Es kommt nicht oft vor, dass Behörden noch kurz vor Mitternacht Pressemitteilungen verschicken. Und wenn doch, muss etwas Außergewöhnliches passiert sein. So wie am Freitagabend. Um 22.38 Uhr schickte die Regierung von Niederbayern eine E-Mail über ihren Verteiler. Der Betreff: "Bayern-Ei: Verkehrsverbot". Bayerns größter Eierproduzent, die niederbayerische Firma Bayern-Ei, dürfe "bis auf weiteres" keine Eier mehr "als Lebensmittel" ausliefern. Kurzum, Bayerns Behörden machen den skandalgebeutelten Betrieb faktisch dicht.
Bayern-Ei hat im Sommer 2014 mutmaßlich einen europaweiten Salmonellenausbruch ausgelöst, Hunderte Menschen erkrankten, mindestens zwei Männer starben. Das bayerische Verbraucherschutzministerium, das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), die zuständigen Landratsämter sowie die Regierung von Niederbayern reagierten jedoch zunächst zögerlich. Sie greifen erst jetzt durch, im Sommer 2015.
Das nun verhängte Verkaufsverbot gilt nach Angaben der Regierung von Niederbayern für die Bayern-Ei Standorte Aiterhofen (Landkreis Straubing-Bogen) und Aholming (Landkreis Deggendorf). Insgesamt hält Bayern-Ei noch an zwei weiteren Standorten in Niederbayern Hühner: In Ettling werden derzeit jedoch keine Eier produziert, weil die Hühner vor Kurzem getötet - oder wie es in der Fachsprache heißt: "ausgestallt" - wurden. Das Töten der Hühner etwa alle zwölf Monate ist in der industriellen Eierproduktion Usus. Am vierten Bayern-Ei-Standort in Mamming werden keine Eier produziert, dort werden lediglich Junghennen aufgezogen.
Für Bayern-Ei heißt das Verbot: Der Betrieb liegt brach. Hunderttausende Eier, die jeden Tag gelegt werden, sind unbrauchbar. Sie dürfen nicht mehr für Lebensmittel verwendet werden. Wie lange Bayern-Ei-Eigentümer Stefan Pohlmann es sich leisten kann, für den Müll zu produzieren, ist fraglich.
Die Behörden begründen den Schritt mit einem schwerwiegenden Verdacht: Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Regensburg gebe es Anhaltspunkte, dass Bayern-Ei zurückgegangene Ware umgepackt und damit das Mindesthaltbarkeitsdatum verlängert hat. Auf Anfrage waren am Wochenende weder die Staatsanwaltschaft Regensburg noch Bayern-Ei für eine Stellungnahme zu erreichen.
Die Vorwürfe sind indes nicht neu: Mehrere Bayern-Ei-Mitarbeiter hatten schon vor Monaten übereinstimmend erklärt, dass sie palettenweise alte Eier, die unter anderem mit Maden befallen waren, sortieren und umpacken mussten. Alte Eier seien auf diese Weise als frisch ausgegeben und ausgeliefert worden. Süddeutsche Zeitung und Bayerischer Rundfunk haben darüber Anfang Juni berichtet. Der Betrieb bei Bayern-Ei jedoch lief weiter. Wie viele umetikettierte Ekel-Eier seither in den Handel gelangt sind, ist unklar - ebenso, ob es die Behörden jemals herausfinden werden. Auf die Angaben von Bayern-Ei-Eigentümer Pohlmann jedenfalls werden sie sich nicht verlassen können. Er hatte noch im Juni beharrt, die Etikettierung entspreche "den bestehenden gesetzlichen Anforderungen".
Schon Stefan Pohlmanns Vater Anton hat einst das Datum auf Eier-Packungen manipuliert. Vater und Sohn standen vor etwa 20 Jahren zudem gemeinsam vor Gericht, weil sie in einem Stall Nikotin versprühen ließen, um Salmonellen zu bekämpfen. Ein Arbeiter wäre dabei fast gestorben. Pohlmann junior kam damals mit einer Zahlung von 100 000 Mark davon, nachdem sein Vater alle Schuld auf sich genommen hatte.
Wie es in seinem Betrieb zugeht, konnte man in diesem Frühjahr auf Videos sehen, an die der Verein "Soko Tierschutz" gelangt ist. Eines der heimlich aufgenommenen Videos, das laut GPS-Angaben im Ettlinger Bayern-Ei-Hof entstand, zeigte zerrupfte Hühner, verwahrlost und fast ohne Federn, dazu Dreck und Tierkadaver. Alltag bei Bayern-Ei, wie Mitarbeiter, die anonym bleiben wollten, damals versicherten.
Seit mittlerweile mehr als einem Jahr haben die Behörden bei Bayern-Ei regelmäßig Salmonellen festgestellt. Gelegentlich wurde der Betrieb für sogenannte A-Eier, die auch für Supermärkte bestimmt sind, gesperrt. B-Eier für die industrielle Lebensmittelproduktion durfte Bayern-Ei aber stets ausliefern. Die zuständigen Behörden zogen vielmehr sogar in Zweifel, was Experten im Ausland längst als erwiesen ansehen: dass Bayern-Ei der Auslöser des europaweiten Salmonellenausbruchs im Sommer 2014 war.
Ende Juli schließlich ließ Bayern-Ei mehr als eine Million Eier zurückrufen, nachdem auf Eiern des Standorts Aiterhofen wieder einmal Salmonellen gefunden wurden. In einer öffentlichen Mitteilung hieß es, die Eier seien ausschließlich an Abnehmer in Bayern gegangen. Von dort jedoch, davon gehen die Behörden mittlerweile aus, wurden sie nach Sachsen und Tschechien weitergeliefert, sowie nach Großbritannien und Österreich. In jene beiden Länder also, in denen mutmaßlich bereits 2014 Menschen an Salmonellen starben. Wegen der beiden Toten droht Pohlmann ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung.
Mehr als ein Jahr nach den ersten Warnmeldungen aus dem Ausland verhängten Bayerns Behörden nun also ein Verkaufsverbot. Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf (CSU) erklärte am Samstag, man habe "schnell und konsequent" reagiert - "zum Schutz der Verbraucher".
Allerdings wurde die Staatsanwaltschaft Regensburg im vergangenen Jahr nicht, wie in solchen Fällen eigentlich üblich, von den Behörden eingeschaltet. Erst durch den Anruf eines Journalisten aus Österreich erfuhren die Staatsanwälte von den Salmonellen bei Pohlmann und den Toten im Ausland. Und damit nicht genug: Bei Bayern-Ei genommene Proben wurden wochenlang nicht an die zuständigen Labore weitergeleitet. Auch dass ein Stallbursche von Bayern-Ei an Salmonellen erkrankt war, behielten die bayerischen Behörden zunächst für sich. Eine Warnung vor Bayern-Ei-Eiern blieb aus, ebenso ein Verkaufsverbot. Für die bayerische Bevölkerung habe doch keine Gefahr bestanden, hieß es zunächst aus dem Verbraucherschutzministerium.
In der Zwischenzeit wurde bekannt: Die Aussage war schlichtweg falsch. Im Sommer 2014 gelangten sehr wohl womöglich verseuchte Eier von Bayern-Ei in den Handel. Auch in Bayern.