Sozialpolitik in Bayern:Barrierefrei, aber nur ein bisschen

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Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Plenarsitzung im bayerischen Landtag. (Foto: dpa)

"Bayern wird in zehn Jahren komplett barrierefrei": Das hat Horst Seehofer nach seiner Wiederwahl im Herbst angekündigt. Doch was wird aus seinem Versprechen, wenn die Umsetzung den Freistaat nicht viel kosten darf?

Von Dietrich Mittler und Mike Szymanski, München

Die Staatsregierung rudert bei einem ihrer zentralen Versprechen dieser Legislaturperiode zurück. Ministerpräsident Horst Seehofer hatte bei seiner ersten Regierungserklärung nach der Wiederwahl im Herbst erklärt: "Bayern wird in zehn Jahren komplett barrierefrei." Wirklich zuständig - also auch für die Finanzierung - fühlt sich seine Regierung allerdings nur für den staatlichen Bereich. "Jeder hat seine Verantwortung", sagte er am Dienstag nach der Kabinettssitzung.

Er wolle aber darauf hinwirken, dass Kommunen, private Träger und Unternehmen wie etwa die Bahn ihrer Verantwortung ebenfalls nachkämen. Seehofer glaubt, eine "große Bewegung" anstoßen zu können. Es handle sich dabei um einen Appell, wie Staatskanzleichefin Christine Haderthauer ausführte. An mehr Geld für die Kommunen oder die Bahn, damit sie diese Aufgabe bewältigen können, sei derzeit aber nicht gedacht.

"Was nicht in Frage kommt, ist, dass alle sich zurücklehnen und der Freistaat die Aufgaben anderer übernimmt", sagte Haderthauer. Die kommunalen Spitzenverbände erklärten umgehend, ohne finanzielle Hilfe des Freistaats sei das Ziel der behindertengerechten Gesellschaft in Bayern bis 2023 nicht zu erreichen.

"Wer die Musik bestellt, bezahlt"

Sozialministerin Emilia Müller hatte ihre Kabinettskollegen am Dienstag dazu gezwungen, Position in der Frage zu beziehen, wie die Staatsregierung Seehofers Versprechen auslegt. Müller geht von Kosten von weit mehr als 1,3 Milliarden Euro in den nächsten Jahren aus. In einer Vorlage für die Besprechung hatte sie selbst Seehofers Worte noch weit ausgelegt.

Das in der Regierungserklärung angekündigte Sonderinvestitionsprogramm dürfe "keinen Bereich des öffentlichen Raums ausklammern". Auch Kommunen und Unternehmen seien bei der Förderung zu berücksichtigen. Zudem "stehe außer Frage, dass rein appellative Initiativen nicht geeignet sind, das vorgegebene Ziel zu erreichen", heißt es darin weiter.

Finanzminister Markus Söder sah jedoch immense Kosten auf den Freistaat zukommen, sollte Müllers Konzept so umgesetzt werden. Sobald die Staatsregierung beispielsweise den Kommunen gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit macht, müsste der Freistaat nach dem Prinzip "Wer die Musik bestellt, bezahlt" auch für die Kosten aufkommen. Die finanziellen Spielräume für die nächsten Jahre sind aber begrenzt. Seehofer hat durchgesetzt, dass die Ausgaben im kommenden Doppelhaushalt nur um maximal etwa drei Milliarden Euro steigen dürften. Schon jetzt liegen Wünsche aus den Ministerien im Volumen von zehn Milliarden Euro vor.

In der Kabinettssitzung setzte er sich offenbar mit seinen Bedenken gegen Müller durch. Haderthauer erklärte hinterher, Müllers Konzept sei "zur Kenntnis genommen" worden, nicht beschlossen. Sie habe zudem den Auftrag erhalten, bis zu Haushaltsklausur in Quirin am Tegernsee in gut zwei Wochen einige konkrete Projekte zu benennen und Prioritäten zu setzen. Müller muss deutliche Abstriche machen. Ob sie die von ihr beanspruchten knapp 180 Millionen Euro für die Barrierefreiheit im Doppelhaushalt 2015/2016 durchsetzt, ist offen. Haderthauer sprach lediglich von einer "deutlichen Kraftanstrengung". Finanzminister Söder sprach von "glaubwürdigen und finanzierbaren Schritten".

Uwe Brandl kündigt harten Widerstand an

Vertreter der kommunalen Spitzenverbände warnten Seehofer davor, die Städte und Gemeinden mit dieser Aufgabe alleine zu lassen. Bayerns Städtetagspräsident, Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Der Freistaat muss uns unterstützen, sonst ist das Ziel nicht zu erreichen." Maly bezeichnete Seehofers Vorhaben als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", die Kommunen würden es selbstverständlich "mitfinanzieren".

Aber, auch dies müsse jedem klar sein, es werde teuer. Probleme für die Kommunen sieht Maly vor allem beim Umbau denkmalgeschützter Schulen. Seehofers Ziel, den Freistaat bis 2023 komplett barrierefrei zu machen, hält er ohnehin nicht für erreichbar. Allerdings könnten "für jedes Kind, für jeden Erwachsenen in zumutbarer Entfernung" barrierefreie Angebote geschaffen werden. Dann wäre schon viel erreicht, meint Maly.

Gemeindetagschef Uwe Brandl kündigt bereits harten Widerstand an, sollte Seehofer bei seiner Linie bleiben. "Wir werden mit Sicherheit nicht zusehen, wie sich der Staat aus seiner Mitverantwortung verabschiedet", sagte er am Dienstag. Aufgaben, die der Freistaat den Kommunen übertrage, habe er auch zu finanzieren. Und das sei im Falle des Programms "Bayern barrierefrei 2023" eindeutig der Fall. "Allein, dass die Staatsregierung uns hier einen konkreten Zeitpunkt vorgibt, wann bestimmte Dinge erledigt sein müssen, ist ein Beweis dafür", sagte Brandl.

© SZ vom 02.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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