Streit um G-7-Protestcamp:Nachhilfe-Stunde in Demokratie

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Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (Mitte) wird von den Organisatoren des Protestcamps über den Zeltplatz geführt. (Foto: Getty Images)
  • Die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen erhält nach der Niederlage im Streit um ein Verbot des Protestcamps vom Verwaltungsgericht München eine Nachhilfe-Stunde in Sachen Demokratie.
  • Die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen Sigrid Meierhofer (SPD) will nun keine weiteren, möglicherweise rechsstaatlich fragwürdigen, Auflagen erlassen.
  • Sie vereinbart stattdessen einen Regelkatalog mit den Teilnehmern des Protestcamps, um für einen friedlichen Ablauf der Demonstrationen zu sorgen.
  • Später wandelt die Gemeinde den Regelkatalog aber doch noch in einen Bescheid um.

Von Heiner Effern, Garmisch-Partenkirchen

Die großen Zelte fürs Gemütliche stehen seit Mittwoch, immer mehr kleinere zum Schlafen kommen dazu. Etwa 200 bis 300 G-7-Gegner sollen bis Donnerstagabend in den Loisachauen eingetroffen sein.

Die Atmosphäre im Lager mit den Bergen im Hintergrund erinnert an den Chiemsee Reggae Summer. So sieht die gefährlichste Wiese Bayerns zwei Tage vor der großen Demonstration gegen den G-7-Gipfel in Garmisch-Partenkirchen aus. So sieht das Camp aus, dessen Aufbau vor Gericht erstritten werden musste.

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Innenminister Joachim Herrmann hatte das Verbot zu seiner persönlichen Sache gemacht. Bei jeder Gelegenheit erklärte er, dass ein solches Lager eine Brutstätte für Krawall und schwere Straftaten sei. Wenn es irgendwie möglich sei, werde man das verhindern.

Der Markt Garmisch-Partenkirchen folgte brav und führte als Grund für das Verbot Hochwasser- und andere Gefahren an. Als dagegen geklagt wurde, war das Vertrauen in das Münchner Verwaltungsgericht bei den Behörden groß. Das Gericht würde diese Taktik schon abnicken, war man sich sicher. Umso mehr schluckte man, als am vergangenen Dienstagabend der Beschluss verkündet wurde: Das Camp sei zu dulden und eine Zufahrt zu gewähren, verfügten die Richter.

Nachilfe-Stunde in Demokratie

Was aber den Behörden mindestens genauso große Schluckbeschwerden bereitete, war die Begründung. Sie liest sich wie eine Nachhilfe-Stunde in Demokratie. Auch wenn die Möglichkeit bestehe, dass sich Gewalttäter unter die überwiegend friedlichen Camper mischten, dürften die Behörden nur in einem "absoluten Ausnahmefall" mit einem "repressiven Totalverbot" reagieren, schreibt das Verwaltungsgericht. In den Sätzen danach folgt der deutliche Hinweis auf die "überragende Bedeutung" der mit friedlichen Mitteln verfolgten Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

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Auch klingt durch, dass das Gericht die Möglichkeit, ein Camp zu errichten, in direktem Zusammenhang mit diesem Grundrecht sieht. Erfahrene Polizisten aus Bayern können sich an kein Urteil erinnern, das so weit gegangen wäre.

Weiterer Beschluss wird mit Sorge erwartet

Diese klare Haltung des Verwaltungsgerichts lässt die Sicherheitskräfte auch mit Sorge auf den nächsten Beschluss warten. Für Freitagmittag hat es eine Entscheidung zur Klage der Sternmarsch-Organisatoren gegen den Bescheid angekündigt, mit dem das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen die Demonstration kräftig zusammengestutzt hat.

Zum Beispiel bei der Route von Klais Richtung Elmau: Die wurde zwar genehmigt, aber nur vom Bahnhof bis in die Bahnhofstraße 18. "Das sind knapp 40 Meter", sagt ein Sprecher des Bündnisses Stop G 7 Elmau. "Wir überlegen, ob wir das ans Guinness-Buch der Rekorde melden sollen." Das Landratsamt wolle mit Verweis auf die Sicherheit und die Notfallwege die Teilnehmer des Sternmarschs am Sonntag bewusst so weit vom Tagungsgelände fernhalten, dass die Staats- und Regierungschefs Proteste weder hören noch sehen, ärgern sich die G-7-Gegner.

Dass eine Behörde wie das Garmisch-Partenkirchner Landratsamt einen solchen Bescheid erlässt, ohne sich mit dem bayerischen Innenministerium abzustimmen, glaubt hier niemand. Auch das Camp-Verbot der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen wird nicht in einem Stübchen des Rathauses erlassen worden sein.

Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD) klang in ihrer Reaktion auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München angesäuert, dass sie stets den Vorgaben der Polizei gefolgt sei. Sie werde nun keinesfalls mit möglicherweise rechtsstaatlich unsauberen Mitteln das Camp noch verhindern, erklärte sie. Später legte sie nach: Sie werde auch keinen nachträglichen Bescheid mit Auflagen erlassen. Genau den wünschte sich die Polizei aber unbedingt, da sie ohne rechtliche Grundlage den Campbetrieb nur sehr schwer kontrollieren kann.

Elf Regeln sollen dafür sorgen, dass es friedlich bleibt

Am Mittwochnachmittag besuchte Meierhofer das Zeltlager und vereinbarte mit den Bewohnern elf Regeln, die diese beachten sollten. "Mit denen können wir gut leben", sagt Mitorganisator York Runte. Das Treffen sei angenehm und konstruktiv gewesen.

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"Man hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass sie für sich selbst gesprochen hat." Am Abend habe es im nahen Garmischer Trachtenheim nochmals ein Treffen gegeben, erzählt Runte, das offenbar auch die Polizei einigermaßen zufrieden verließ. Noch in der Nacht kam von ihr die Mitteilung, dass die Gemeinde die Elf-Punkte-Vereinbarung in einen Bescheid umgewandelt habe.

Der garantiert noch lange nicht, dass das Camp so friedlich bleibt wie in den ersten Tagen. Doch ein Pauschalverdacht gegen dessen Bewohner ohne Begründung rechtfertigt noch lange kein Verbot. So sieht es jedenfalls das Verwaltungsgericht München.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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