Der Regent der Vogelwelt schickt sich an, am Südufer des Ammersees womöglich ansässig zu werden. Über den Zeitraum von drei Monaten ist in diesem Winter wiederholt ein junger Seeadler beobachtet worden. Zum König der Lüfte reicht es bei ihm noch nicht, aber immerhin zum Prinzen: Der wohl männliche Raubvogel wird erst in zwei oder drei Jahren die Geschlechtsreife erreichen.
Dass sich Seeadler im Fünfseenland je wieder zur Brut niederlassen, wird von Ornithologen eher bezweifelt - auch wenn die Art unbestritten auf dem Vormarsch ist. Realistischer scheint es, dass ihre entfernten Verwandten, die Fischadler, nach mehr als 100 Jahren wieder dauerhaft eine Heimat am Ammersee finden. Im vergangenen Sommer hat ein Männchen am Südufer schon mal ein Quartier errichtet, die Braut blieb aber aus.
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Lange Zeit sei der Fischadler mit bloßem Auge vom Dießener Vogelbeobachtungsturm beim Horstbau zu sehen gewesen, erzählt Reinhard Grießmeyer, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Ammersee-Süd (SGA). Er fürchtet freilich, dass sich dort kein Paar dauerhaft niederlassen wird. Der vom Raubvogel ausgesuchte Brutplatz nahe der alten Ammer sei zu sehr Störungen durch Bootsfahrer und andere Erholungssuchende ausgesetzt.
Die Schutzgemeinschaft hatte deshalb geplant, den Horst um 200 Meter nach Süden zu versetzen. Doch die erforderliche Genehmigung zur Umsiedlung ist zu Grießmeyers Bedauern ausgeblieben. "Heuer entscheidet es sich, ob er ein Weibchen finden wird." Die Brutpaare reagierten gerade im ersten Jahr sehr, sehr empfindlich auf Störungen. Mit ihrer Rückkehr sei dann auch in den Folgejahren nicht zu rechnen.
Die Schutzgemeischaft, die das umfangreiche Vogel- und Nauturschutzgebiet am Ammersee-Südufer betreut und pflegt, hat bereits einen missglückten Versuch zur Erstansiedlung von Fischadlern hinter sich. Nachdem 2012 ein Männchen beim übersommern am Ammerseesüdufer beobachtet wurde, wurden im Jahr darauf mit Genehmigung und Finanzierung der Regierung vier Nisthilfen auf Bäumen zwischen dem Wessobrunner und dem Andechser Höhenrücken aufgestellt. Doch keiner der künstlichen Horste wurde angenommen. Obwohl sie auf dem See zwischen Segelbooten jagen, sind Fischadler während der Brut sehr empfindlich: Jede Störung im Umkreis von 200 bis 300 Metern kann sie dazu veranlassen, ihr Nest aufzugeben.
Die Scheu der großen Fischadler hierzulande lässt sich historisch durchaus nachvollziehen. Trotz aller Unterschiede (siehe Kasten) teilen Fischadler und Seeadler ein gemeinsames Schicksal: Jahrhundertelange Nachstellungen mit Falle, Flinte und Gift hatten beiden in Bayern spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Garaus gemacht. Bundesweit wurden die Arten dann durch die Zerstörung von Lebensräumen und den Einsatz von Insektiziden mehrfach an den Rand der Ausrottung gebracht. Mitte der 1960er-Jahre nisteten gerade noch sieben Seeadlerpaare in der Bundesrepublik, der Fischadlerbestand belief sich noch 1975 auf lediglich 70 Paare. Doch dann begannen von Nord- und Ostsee aus erstaunlich erfolgreiche Rückeroberungszüge.
Heute wird die gesamtdeutsche Fischadlerpopulation wieder auf 500 bis 700 Paare geschätzt. 1992 brütete nach etwa 150 Jahren wieder erstmals ein Paar in Bayern. Vom Truppenübungsplatz Grafenwöhr breitet sich die Art in der Oberpfalz und Franken aus, der gesamte Bestand im Freistaat wird auf etwa 20 Paare geschätzt, in Südbayern kann bislang keine erfolgreiche Brut nachgewiesen werden. Doch als Durchzügler ist der Fischadler inzwischen im Fünfseenland ein vertrauter Anblick: Die Arbeitsgemeinschaft Starnberger Ornithologen (ASO) verzeichnet im Landkreis seit 2016 jährlich drei bis 14 Beobachtungen. 2023 wurden im April und Mai sowie August und September insgesamt sieben Mal Fischadler gesichtet, sechsmal davon am Starnberger See.
Sehr viel seltener ließe sich der Seeadler blicken, sagt der ASO-Vorsitzende Pit Brützel. Vor fast genau einem Jahr wurde an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ein Exemplar am Starnberger See gesichtet, es war die erste Beobachtung seit 2016 im Landkreis Starnberg. Doch bis sich Seeadler tatsächlich ansiedeln, sei es noch ein langer Weg: Am Chiemsee seien etwa bislang alle Versuche, Nisthilfen zum Horstbau bereitzustellen gescheitert. Der juvenile Seeadler im südlichen Bereich des Ammersees sei erstmals im Mai 2023 beobachtet worden, sagt Grießmeyer. In diesem Winter hat der Riederauer Fischer Sebastian Hölch den markanten Vogel im Oktober und Anfang Februar jeweils einige Tage lang gesichtet, von einer "Überwinterung" will er aber nicht sprechen. So wurde wahrscheinlich derselbe Seeadler auch am 13. Januar an einer Lechstaustufe nördlich von Landsberg entdeckt.
150 Jahre lang war der Seeadler in Bayern ausgestorben
Der naturbegeisterte Fischer fürchtet den Seeadler nicht als Beutekonkurrenten, sondern freut sich über den seltenen Anblick: "Es wäre ein Traum, wenn der da bliebe", sagt Hölch. Im Ökosystem des Sees sieht er den großen Raubvogel "auf jeden Fall mehr als Nützling als Schädling, der auch bei den Kormoranen für Unruhe sorgt".
Der Jungvogel ist bereits deutlich größer als ein Milan und nahezu ausgewachsen. Mit bis zu 2,50 Meter Spannweite und sieben Kilogramm Gewicht sind Seeadler-Weibchen die größten europäischen Greifvögel, wenn man von Geiern absieht. Zu den "extrem seltenen Arten mit geographischer Restriktion" zählt das Bayerische Landesamt für Umwelt Haliaeetus albicilla. Der majestätische Vogel, als Bundesadler Symbol der deutschen Staatshoheit, war in Bayern bereits 150 Jahre lang ausgestorben.
Seit 1993 gilt der Seeadler nicht mehr als gefährdet; heute leben mit rund 1000 Brutpaaren so viele Seeadler in Deutschland wie seit 200 Jahren nicht mehr - der größte Teil davon freilich in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Die Geschichte des Wiedereinzugs in Bayern beginnt deutlich später und verläuft langsamer. 2001 wurde erstmals wieder eine Seeadlerbrut im Freistaat nachgewiesen, 2019 konnten 16 bayerische Seeadlerpaare erfolgreich Nachwuchs großziehen. 2023 gab es in Bayern 32 Seeadlerpaare, ein bis zwei davon in Oberbayern. Als Sensation wurde 2022 gewertet, dass in Dillingen an der Donau ein Pärchen brütete. Weitere Brutplätze existieren am Altmühlsee und am Unteren Inn, Versuche zu Ansiedlungen in Oberbayern sind laut Landesamt für Umwelt mehrmals gescheitert. Auch Seeadler benötigen vor allem während der Brutzeit absolute Ruhe, damit sie ihre Jungen großziehen können.
