletzung vorwirft und sogar vor Gericht die Genehmigung erstreitet, um im Landtag aussagen zu dürfen - so etwas war wohl noch nie da. Geht ein Beamter diesen Schritt, muss ihm etwas gehörig stinken. Offiziell geht es Schmid-Drechsler um seine Beamtenehre. Nicht, weil er schlampig gearbeitet hätte, sondern weil der damalige Umweltminister Marcel Huber (CSU) die Bedenken der Wirtschaft berücksichtigte, sei sein Rat abgelehnt worden. Inoffiziell aber schwingt bei seiner Petition eine ganz andere Frage mit: Kann es sein, dass einem Umweltminister die Interessen der Wirtschaft wichtiger sind als die Umwelt und Rechtssicherheit?

Es geht um die Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz UVP. Mit ihr soll festgestellt werden, ob ein Bauvorhaben negative Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte. Im Gesetz ist genau aufgelistet, wann eine UVP vorgenommen werden muss etwa bei großen Anlagen wie Kraftwerken. Daneben gibt es viele Fälle, bei denen die Behörden prüfen, ob eine UVP notwendig ist. In Bayern werde diese Vorprüfung nahezu durchgängig dazu genutzt, die UVP zu vermeiden. So steht es in einem Schreiben von Schmid-Drechsler. Da dies als Verstoß gegen das EU-Recht gewertet werden könne, sieht er ein hohes Risiko: Etliche Bauvorhaben könnten durch Klagen lahmgelegt werden. Zu jeder juristischen Meinung gibt es eine Gegenmeinung, so ist das auch in diesem Fall. Für eine Klage aber reicht es, wenn noch andere in der jetzigen Praxis einen EU-Verstoß sehen. Das tun sie etwa bei der UVP-Gesellschaft, einem Verein zur Umweltvorsorge. Auch die Fälle ohne ausdrückliche UVP-Pflicht seien "dringend verdächtig, erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu haben", sagt Joachim Hartlik, Vorsitzender der UVP-Gesellschaft. Laut EU-Recht müsse eine UVP die Regel sein, und nicht die Ausnahme. In Deutschland aber sei genau das der Fall. Eine Praxis, die "europarechtlich nicht haltbar ist". So sieht das auch Wolfgang Sinner, der die UVP-Gesellschaft rechtlich berät, genau wie Jurist Thomas Bunge, ehemals Direktor im Umweltbundesamt.

Neben allen rechtlichen Bedenken befürchtet die Landtagsabgeordnete Rosi Steinberger (Grüne) Schäden für die Umwelt. Schließlich würden offenbar viele Bauvorhaben in Bayern genehmigt, ohne dass ihre Umweltfolgen ausreichend geprüft würden.

Schmid-Drechsler wollte das ändern. Ihm geht es um Rechtssicherheit - und damit auch um die Sicherheit von Investitionen. Denn anders als früher können Umweltverbände jetzt problemlos gegen eine Industriebaugenehmigung klagen und den Bau für Jahre verzögern. Um das zu vermeiden, schlug er vor, die UVP in Bayern zur Regel zu machen. In einem Schreiben des Umweltministeriums vom 20. Juli 2018 wurden die Behörden dazu angehalten. Es ist unterschrieben vom Amtsleiter, also von höchster Stelle hinter dem Minister.

Nur einen Monat später aber wurde es zurückgezogen "aufgrund zwischenzeitlich aufgetretener rechtlicher und vollzuglicher Fragestellung". Eine Begründung, die Schmid-Drechsler nicht nachvollziehen kann. Anlass für die 180-Grad-Wende sei vielmehr ein Anruf von Bertram Brossardt beim Umweltminister selbst gewesen. Brossardt ist Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Die VBW bestätigt ihr Eingreifen: Eine häufigere Durchführung der UVP bedeute einen "Standortnachteil für Bayern", heißt es dort.

Ein Risiko von zeitraubenden Klagen gegen Bauvorhaben sieht die VBW offensichtlicht nicht.

Den früheren Umweltminister Huber überzeugte das anscheinend. Eine UVP sei für die Verwaltung aufwendig und für Unternehmer kostspielig, sagt Huber. Das stehe in keiner Relation zum angeblichen Vorteil. Die Umwelt nehme keinen Schaden. Denn eine UVP würde ja dann gemacht, wenn sie den Behörden notwendig erscheine. Dass dies in Bayern fast nie der Fall sei und gar EU-Recht gebrochen werde? "Ich gehe davon aus, dass alles nach Recht und Gesetz gemacht wird", sagt Huber.

Es sei bemerkenswert, dass ein Anruf der Wirtschaft genüge, "um die Umweltpolitik in Bayern zu ändern", sagt dagegen Rosi Steinberger. Sie hat eine Vermutung, was hinter den Bedenken der Wirtschaft stecken könnte: Wird eine UVP durchgeführt, sei das öffentlich einsehbar, auch Umweltverbände würden informiert. Ohne eine UVP werde ein Bauvorhaben hingegen nur selten öffentlich. "Die Pferde sollen nicht scheu gemacht werden", sagt Steinberger. Die Unternehmer vertrauten wohl darauf, dass die Umweltverbände nicht genügend Geld hätten, um öfter vor Gericht zu ziehen.

Nach der Landtagswahl versprach die Koalition, sie werde mehr auf die Umwelt achten. Wie also hält es der neue Umweltminister, Thorsten Glauber (FW), mit der UVP? Vorerst bleibt alles, wie es ist - und damit so, wie es die Wirtschaft wollte. Auf Fachebene und in der Verwaltung soll es aber Gespräche geben.

Ein Beamter im Ministerium hätte da gewiss etwas zu sagen. Schmid-Drechsler aber geht bald in Pension. Seine Petition gegen den Dienstherren wurde vom Ausschuss abgelehnt.

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: