Strauß vs. Augstein:Zwei Männer, zwei Gegner

Lesezeit: 4 min

Ein Stück Geschichte: das irritierende Verhältnis zwischen Franz Josef Strauß und Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein.

Von Hans Werner Kilz

Es passierte ganz selten, dass Rudolf Augstein unangemeldet zu einem Redaktionsfest erschien. Der Spiegel-Herausgeber feierte gern, aber er wollte eingeladen sein. Am Abend des 3. Oktober 1988, einem Montag, hatte ein Redakteur des Ressorts Deutschland II zum Umtrunk geladen, um seinen Geburtstag nachzufeiern.

Franz Josef Strauß auf einem Archivfoto, das knapp zehn Jahr vor seinem Tod entstanden ist. Er habe den "Tod eines Königs" gehabt, wurde später geschrieben. (Foto: Foto: dpa)

Über der Speicherstadt des Hamburger Hafens lag schon die Dämmerung. Rudolf Augstein sah noch Licht im neunten Stock des Spiegel-Hochhauses, an diesem Abend wollte er nicht nach Hause gehen. Er konnte nicht alleine sein. Blass und wie geistesabwesend stand er plötzlich im Redaktionsflur und bat darum, hier fernsehen zu dürfen.

Stunden zuvor war über die Nachrichtenticker die Meldung gelaufen, dass Franz Josef Strauß in Regensburg im Alter von 73 Jahren gestorben war. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident war zwei Tage zuvor im Jagdrevier des Fürsten von Thurn und Taxis kurz vor einer Hirschhatz zusammengebrochen und aus dem Koma nicht mehr aufgewacht. "Er hat einen schönen Tod gehabt", sagte später der General a. D. Gerd Schmückle, der Strauß sehr verehrte, "den Tod eines Königs."

"Gott mit Dir, Franz Josef"

Rudolf Augstein saß an diesem Abend bis weit nach Mitternacht stumm in einem kleinen Redaktionszimmer, ohne Licht, versunken in einem Schreibtisch-Sessel und starrte stundenlang auf den Bildschirm. Er trauerte.

Im Fernsehen liefen die Nachrufe auf Franz Josef Strauß, Würdigungen eines Politikerlebens, das Rudolf Augstein mitgeprägt und mitbeeinflusst hatte. Auch von ihm selbst war oft die Rede. Jetzt nahm er Abschied. Abschied von seinem großen Kontrahenten, von einem Politiker, den er als Publizist über Jahrzehnte bekämpft und verfolgt, den er aber auch geschätzt und bewundert hatte.

"Die Zeit, da Männer noch wussten, wo es langgeht, und da sie noch Geschichte machten", schrieb Augstein eine Woche später etwas wehmütig in seinem Nachruf, "sie ist für uns auf immer vorbei. Gott mit Dir, Franz Josef Strauß."

"Für uns", das sollte bedeuten, dass beide, Augstein wie Strauß, für die deutsche Nachkriegsgeschichte standen, dass sie zu Symbolfiguren dieser jungen Republik geworden waren. Zwei Männer, die gegensätzlicher nicht hätten sein können, obwohl sie so vieles gemeinsam hatten: das katholische Elternhaus, die Kriegserfahrung, den scharfen Intellekt und das Machtbewusstsein.

Sie brillierten mit bestechenden Geschichtskenntnissen, schätzten es, finanziell unabhängig zu sein, ohne das Geld zu vergötzen; sie liebten das Bier, die Côte d'Azur und die Frauen. Sie lebten als Genussmenschen - der barocke, massige Landesvater und der schmächtige, scharfzüngige Journalist. Sie pflegten geradezu ihre Feindschaft, weil sie sich charakterlich so ähnelten, die Ablehnung des anderen für das eigene Ego brauchten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was es mit dem "Kamerad, weißt Du noch"-Abend auf sich hatte.

Franz Josef Strauß
:Bayerns letzter König

Franz Josef Strauß wurde in Bayern verehrt wie ein König, in der Politik geschätzt oder gefürchtet: Das Leben der CSU-Ikone in Bildern.

Ohne Strauß hätte es keine Spiegel-Affäre gegeben, wäre Augsteins Magazin nicht zum Leitmedium des investigativen, furchtlosen Journalismus geworden, zum Wortführer einer deutschen Nachkriegsgeneration, die aufbegehrte, weil sie den restaurativen Muff der Adenauer-Zeit nicht länger ertragen wollte, weil sie sich in einer freizügigen, friedlich liberalen Gesellschaft einrichten wollte und Politiker wie Strauß als machtbesessenen, kriegstreiberischen Atomwaffenfanatiker bekämpften.

Ohne Augstein wäre Strauß vermutlich Kanzler geworden, und das Verblüffende dabei ist, dass es Strauß offenbar selber so sah. Wie sonst hätte er sich von seinem unbeherrschten Temperament, von seinem Verfolgungswahn so treiben lassen können, dass er 1962 ohne jedes Recht, ohne zuständig zu sein und stark vom Rachebedürfnis getrieben, die Festnahme von Spiegel-Redakteuren veranlasste, sie als Landesverräter verfolgen und ins Gefängnis bringen ließ - ein Vorgang, der bei allem Eifer durchsuchungsfreudiger Staatsanwälte heute so nicht mehr denkbar wäre.

"Die Schweine - jetzt haben wir sie endlich!" frohlockte Strauß gegenüber seinem Fahrer Otto Finger, nachdem spanische Ermittler auf seine Intervention hin den stellvertretenden Spiegel-Chefredakteur Conrad Ahlers im Ferienort Torremolinos festgenommen hatten.

Nach Ahlers' Vernehmung könne er, Strauß, endlich beweisen, dass es sich bei den Spiegel-Banditen um vaterlandslose Gesellen handele, die erst Staatsgeheimnisse verraten und sich anschließend ins Ausland abgesetzt hätten. So jedenfalls schildert es Chauffeur Finger in einer huldigenden Strauß-Biografie, die sein Sohn Stefan, ein Politologe, vor drei Jahren vorgelegt hat.

103 Tage Gefängnis

Was war passiert? Der Spiegel hatte in einer Titelgeschichte über das Nato-Manöver "Fallex 62" die Kampfkraft und Strategie der Bundeswehr analysiert ("Bedingt abwehrbereit") und dabei angeblich geheime Unterlagen preisgegeben. Kanzler Konrad Adenauer witterte einen "Abgrund von Landesverrat".

Strauß sah die Stunde der Abrechnung gekommen, schaltete sich eigenmächtig in die Ermittlungen ein, um den "publizistischen Robespierre", wie er Augstein nannte, endlich erledigen zu können.

Es kam anders. Strauß musste, nachdem er auch noch das Parlament belogen hatte, als Verteidigungsminister zurücktreten. Juristisch blieb die Spiegel-Affäre ohne gravierende Folgen. Augstein saß drei Monate in Untersuchungshaft, bekam später eine Haftentschädigung.

Wegen Landesverrats verurteilt wurde keiner, der Bundesgerichtshof lehnte die Eröffnung eines Verfahrens ab. Und das Bundesverfassungsgericht konnte sich bei Stimmengleichheit nicht dazu durchringen, der Regierung Adenauer einen Verstoß gegen die Pressefreiheit und damit gegen die Verfassung nachzuweisen.

"Ich habe sie ja nie gehasst"

Vierzig Jahre später fand es der Spiegel-Herausgeber an der Zeit, mit den großen Gegnern Adenauer und Strauß seinen Frieden zu machen. "Ich habe sie ja nie gehasst", sagte er 2002 in einem Interview mit dem eigenen Blatt, "es war ein Kampf, nicht mehr, nicht weniger". Mit Strauß habe er "ante finem" per Brief einen "Kamerad, weißt Du noch"-Abend vereinbart, zu dem es dann nicht mehr gekommen war. "Was sind schon 103 Tage Gefängnis in einem langen Leben", so das Fazit von Rudolf Augstein, "wenn dadurch so viel erreicht wurde?"

Franz Josef Strauß schlug in seinen "Erinnerungen" einen weniger versöhnlichen Ton an. Augstein sei "von Komplexen geplagt" und in der deutschen Publizistik das, "was der listig verschlagene Loki in der germanischen Sagen- und Götterwelt" sei.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, der Augstein ebenso schätzte wie er Strauß verehrte, schrieb nach dem Tod Augsteins, "umgebracht hätten sich diese Gegenkameraden nie" - und wenn doch, dann nur so, "dass der gerade Niedergestreckte sofort wieder aufstand und weiter tat".

Mit dieser Folge endet die SZ-Serie zum 20. Todestag von Franz Josef Strauß.

© SZ vom 02.09.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: