SPD-Landeschefin Kohnen:"Wow"

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Vor dem Landesparteitag waren die Vorwürfe gegen Landeschefin Natascha Kohnen massiv. Trotzdem hat sie sich zur Wiederwahl gestellt. (Foto: dpa)
  • Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen wird auf dem Landesparteitag mit 79,3 Prozent als Landesvorsitzende wiedergewählt.
  • Angesichts des Landtagwahlergebnisses und der parteiinternen Diskussionen ein besseres Ergebnis, als viele erwartet hatten.
  • Kohnens Rede kann als Hinweis genommen werden, wie sie die SPD wieder aufrichten möchte.

Von Lisa Schnell, Bad Windsheim

Natascha Kohnen sitzt beim Parteitag der SPD in der ersten Reihe auf einem blauen Stuhl. Wie sehr sie an diesem klebt und ob sie ihn nicht lieber freimachen sollte, darüber gab es in der SPD durchaus unterschiedliche Auffassungen. Gut eine Stunde löst sich Kohnen kaum von der blauen Lehne. Ihre Kritiker würden ihr das vielleicht als Klebetendenz auslegen, auf der anderen Seite: Die Stühle auf dem Parteitag der SPD in Bad Windsheim sind recht bequem. Dann aber geschieht es doch: Natascha Kohnen erhebt sich. Der Stuhl der SPD-Landesvorsitzenden ist tatsächlich leer. Kurz darauf setzt sich die neue Chefin. Sie heißt: Natascha Kohnen.

Mit 79,3 Prozent wählen die über 300 Delegierten Natascha Kohnen wieder zu ihrer Vorsitzenden. Das sind neun Prozentpunkte weniger als Kohnen 2017 erreichte, aber weit mehr, als es viele erwartet hatten. Schließlich ist es erst drei Monate her, dass die SPD mit Kohnen als Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen nur 9,7 Prozent erreichte, Fünfter wurde, hinter der AfD. Ein Brandbrief folgte von namhaften SPD-Politikern, die nicht nur zwischen den Zeilen Kohnens Rücktritt verlangten, nur einen Tag vor dem Parteitag wiederholte Florian Post, wohl Kohnens schärfster Kritiker, die Forderung noch einmal zum Nachlesen in mehreren Zeitungen. Und jetzt also fast 80 Prozent.

Selbst Kohnen wirkt überrascht, als sie sich in die vielen Gratulationsumarmungen begibt. Eine erste Reaktion? "Wow!" und dann die Begründung für den Erleichterungsausbruch: "Ich brauche ein Ergebnis, das mich arbeitsfähig macht."

Ähnlichkeiten mit der CSU

Das haben ihr die Genossen gegeben. Sie sind damit der CSU nicht unähnlich, die gerade ihren erfolglosen Spitzenkandidat Markus Söder zum Parteichef machte. Auch die SPD straft ihre Wahlverliererin nicht ab, sondern stärkt sie. Bei der CSU wird dieses Phänomen, in der Krise zusammenzustehen, die "legendäre Geschlossenheit" genannt. Bei der SPD gibt ihm der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn den Namen "politische Vernunft" und lässt schon ahnen, dass unter den Genossen, die für Kohnen stimmten, nicht jeder sofort einen Fanclub für sie aufmachen würde.

Einigen von ihnen wäre das natürlich schon zuzutrauen. Vor allem an der Basis sei Kohnen weiterhin sehr beliebt, heißt es. "Natascha, du hast mich stolz auf die Bayern-SPD gemacht", lässt etwa Markus Gill aus Freising Kohnen vom Rednerpult aus wissen. Er gehört zu denen, die das schlechte Wahlergebnis vor allem und fast ausschließlich auf die Bundes-SPD zurückführen. Kohnens Lage sei doch von vornherein "aussichtslos" gewesen, argumentiert Carsten Träger, Bezirkschef von Mittelfranken und treuer Kohnen-Unterstützer. Für all diejenigen, "die es besser wissen", hat er die Frage parat: "Warum tritt denn dann keiner an?"

Er hätte dabei auch direkt zu Florian Post blicken können, der dann wohl auf den Stuhl von Kohnen verwiesen hätte und ihre Klebekraft an selbigem. Wenn sie den Weg freigemacht hätte, wären schon Gegenkandidaten gekommen. So sieht er das. Hat sie nicht. Was also bleibt ihren Kritikern übrig, als der "politischen Vernunft" zu folgen, wenn sie die Partei nicht noch mehr spalten möchten? So erklären sich Kohnens Kritiker das gute Ergebnis von rund 80 Prozent, das doch eigentlich gar nicht so gut sei ohne Gegenkandidat. "Dass es unter 80 Prozent sind, zeigt eine deutliche Unzufriedenheit", sagt Post. Die nächste Messlatte für Kohnen sei nun die Europawahl. Da erwarte er ein zweistelliges Ergebnis. Sein Kollege im Bundestag, Michael Schrodi, liest aus dem Wahlergebnis den Auftrag an Kohnen ab, "in den nächsten Monaten einiges Neues zu wagen".

Kohnen verteidigt in ihrer Rede zentrale Punkte ihres Wahlkampfs

Einen Leitantrag, in dem der Landesvorstand den Delegierten seine Ideen zur Abstimmung stellt, legt Kohnen nicht vor. Nur ihre Rede kann als Hinweis genommen werden, wie sie die SPD wieder aufrichten möchte. Darin verteidigt Kohnen zentrale Punkte ihres Wahlkampfs. Haltung und Anstand zu plakatieren sei richtig gewesen, genau wie Themen und Inhalte. Das Vertrauen in die SPD hätten die Menschen schon vor Jahren verloren. Kohnen skizziert, wie sie es zurückgewinnen möchte. Sie fordert ihre Partei dazu auf, sich nicht im "Sowohl als Auch" zu verlieren, sondern klare Kante zu zeigen: "Wir müssen lernen, dass wir es nicht allen recht machen können." So sei die anfangs zurückhaltende Haltung der SPD zum umstrittenen Polizeiaufgabengesetz "schlichtweg falsch" gewesen.

Die SPD müsse ihre "ureigenen Werte" wie Solidarität und Gerechtigkeit wieder mit Leben füllen, sagt Kohnen. Dass sie derzeit für viele nur Worthülsen sind, zeigte der letzte Bayerntrend. Die Umfrage des Bayerischen Rundfunks ergab, dass die Bayern sogar beim Thema "soziale Gerechtigkeit" mehr der CSU als der SPD vertrauen. Kohnen schwor die Delegierten nun darauf ein, mit ihr für einen "starken Sozialstaat" zu kämpfen. Wer zu schwach sei, um sich in der "Wettbewerbsgesellschaft" durchzusetzen, habe derzeit schlichtweg Pech gehabt, während "die reichsten Menschen "sich auf obszöne Art bereichern."

Der SPD-Finanzminister in Berlin müsse der erste sein, der den "ungezügelten Neoliberalismus" zügele. In ihrem Amt als stellvertretende Bundesvorsitzende werde sie für die Überzeugungen der Bayern-SPD eintreten, verspricht Kohnen. Sie will außerdem die Umweltpolitik mehr in den Mittelpunkt stellen. Diesen Bereich habe die SPD "unglaublich vernachlässigt". Gleichzeitig grenzt sie sich scharf von den Grünen ab, denen wirft sie vor, Umweltpolitik nur für Wohlhabende zu machen. Lobend erwähnt Kohnen den Umweltpolitiker Florian von Brunn und damit einen ihrer Kritiker. Vielleicht ein kleiner Versöhnungsversuch?

Kohnens Rede wurde mit großem Applaus bedacht. Viele in der Partei wünschen sich, dass der interne Machtkampf mit dem guten Ergebnis für sie nun ausgestanden ist. Dafür aber müsse Kohnen ihre Kritiker einbinden, sagt ein führendes SPD-Mitglied. Florian Post klingt nicht allzu zuversichtlich: "Ich lasse mich da mal überraschen. Bisher bekommt man ja nicht mal Antworten auf Mails oder SMS."

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