Nürnberg:Die Spielwarenmesse feiert 70. Jubiläum - und dieser Mann gleich mit

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Der Senior-Chef war schon als 14-Jähriger das erste Mal auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. (Foto: Maximilian Gerl)

Andreas Loquai ist der einzige Aussteller, der von Anfang an persönlich auf der Nürnberger Messe dabei ist. Sein Geschäftsmodell ist heute noch dasselbe wie früher.

Von Maximilian Gerl

Anderswo segeln Drohnen durch die Lüfte, sprechen Plüschtiere, feuern ferngesteuerte Panzer imaginäre Geschosse. Doch am Stand von Andreas Loquai scheint Zeit relativ zu sein. Im Regal wartet eine Blumenpresse. Mikado-Stäbchen ruhen in einer Schachtel. Holzloks schnaufen lautlos. Loquai stellt eine auf den Tisch. Früher produzierte seine Firma jährlich bis zu 200 000 Stück. "Heute sind es 2000." Aber Loquai will nicht meckern. "Gestern haben wir es derwurschtelt, morgen derwurschteln wir es auch", wird er später sagen; er meint das explizit positiv.

Die Spielwarenmesse Nürnberg feiert ihr 70-jähriges Bestehen. Sie gilt als wichtiger Branchentreff, rund 2900 Aussteller aus 68 Ländern zeigen dort bis Sonntag ihre Produkte. Auch Loquai stellt wieder aus, wo sonst, wie sonst. Die Messe ist um ihn herumgewachsen. Sie wurde größer, bunter, lauter, hat Trends ausgespuckt und wieder verschluckt. Doch Loquai und sein Holzspielzeug sind immer noch da. Er ist der einzige Aussteller, der in all den Jahren jede Messe persönlich mitgemacht hat. Am Samstagabend wollen ihn die Organisatoren deshalb würdigen, für langjährige Treue gewissermaßen. Und ein bisschen dafür, dass sein Geschäftsmodell weiter funktioniert, auch wenn es manchen anachronistisch erscheinen mag.

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Loquai, Jahrgang 1935, kommt aus Pöttmes im Landkreis Aichach-Friedberg. Latzhose, Weste, Kette mit Holzverschluss. Er ist dieser Tage ein gefragter Mann, wie so oft, wenn Messe ist. Loquai selbst sieht den Rummel entspannt. Lieber erzählt er, wie er die Genossenschaft, die hinter der Spielwarenmesse steht, mit Anträgen und Kritik auf Trab hielt. Es klingt, als habe er über Jahrzehnte mit Hingabe den unbequemen Kopf gegeben und sich dabei prächtig amüsiert. "Ich habe immer gesagt, was die anderen gedacht haben." Über Kollegen, die das Thema Qualität in Interviews ausbreiteten, spottet er: "kindisch". Qualität sei eine Grundvoraussetzung in vielen Branchen, nicht nur beim Spielzeug.

Die Nürnberger Spielwarenmesse wurde 1949 gegründet. Die erste Schau fand aber erst 1950 statt. Neben Loquai-Holzkunst gibt es 20 Firmen, die seitdem jedes Jahr dort vertreten sind - wenn auch inzwischen mit anderem Personal. Zu den bekanntesten dieser Aussteller zählen Haba und Märklin. Ihre Stände gleichen Erlebniswelten, Besucher können sich verlieren. Der Stand von Loquai-Holzkunst besteht aus ein paar Regalen und Tischen, leicht zu übersehen. Ein Räuchermännchen mit Schaffnerkelle erinnert an die Holzkunst des Erzgebirges, der Heimat von Firmengründer Rudolf Arwed Loquai. Der Zweite Weltkrieg hatte ihn nach Bayern verschlagen; im sächsischen Augustusburg hatte er zuvor einen Versandhandel für Spielzeug aufgebaut.

