Unter allen Regensburger Wahlkämpfen gilt der Kampf um die Kommunalwahl 1996 bis heute als ungewöhnlichster Fall. Was mit der "Liste Alzheimer" zu tun hat, kurz ALZ. Eine Spaßpartei, die damit warb, ihre Versprechen gleich nach der Wahl wieder zu vergessen. Es begann damit, dass die Liste ALZ 385 Unterschriften sammeln musste, um überhaupt an der Wahl teilnehmen zu dürfen. Dass die ALZ-Leute jedem Regensburger, der unterschrieb, ein Bier und einen Schweinsbraten versprachen, war nur eine Bizarrerie jenes Wahlkampfs. Eine weitere war, dass sich die Staatsanwaltschaft mit der Frage befassen musste, ob Bier und Schweinsbraten als Bestechungsobjekte zu betrachten sind. Dass zwei ALZ-Kandidaten am Ende in den Stadtrat einzogen, war dann der Gipfel der Kuriosität.
Nun, 23 Jahre später, steht Regensburg ein Wahlkampf bevor, der das alles noch toppen könnte. Nur, dass die Dinge nicht mehr so lustig sind wie damals. Zwar geht es auch diesmal um den Verdacht der Bestechung, aber halt nicht um Schweinsbraten und Bier, sondern um Parteispenden aus der Baubranche, viele hunderttausend Euro. Der Kommunalwahlkampf 2020 steht im Zeichen einer Korruptionsaffäre, die nicht nur das Kandidatentableau, sondern die komplette Regensburger Politiklandschaft durcheinanderwirbeln könnte. Ausgang? Völlig offen.
Die Hauptrolle im Spektakel gehört Joachim Wolbergs, 48, dem suspendierten Oberbürgermeister. Seit Ende September läuft ein Korruptionsprozess gegen ihn. Statt erst das Urteil abzuwarten, hat er bereits angekündigt, im März 2020 wieder als OB-Kandidat anzutreten. Nicht mehr für die SPD, dafür mit einer eigenen Liste namens "Brücke". Wolbergs macht zwar eine Einschränkung: "Wenn ich wegen Bestechlichkeit verurteilt werde, dann stehe ich für kein Amt zur Verfügung." Das ist aber ohnehin unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist ein Urteil wegen Vorteilsannahme. Das ist zwar auch ein Korruptionsdelikt, aber für Wolbergs offenbar kein Hindernis. "Solange ich von meiner Unschuld überzeugt bin, werde ich definitiv nicht zurücktreten", hat er mal gesagt. Er hat nicht von der Überzeugung eines Gerichts gesprochen, sondern von seiner eigenen. Dieselben Maßstäbe scheint er nun für seine neuerliche OB-Kandidatur anzulegen.
Dass Wolbergs sich nach dem laufenden Prozess gleich dem nächsten Korruptionsprozess stellen muss? Auch darin sieht er kein Hindernis für seine Kandidatur. Es ist also möglich, dass Wolbergs bald zwischen Gerichtssaal und Wahlkampfstand pendelt. Vielleicht sogar als Kandidat, den ein Gericht für korrupt erklärt hat. Eine Konstellation, die es in Deutschland noch nicht gegeben haben dürfte.
Dass die Regensburger ihn dann erneut zum OB wählen, ist schwer vorstellbar. Und trotzdem, auch das mag für Nicht-Regensburger kurios klingen: Ein respektables Ergebnis ist Wolbergs schon zuzutrauen. Er ist immer noch ein Menschenfänger, trotz aller Zweifel, die an ihm haften. Das zeigt der Zulauf zur "Brücke", seiner neuen Wählervereinigung. Der Einladung zur Vereinsgründung folgten auf Anhieb fast 100 Regensburger - darunter gleich mehrere SPD-Mitglieder.
Auch die CSU hat bereits zu kämpfen
Entsprechend ungewöhnlich ist dann auch die Ausgangslage bei der SPD. Einerseits wird die Partei wohl eine starke Kandidatin in die OB-Wahl schicken: Gertrud Maltz-Schwarzfischer, 58, Zweite Bürgermeisterin, die Wolbergs seit dessen Suspendierung im Januar 2017 vertritt. Als Krisenmanagerin scheint sie gut bei den Menschen anzukommen. Andererseits hängt der Korruptionsmief halt auch in den Kleidern der Genossen. Ausgerechnet die Partei, die der CSU immer so gern Spezlwirtschaft vorhält, hat bei Wolbergs' Spendenpraxis erst weggeschaut und sich dann weggeduckt, als es darum ging, das eigene Kontrollversagen einzugestehen. Die merkwürdigen 9900-Euro-Häppchen, die Nähe zwischen OB und Baubranche - einige SPD-Stadträte scheinen bis heute kein Problem darin zu sehen. Eine Haltung, die viele Wähler irritieren dürfte.
Mit Blick auf die OB-Wahl 2020 kann die SPD von Glück reden, dass auch die CSU längst in den Sog der Korruptionsaffäre geraten ist - was die Gemengelage erst recht außergewöhnlich macht. Oder ist die CSU sogar die Erfinderin eines Systems aus Gefälligkeiten zwischen Politik und Baubranche? Wegen Erpressungsverdachts ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen CSU-Kreischef Franz Rieger, wegen Korruptionsverdachts gegen Alt-OB Hans Schaidinger. Auch Christian Schlegl, der 2014 als CSU-Kandidat gegen Wolbergs verlor, ist im Fokus der Ermittler.
Die CSU ist also gut beraten, ein Gesicht in die OB-Wahl zu schicken, das die Leute nicht mit der Korruptionsaffäre in Verbindung bringen. Etwa Stadträtin Astrid Freudenstein, 45, die auch deswegen relativ unbelastet ist, weil sie zuletzt eine gewisse Distanz zur Regensburger Politik pflegte. Von 2013 bis 2017 war sie im Bundestag, jetzt arbeitet sie wieder in Berlin, als Führungskraft im Verkehrsministerium. Auch wegen ihrer Bekanntheit wäre sie wahrscheinlich die aussichtsreichste CSU-Kandidatin. Ebenfalls Interesse haben die Stadträte Dagmar Schmidl, 45, und Jürgen Eberwein, 53, signalisiert. Doch müssten beide wohl erst mal daran arbeiten, sich in Regenburg bekannt zu machen.
Freudenstein hat ihre Bewerbung an die Bedingung geknüpft, dass zunächst die Parteibasis über Kandidatin oder Kandidat abstimmt, bevor der kleinere Delegiertenkreis entscheidet. Das könnte ein kluger Schachzug sein. Denn bringt Freudenstein die Basis hinter sich, wäre das eine Machtdemonstration gegenüber Kreischef Rieger und dessen wahrscheinlichem Nachfolger, dem Junge-Union-Kreisvorsitzenden Michael Lehner. Mit beiden hat Freudenstein so ihre Probleme, inhaltlich und persönlich.
Weil die Korruptionsaffäre an der Wolbergs-Liste ebenso klebt wie an SPD und CSU, könnten am Ende aber auch andere Parteien profitieren. Allen voran die Grünen, die endlich einen OB in einer bayerischen Großstadt stellen wollen. Bereits bei der Landtagswahl wäre es Jürgen Mistol fast gelungen, der CSU das Direktmandat abzujagen. Doch Mistol, der wohl populärste Regensburger Grüne, möchte lieber im Landtag bleiben statt fürs Oberbürgermeisteramt zu kandidieren. Wer am Ende antritt, ist völlig ungewiss.
Fest steht dagegen: Die Liste ALZ wird keinen Bewerber ins Rennen schicken, die Gruppe hat sich längst aufgelöst. Dafür komplettiert eine neue Satirepartei das kuriose Regensburger Wahlkampfszenario. Der Künstler Jakob Friedl möchte mit der "Liste Ribisl" antreten und Oberbürgermeister werden. Und noch etwas scheint in Regensburg sicher: Dass die Wahlkampfspenden diesmal nicht mehr so üppig ausfallen. Vor allem in der Baubranche dürfte die Lust an politischer Landschaftspflege nachgelassen haben.