Streit unter Flüchtlingen:Nahost-Konflikt in Bayern

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In den Notunterkünften reihen sich die Stockbetten dicht an dicht - das Potenzial für Konflikte ist groß. (Foto: Stephan Rumpf)

Es sollen "allenfalls Einzelfälle" sein. Doch die Berichte über Zusammenstöße zwischen Christen und Muslimen sowie verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Flüchtlingsheimen häufen sich. Sollten sie getrennt voneinander untergebracht werden?

Von Kathleen Hildebrand, München

Es begann Mitte Juli. Vor einem Monat trennte die Regierung von Niederbayern in einer Eilaktion christliche und muslimische Asylsuchende, nachdem es religiös motivierte Ausschreitungen unter ihnen gegeben hatte. 40 Christen wurden in ein Wohnheim in Deggendorf verlegt. Kurz darauf wurde in verschiedenen Medien der Fall einer christlichen Familie aus dem Irak geschildert, die von muslimischen Mitbewohnern bedroht worden war. In den Wochen danach häuften sich Informationen über Konflikte zwischen Flüchtlingen. Das hat eine Diskussion über die getrennte Unterbringung nach Glaubenszugehörigkeiten ausgelöst.

Die Polizei nimmt Auseinandersetzungen in den Unterkünften zwar noch nicht als großes Problem wahr. Ein Sprecher des Innenministeriums sagt: "Wir beobachten allenfalls Einzelfälle." Zahlen gibt es keine - Straftaten werden nicht danach erfasst, ob sie ethnisch oder religiös motiviert sind. Der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), plädiert trotzdem für eine getrennte Unterbringung verschiedener religiöser Gruppen.

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Das halten andere für falsch: Die bayerische Diakonie hat den Vorschlag, Christen und Muslime getrennt unterzubringen, zurückgewiesen. Dadurch würden Vorbehalte gegenüber den Angehörigen anderer Religionen tendenziell eher verstärkt, sagt Diakonie-Präsident Michael Bammessel. Durch die Berichte über einige wenige Einzelfälle sei ein Bild entstanden, das der Realität nicht entspreche.

Verbände zeichnen ein friedliches Bild

Wer mit den Verbänden redet, die in Bayern Flüchtlinge betreuen, bekommt ein eher friedliches Bild vermittelt. Eine Umfrage unter den 75 Flüchtlingsberatern der Diakonie habe keine Zunahme von religiös motivierten Auseinandersetzungen zu Tage gefördert, heißt es. Auch die Berater der bayerischen Caritas kennen keine Fälle, in denen Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener Religionen ausgeartet wären. Streit, Bedrohungen und Schlägereien gebe es zwar oft, aber auch unter gleichen Glaubensrichtungen und zwischen verschiedenen Klan-, Volks- und Staatsangehörigen. Grund dafür seien die beengte Wohnsituation in den Unterkünften und die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge.

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Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat sieht die Lage ähnlich. Dass eine irakische Familie lieber in ihre Heimat zurückkehre als in einem Flüchtlingsheim zu bleiben, wie es in einem Bericht des Bayerischen Rundfunks zu hören war, sei ein sehr extremer Einzelfall: "Mir scheint, dass das Thema momentan ein besonderes Gewicht dadurch erhält, dass es sich bei den Beispielen um Muslime und Christen handelt."

Die Konflikte in den Unterkünften sieht Dünnwald auch als Folge mangelnder Informiertheit der Behörden: "Die Flüchtlinge werden nach Nationalitäten sortiert untergebracht und dann tun alle überrascht, wenn sich Serben und Albaner oder verschiedene persische Polit-Fraktionen in die Haare kriegen." Sinnvoller fände Dünnwald eine Öffnung des Unterbringungssystems, eine Erleichterung des Umzugs aus den Lagern heraus in Privatwohnungen oder andere Unterkünfte: "Aber dem steht die politische Haltung entgegen, dass Asylsuchende ausländerrechtlich restriktiv zu behandeln sind."

Dass Behörden wie Berater zu wenig über die Flüchtlinge wissen, findet auch Simon Jacob, Vorsitzender des Zentralrats der orientalischen Christen in Deutschland. "Das Problem ist größer", sagt er. Und es betreffe nicht nur das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen. "Diese Menschen haben unter autoritären Regimen gelebt. Diese Erfahrungen gibt man nicht an der Grenze zu Deutschland ab."

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Problematisch seien die anderen Werte und Regeln, nach denen die Menschen aus dem Nahen Osten gewohnt seien zu leben: "Wer im Irak oder in Syrien ein Problem hat, geht nicht einfach zu den Behörden." Die seien dort meist korrupt - und machtlos gegenüber dem Einfluss starker Klans. Flüchtlingen müsse man erst einmal erklären, dass Behörden in Deutschland vertrauenswürdig und Bestechungsversuche strafbar seien. Leicht sei das nicht. Und es liege auch an diesem mangelnden Vertrauen, dass Behörden und Wohlfahrtsverbände wenig von den Konflikten wissen, die in den Flüchtlingsheimen gären.

Die Gesellschaft sensibilisieren

Doch was tun? Für die Asylsozialberatung stellt Bayern in diesem Jahr 5,1 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wurden die Mittel seit 2011 zwar mehr als verdreifacht. Doch die Zahl der Flüchtlinge ist in noch viel größerem Maß gestiegen. 2011 kamen 7020 Asylbewerber nach Bayern. In diesem Jahr erwartet das Sozialministerium bis zu 30 000 Asylbewerber. Der ideale Betreuungsschlüssel, den man in München bei einem Betreuer für 100 Flüchtlinge sieht, ist längst nicht Realität. "Im Moment liegt er in München bei eins zu 330", sagt Klaus Honigschnabel von der Inneren Mission München. Elf weitere Flüchtlingshelfer seien angekündigt. Längst nicht genug. "Bei uns dreht niemand Däumchen", sagt Honigschnabel. "Die Kollegen wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht."

Hinzu kommt, dass die Stellen immer mit Sozialpädagogen besetzt werden müssen. "Die sind hervorragend ausgebildet", sagt Zentralratsvorsitzender Simon Jacob. "Aber kaum jemand von ihnen spricht Arabisch, Kurdisch, Aramäisch." Über die Kulturen, aus denen die Flüchtlinge kommen, wüssten sie zu wenig. In einem Heim, erzählt Jacob, seien Sunniten und Schiiten aus Syrien zusammen in einem Raum untergebracht worden - "das gibt natürlich eine explosive Situation". Kenner des Landes hätten das vermeiden können: An den Familiennamen ist erkennbar, welcher Ethnie oder Konfession jemand angehört.

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"Die Gesellschaft muss sensibilisiert werden für die Konflikte, die mit den Flüchtlingen nach Deutschland kommen", fordert Simon Jacob. "Wenn wir das nicht angehen, radikalisieren sich die Menschen auf allen Seiten, und es kommt zu einer Fremdenfeindlichkeit, die alle Flüchtlinge pauschal vorverurteilt."

© SZ vom 25.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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