Er hat es wieder getan. Der Heimatforscher Robert Volkmann aus Schlagenhofen hat sein 20. Buch veröffentlicht. "Ich kann das Wort einfach nicht halten", sagt der ehemalige Gymnasiallehrer fast schon entschuldigend und gibt gleich noch ein paar Eckdaten über sein neues Werk preis: 320 Seiten, 417 Bilder,456 Zitate und Anmerkungen - das Ganze ist fast zwei Kilo schwer. Für die Buchvorstellung der Sonderausgabe der Inninger Geschichtsblätter hat er in das mehr als 100 Jahre alte Lagerhaus in Schlagenhofen, einem Ortsteil von Inning, geladen. Längst wird es nicht mehr von den Landwirten genutzt. "Des hat sich ois aufghört", sagt Volkmann. So lautet auch der Titel seines Buchs, in dem er Geschichtliches über Bauern und die Landwirtschaft in Inning und Umgebung beschreibt.
SZ: Herr Volkmann, Sie beschreiben sich als Schlagenhofener Bauernbua. Wie kommt es, dass ein Bauernbua 20 Bücher schreibt?
Robert Volkmann: Ach, das ist selbstironisch gemeint, weil ich mit Ausnahme von Studium und kurzer schulischer Tätigkeit bei den Schwaben die heimische Scholle ein Dreivierteljahrhundert nie länger verlassen habe. Ich war daheim immer von Bauernanwesen und ländlichen Menschen umgeben. Das Lagerhaus der Genossenschaft steht immer noch gegenüber. Aber Bauern gibt es fast keine mehr im Dorf. Als ich ein Kind war, standen da noch einige Viecher im Stall. Bulldogfahren und so habe ich auch gekonnt. Dass man mich "auf'd Schui" geschickt hat, war eine richtige Entscheidung. Das "Bauernbuch" habe ich geschrieben, weil mir mein Gewährsmann gesagt hat, ich solle das aufschreiben, denn wenn ich es nicht machte, würde das hier niemand machen.
An wen richtet sich das Buch?
Wer wissen will, wie es früher auf dem Dorf war, besonders im Inninger Raum, der kann im Buch solide Informationen kriegen. Und wenn er noch irgendeinen Bezug zur Landwirtschaft hat, wird ihm sicher seine Vergangenheit noch einmal lebendig werden. Man kann sehr viel über die Entwicklungen im Bereich unserer Lebensmittelerzeugung erfahren und auch über Probleme. Vielleicht sieht mancher dann etwas positiver auf unsere Ernährer, hoffe ich.
Der Titel "des hat sich ois aufghört" zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Einerseits schwingt ein wenig Wehmut in der Aussage, andererseits beschreiben Sie aber auch sehr deutlich, dass das Bauernleben alles andere als romantisch und idyllisch war.
Mein bäuerlicher 86-jähriger Gewährsmann, von dem das wunderbare Titelzitat stammt, zieht in seinen Erzählungen von früher dieses Fazit. Ohne Schuldzuweisung, aber schon auch mit Melancholie. Ein anderer Bauer aus Inning hat mir dazu gesagt: "Aber a scheenas Arbeiten war's scho." Und dass viel mehr Menschen auf einem Hof waren, man mehr "beinanda" war. Aber alle geben zu, dass die Arbeit körperlich sehr viel abverlangt hat, der Ertrag der Mühe oft kaum das Überleben gesichert hat. Gut, dass es mit der schweren Arbeit, den meist eher ärmlichen Verhältnissen, der kargen Kost - ja auch das - vorbei ist.
Das Buch ist eine Mischung aus Fachbeiträgen, Statistiken und wissenschaftlichen Beiträgen, gepaart mit persönlichen und teilweise autobiografischen Feststellungen und sehr vielen Fotos von Privatfamilien. Wie sind Sie an das Material gelangt? Wo haben Sie recherchiert?
Ich dürfte für dieses Buch mehr als 20 Mal im Staatsarchiv in München gewesen sein; dort habe ich einen Großteil der Akten der Seefelder Grafen Toerring zu Land und Leuten früher angeschaut. Manchmal eine sehr mühsame Entzifferungsarbeit. Aus dem Bestand der Staatsbibliothek habe ich fast 100 Bücher zum Thema "Bauern und Landwirtschaft" - auch neue Publikationen - eingesehen, vieles echt gelesen. Ganz wichtig: Ich habe die sogenannten "Physikatsberichte" des Landgerichts Starnberg von 1859 studiert. Hochinteressant, was da die Pfarrer der Dörfer dem Starnberger Landgerichtsarzt Joseph von Linprun zur Weitergabe an die Regierung in München aufgeschrieben haben. Sehr offene, manchmal bestürzende Dinge. Die echt gut gemachten Infodienste der organisierten Landwirtschaft zur aktuellen Situation bekommt man ja frei Haus. Und natürlich habe ich das Inninger Gemeindearchiv von Jutta Göbber genutzt und die gigantische Bildersammlung von Franz Meier.