Sie können bis zu fünf Kilogramm schwere Fische erbeuten, beschränken sich aber meist auf kranke oder geschwächte Tiere. Als Nahrungsopportunisten verschmähen sie kein Aas, sind aber auch in der Lage, einen Jungfuchs zu schlagen. Seeadler jagen bevorzugt Wasservögel, manche spezialisieren sich bei der Beutesuche darauf, Jungkormorane aus den Nestern zu holen. Selbst ausgewachsene, bis vier Kilogramm schwere Graugänse können überwältigt werden. 2018 kam deshalb Herrschings Bürgermeister Christian Schiller auf die Idee, die lästigen Wasservögel aus der Uferpromenade mit einem auf Gänse abgerichteten Seeadler zu vergrämen. Der Falkner Miroslav Vrbicky reiste mit seinem imposanten Vogel aus Tschechien zur Ortsbesichtigung an den Ammersee, doch ein Einsatz scheiterte an den Jagdbehörden.
Auch wenn der majestätische Wappenvogel im dicht besiedelten Fünfseenland wohl nicht so bald wieder heimisch wird, auf dem Durchzug wird er sich auch dort immer öfter blicken lassen. Pit Brützel ist zuversichtlich: "Ich erwarte, dass sich in fünf bis zehn Jahren einzelne Brutpaare von See- und Fischadler in Südbayern niedergelassen haben."
Artensteckbriefe:
Seeadler
Merkmale: Sehr groß, bis 2,50 Meter Spannweite, Körperlänge bis 92 Zentimeter. Im Flug am vorgestreckten, langen Hals und den brettförmigen, gefingerten Schwingen zu erkennen. Geschlechtsreife Vögel sind überwiegend braun mit helleren Partien an Kopf, Hals, Brust und Rücken, weiße Schwanzfedern , gelbe Fänge und Iris.
Verbreitung: Weltweit auf der Nordhalbkugel von Grönland bis Japan, in Russland und Sibirien als Zugvogel. In Deutschland vor allem im Norden vertreten, in Südbayern derzeit noch höchstens zwei Brutpaare, Überwinterungen dort an den großen Seen noch selten, Tendenz aber steigend.
Brut: Balz bereits im Januar, Paarung im Februar, Brut Anfang Februar bis Ende Juli, Nester auf hohen, alten Bäumen, meist zwei Eier. Über Jahrzehnte genutzte Horste bis zwei Meter Durchmesser und 600 Kilogramm schwer.
Lebensweise: Maximales Alter 40 Jahre, Geschlechtsreife frühestens mit fünf Jahren, monogam. Ernährung: Fisch, Aas, Wasservögel, kleinere Säugetiere.
Fischadler
Merkmale: Größer als ein Milan, bis 1,80 Meter Spannweite und Körperlänge bis 65 Zentimeter. Flugbild erinnert an Möwen, Unterseite des gesamten Rumpfes, Kehle, Beine und Unterarmfedern weiß, Brust mit bräunlichem Band, Schnabel und Krallen grau.
Verbreitung: Weltweit auf allen Kontinenten von der Polarktis bis in den Tropen; in Deutschland weitgehend auf die neuen Bundesländer beschränkt. In Südbayern bislang noch keine erfolgreiche Brut.
Brut: Balz Mitte März, eine Jahresbrut zwischen April und Juli, meist zwei oder drei Eier. Nester auf hohen Bäumen oder Stromleitungen. Fischadler nutzen ihre bis 1,20 Meter messende Horste oft über viele Jahre.
Lebensweise: Langstreckenzieher, im Winter größtenteils in Afrika südlich der Sahara, am Mittelmeerraum oder in Südwestasien. Maximales Alter 20 bis 32 Jahre, Geschlechtsreife mit drei Jahren, monogam. Ernährung hauptsächlich Fische bis 300 Gramm, gelegentlich kleinere Wasservögel, Amphibien oder kleine Säugetiere.