Spielzeug im Streichholzformat: Regelmäßig denken sich Andreas Loquai und seine Söhne neue Varianten für ihr Holzspielzeug aus, mal Puzzles, mal Fingerspiele. (Foto: Maximilian Gerl)

Zur ersten Spielwarenmesse kamen 351 Aussteller aus Deutschland und dem ehemaligen Reichsgebiet. Man traf sich in Baracken. Die Stände waren Tischchen, ein Meter auf einen Meter. Loquai musste zum Auf- und Abbau mit, das war "zwei Wochen vor meinem 15. Geburtstag", sagt er. Dass sie überhaupt etwas zum Ausstellen hatten, grenzte an ein Wunder. Einen Monat zuvor war der Betrieb mit allen Messemustern abgebrannt. Ein Schreiner ließ Loquais Vater abends in die Werkstatt, damit er neue Muster anfertigen konnte.

Im Jahr 1967 starb Rudolf Arwed Loquai. Sohn Andreas übernahm den Betrieb mit seinen Geschwistern. Bis heute kümmert er sich um die Firmenfinanzen, obwohl seine beiden Söhne längst als Geschäftsführer fungieren. Der Umsatz liegt bei 250 000 Euro im Jahr. Die Holzwaren gehen vor allem an Großhändler, die Kindergärten ausstatten. Beliebt seien dort kleine Verkehrsschilder, sagt Loquai, zur Verkehrserziehung. Aufgereiht hängen Einbahnstraßen-, Stopp- und Baustellenzeichen hinter ihm an der Wand. Auf einem Tisch liegen Holzpuzzles aus, Herzen, Häuser, Würfel. Viele Produkte bestehen aus kleinen Elementen verschiedener Hölzer. In Pöttmes fräsen und schleifen Maschinen vor, was Menschen in Heimarbeit später zusammenkleben.

Horst Loquai, der ältere Sohn, begrüßt am Stand einen Besucher. "Er schon wieder", sagt er. Die Spielwarenmesse ist wie ein Klassentreffen. Manche Beziehungen gehen über Generationen. Ständig schauen bekannte Gesichter vorbei. Auch Horst Loquai erlebte früh seine erste Messe: 1982 als knapp 16-Jähriger. Nur wollte ihn damals niemand einlassen. Kinder hatten auf der Messe nichts zu suchen und "ich war halt doch ein bisserl kleiner", sagt er. Schließlich steckte ihn sein Vater in eine Kiste und schmuggelte ihn durch die Kontrollen. "Die Standnachbarn haben ganz schön geschaut, als da jemand aus dem Karton gestiegen ist."

Die Spielwarenmesse präsentiert sich recht traditionell. Wer durch die Gänge streift, trifft auf Brettspiele, Schaukelpferde, Baukastensysteme. Das täuscht über die Lage hinweg. Die Branche wandelt sich gerade, Digitales und Elektronisches ist angesagt. Der Spielwarenmarkt in Deutschland wird auf 3,1 Milliarden Euro geschätzt. Holzspielzeug kommt auf einen Anteil von drei bis vier Prozent. "Es waren auch schon mal acht plus", sagt Andreas Loquai. Dass es trotzdem fast 100 Holzspielzeuganbieter in Deutschland gebe, liege an der hohen Kaufkraft - und der Planbarkeit bei den Kosten. Sein Sohn ergänzt: "Viele sagen, Holzspielzeug kommt wieder. Dem ist nicht so."

Zur schönen neuen Spielzeugwelt sind es nur ein paar Schritte den Gang runter. Am anderen Ende der Halle steht die "Trend Gallery". Weiße Aufbauten, bemühte Eleganz. Vitrinen zeigen Neuheiten wie einen E-Tretroller. Auf einer Bühne nebenan wird über "Global Licensing" diskutiert. Das große Geld erwirtschaftet die Industrie inzwischen mit Lizenzen von bekannten Popkulturmarken: mit Spiderman-Mützen oder Figuren aus dem Star-Wars-Universum.

Die Loquais machen sich dennoch keine Sorgen. Sie sitzen in einer Nische. Ihre Produkte sind, untypisch für Holzspielzeug, für Kinder zwischen drei und sechs gedacht; aus dem Saisongeschäft Weihnachten halten sie sich heraus. Ohnehin zeigt der Senior-Chef bei Zukunftsfragen Gelassenheit. Es geht immer weiter, "durchwurschteln" halt. Sollte er mal im Rollstuhl sitzen, werde er nicht mehr die Messe besuchen, sagt Loquai und tippt sich an die Stirn. "Aber solange ich kann und geistig fit bin, komme ich her."

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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