Tourismus:Die Natur ist nicht genug

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Vor der Eröffnung der Aussichtsplattform Alpspix am Osterfelderkopf in Garmisch-Partenkirchen gab es Protest. (Foto: dpa)

Hängebrücke, Flying Fox, Alpine Coaster: Immer mehr Menschen brauchen künstlichen Kitzel in den Bergen.

Von Christian Sebald

Als im Juli 2010 am Osterfelderkopf in Garmisch-Partenkirchen der Alpspix feierlich eröffnet werden sollte, hat sich kurz vor dem Festakt in 2050 Metern Höhe der Extrembergsteiger Stefan Glowacz mit einem Bergkameraden unter die Aussichtsplattform abgeseilt. Gleichsam frei über dem tausend Meter tiefen Abgrund schwebend enthüllten die beiden ein riesiges Transparent. Auf ihm prangte in schwarzen Lettern: "Die Alpen brauchen keine Geschmacksverstärker." Die luftige Aktion war ein eindringlicher Appell, die Bergwelt möglichst unberührt zu lassen. Ziemlich genau neun Jahre nach Glowaczs Aktion kann man feststellen: Der Appell war vergebens.

"Es ist ein paradoxer Trend", konstatieren Experten wie Hubert Job, Professor für Geografie und Regionalforschung an der Uni Würzburg. "Auf der einen Seite wollen immer mehr Menschen raus in die Natur. Auf der anderen Seite reicht vielen die Erhabenheit und Stille von Natur nicht aus. Immer mehr Menschen brauchen einen künstlichen Kitzel." Etwa indem sie in einem Alpine Coaster, wie Sommerrodelbahnen mit Schienen auf Neudeutsch heißen, den Berg runterdonnern. Oder auf möglichst hohe Aussichtstürme steigen. Oder sich auf einer Plattform ganz weit hinaus über den Abgrund wagen.

Natur-Event
:Künstlicher Nervenkitzel in der Natur

Wer in der Natur nicht nur Wandern möchte, für den gibt es ein immer größeres Angebot - von Flying Fox über Alpine Coaster bis zu Baumwipfelpfad.

Und weil der Tourismus ein hart umkämpfter Markt ist, sind immer mehr Lokalpolitiker und Touristiker bereit, alle möglichen Kitzel zu liefern. In den Bergen ebenso wie in den Mittelgebirgen. Erst diese Woche haben sie im Landkreis Hof beschlossen, das abgelegene Höllental an der Grenze zu Thüringen mit den womöglich längsten Fußgänger-Hängebrücken der Welt zu überspannen - damit man gleichsam über das Tal hinwegschreitet.

In Oberbayern und im Allgäu hat der Trend zum Natur-Event bereits ein paar besondere Blüten hervorgebracht. Der Blomberg nahe Bad Tölz ist zu einem Spaßberg mit Sessellift, Ganzjahresrodelbahn, Klettergarten, Wirtshaus und Skulpturenpark mutiert. Vor gar nicht so langer Zeit war der 1248 Meter Gipfel ein kleiner Skiberg. Aber weil richtige Winter in den tiefen Lagen immer öfter ausfallen, hat die Bergbahn den Skibetrieb eingestellt. So wie das auch die "Alpsee Bergwelt" bei Immenstadt getan hat. Auch sie ist mit einer Ganzjahresrodelbahn, Bayerns angeblich größtem Hochseilgarten, einem Riesengasthaus und einem gigantischen Kinderspielplatz zu einem Funpark umgemodelt worden, der genauso gut neben einer Autobahn stehen könnte.

Baumwipfelpfad anstelle des Nationalparks

In der Staatsregierung haben sie sogar geglaubt, Naturschutz durch Inszenierung ersetzen zu können. Anstelle des Nationalparks, den Umweltverbände zum Schutz der uralten Buchenwälder im Steigerwald fordern, hat das Kabinett der Region einen Baumwipfelpfad spendiert. Statt durch einen entstehenden Urwald zu wandern, blicken die Besucher nun von oben über einen Wirtschaftswald hinweg, in dem Harvester röhren. Sogar im Deutschen Alpenverein, einem offiziell anerkannten Naturschutzverband, wollen einige den Event-Trend zumindest ein wenig mitmachen. Am Watzmannhaus, das mitten im Nationalpark Berchtesgaden steht, planen sie einen Anbau mit großer Glasfront direkt über dem Abgrund.

Der Geografie-Professor Job befürchtet, dass die Bergwelt und die Mittelgebirge erst am Anfang einer rasanten Fun-Spirale stehen. Schon allein weil sich jeder Kitzel schnell abnutzt und dann ein neuer her muss. Noch kann man sich damit trösten, dass man vielerorts unverfälschte Landschaften erleben kann - in den Alpen und den Mittelgebirgen. Selbst am Blomberg hat man schnell die Geschmacksverstärker Skulpturenpark, Wirtshaus und Klettergarten hinter sich gelassen. Tief unten in einem Graben plätschert ein Bach, zwischen den Bergfichten scheint die Sonne hindurch, auf einem Ameisenhaufen wuselt es zigtausendfach und von einer Almwiese tönen Kuhglocken herüber.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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