Neben den Lebensbeschreibungen gibt es immer wieder Exkurse, um das Ganze in einen geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Kommt da der frühere Geschichtslehrer durch?
Schon, glernt ist glernt . 40 Jahre höherer Schuldienst, davon 35 am Gymnasium in Gilching, schlagen sich einfach nieder. Man soll ja nicht glauben, in den Dörfern spiegele sich nicht auch die Weltgeschichte. Man schaue auf die Kriegerdenkmäler, und was die Nazis und Bauern verband - und trennte - muss schon auch angesprochen werden, auch wenn es einigen nicht so gefällt. Und wie es mit den Bauern weitergeht, ist wirklich nichts, was in den Dörfern entschieden wird.
Die sogenannte gute alte Zeit wird in dem Buch ganz schön entzaubert. Mit Frauen und Kindern wurde nicht gerade zimperlich umgegangen. Ich zitiere einen Spruch aus ihrem Buch: "Weibersterbn: koa Verderbn. Rossvarrecka: groß Schrecka!"
Da haben wir tatsächlich ganz gewaltige Verbesserungen, was den Umgang mit Frauen und auch mit Kindern und deren rechtliche Situation betrifft. Belegt ist in Pfarrer- und Amtsarztberichten, dass Kinderreichtum angesichts der Versorgungssituation bei den allermeisten Bauern wirklich nicht als Segen empfunden wurde. Angeblich wünschte den glaubwürdigen Berichten nach so manche Bauersfamilie, der neugeborene, zusätzliche Esser möge "himmeln", das heißt sterben, dort erwarte ihn eine bessere Existenz. Da muss man schon mal durchschnaufen.
Aber heute ist auch nicht alles besser. Stichwort: Natur- und Umwelt.
Leider sind in dem ganzen System die Bauern irgendwie Täter und Opfer zugleich. Die moderne maschinelle Landbearbeitung, Düngung, Unkraut- und Insektenvernichtung, die großflächige Bewirtschaftung, das Verschwinden der Feldraine haben wesentlich zum fast völligen Verschwinden von beispielsweise Feldlerchen und Hasen beigetragen und fünfmaliges Mähen von Einheitswiesen überlebt kein Frosch.
Fleisch kam in den meisten Familien nur alle heiligen Zeiten auf den Tisch
Dem Essen ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Da räumen Sie gehörig mit idealisierten Vorstellungen auf.
Stimmt. Der deftige Bauernschmaus in den heutigen Gasthäusern ist eine arge Fehlinformation. Fleisch kam bei den allermeisten Bauern nur alle heiligen Zeiten auf den Tisch. Ich zitiere da mehrere Quellen, die von "karger Nahrung" sprechen. Mus, Topfennudeln, Roggennudeln, Kraut und Rüben, Eier, Schmalz, Getreide waren die Basis bäuerlichen Essens. Zu Kirchweih sah es meist besser aus. Manches konnte nicht über den Winter gelagert werden, und für manche Tiere war Schlachtzeit im Spätherbst, weil man nicht alle über den Winter füttern konnte.
Interessantes ist über viele Begriffe zu erfahren wie "aufmandeln" oder "auf der Hut sein", die ursprünglich aus dem bäuerlichen Leben stammen.
Im Schlusskapitel geht es darum, was mit der alten Landwirtschaft auch an unserem Sprachschatz verlorengeht. Das steht halt kein "Ochs vor dem Berg", den "Gänsemarsch" durchs Dorf gibt es längst nicht mehr und so weiter.
Wie sieht es heute mit der Landwirtschaft in Inning aus?
Gar nicht mal so schlecht. Sarkastisch: Die Landwirtschaft hat sich gesundgeschrumpft. Die Gesetze des Marktes, phänomenale technische Innovationen und staatliche Politik haben dafür gesorgt oder es zugelassen, dass von den fast 80 irgendwie mit Bauernarbeit befassten Anwesen in der heutigen Gemeinde nicht einmal mehr ein Dutzend übrig geblieben ist. Aber es sieht, Gott sei Dank, so aus, als könnten sich die übrig gebliebenen tatsächlich behaupten. Die Höfe sind technisch recht gut ausgestattet, die nachwachsende Generation ist hervorragend ausgebildet. Manchmal wenn ich sie so auf ihren Schlepperungetümen sehe, denke ich aber, dass sie mal absteigen sollten, mit der Hand in die Erde greifen und sie einfach durch die Finger rieseln lassen.
Das Buch "Es hat sich ois aufghört!" wird für 22 Euro freitags von 8.30 bis 10.30 Uhr im Archiv Inning verkauft. Es ist erhältlich in der Inninger Bücherei und es kann per E-Mail an volkmannrobert@web.de bestellt werden.