Schlechte Bewertung im Internet:70.000 Euro für ein Fliegengitter

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Ein Mann bestellt ein Fliegengitter über Amazon, scheitert beim Zusammenbauen an der Anleitung - und stellt dem Händler ein schlechtes Zeugnis aus. Der hat seinen Kunden nun verklagt.

Von Anna Günther, Augsburg

Er hat in dem kleinen Reihenhaus selbst die Heizungsrohre verlegt, dann scheitert Thomas Allrutz allerdings am Fliegengitter für das Küchenfenster. Im Juni 2013 hatte er das Netz für 21,99 Euro über Amazon beim Händler IvVT.de bestellt. Allrutz maß wie beschrieben das Fenster aus, schnitt den Stoff zu, doch das weiße Gewebe war zu klein. Der Großaitinger rief den Händler aus Baden-Württemberg an und fühlte sich im Stich gelassen. Seinen Unmut äußerte Allrutz im Bewertungsmodul. So weit so üblich. Bei den meisten Online-Einkaufsportalen sind Bewertungen Standard. Sechs Monate nach dem Kauf erhielt Thomas Allrutz freilich eine Klageschrift über 70 000 Euro.

Er soll den Händler für Umsatzausfälle, Anwaltskosten und künftige Umsatzeinbußen entschädigen, die durch die negative Bewertung entstanden sind. Das Landgericht Augsburg wird sich am 25. Juni mit dem Fall befassen. Es geht um fundamentale Artikel des Grundgesetzes: freie Meinungsäußerung versus falsche Tatsachenbehauptung. Falsche Fakten zu verbreiten ist strafbar, der dadurch entstandene Schaden muss ersetzt werden.

Negative Bewertung schädigt das Geschäft

Thomas Allrutz schrieb zum Produkt: "Die Lieferung erfolgte schnell! Das war das positive. In der Anleitung steht ganz klar Mann muss den Innenrahmen messen das ist falsch! Damit wird das ganze zu kurz! Die Ware selber macht guten Stabilen Eindruck, Der Verkäufer nie wieder!" Für Allrutz' Anwalt Alexander Meyer ist das eine Meinungsäußerung. Selbst wenn die Bewertung als Tatsachenbehauptung gelten würde, wäre sie aus Meyers Sicht richtig: Die fraglichen Stellen der Bauanleitung sind mit Leuchtstift markiert.

Die Gegenseite sieht das anders und begründet die Klage außerdem mit der negativen Bewertung des Händlers. "Ich habe beim Verkäufer angerufen, Fazit: Er will sich dazu lieber nicht äußern, alleine das ist eine Frechheit." Der Händler habe ihn am Telefon ausgelacht, sagt Allrutz. Der Anwalt des Händlers, Jan Morgenstern, sieht eben darin die zweite falsche Tatsachenbehauptung. Sein Mandant habe binnen 20 Minuten mehrere E-Mails geschickt und Rechenbeispiele angefügt. "Dann zu sagen, der Händler reagiert nicht, ist falsch", sagt Morgenstern. Die negativen Bewertungen sollen seinem Mandanten massiv geschadet haben.

"Ein absoluter Albtraum"

Am 10. Juli 2013 drohte der Händler Allrutz mit einer Unterlassungsklage. Der Außenhandelskaufmann solle die negative Kritik löschen und 651,80 Euro Anwaltskosten übernehmen. Allrutz beschwerte sich bei Amazon und ließ die Bewertung auf Anraten der Service-Stelle im Netz. Die Rechtsschutzversicherung leitete ein Mediationsverfahren in die Wege, ohne Erfolg. Allrutz dachte, der Fall ist erledigt. Fünf Monate später kam die zwölfseitige Klageschrift. "Ein absoluter Albtraum", sagt er.

Amazon hatte in der Zwischenzeit auf die Beschwerde reagiert, den Händler abgemahnt und nach interner Prüfung dessen Zulassung wegen des Verstoßes gegen die Teilnahmebedingungen gesperrt sowie sein Guthabenkonto mit 13 000 Euro eingefroren. Dafür muss aus Sicht des Händlers der Kritiker geradestehen. "Wie Amazon reagiert, ist nicht nachvollziehbar, die können tun und lassen, was sie wollen", sagt Anwalt Morgenstern, aber Allrutz sei eben die Ursache und gegen die gehe man vor.

Die Verbraucherzentralen bieten auf der Seite surfer-haben-rechte.de Tipps zum Umgang mit Bewertungsportalen, Checklisten und Formulierungen . Einen vergleichbaren Fall wie der von Thomas Allrutz ist den Verbraucherschützern bisher nicht bekannt.

© SZ vom 16.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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