Rechtsmedizin der LMU:Ein Labor sucht einen Mörder

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DNA Massentest in der Rechtsmedizin der LMU in der Nussbaumstrasse, (Foto: Stephan Rumpf)

Tausende Münchner wurden im vergangenen Jahr zur Speichelprobe gebeten. Ob der Isarmörder unter ihnen ist, klären Katja Anslinger und ihre Mitarbeiter in der Rechtsmedizin. Mit der DNA-Analyse lassen sich auch längst verjährte Verbrechen klären.

Von Susi Wimmer

Katja Anslinger bekommt in letzter Zeit ziemlich viel Post. Hauptsächlich Pakete. Randvoll gefüllt mit Plastiktütchen, darin Plastikröhrchen mit abgeschnittenen Wattestäbchen. Absender: die Mordkommission. Die Münchner Ermittler jagen noch immer den Isarmörder, jenen Unbekannten, der vor einem Jahr aus nichtigem Grund den Münchner Domenico L. auf offener Straße erstochen hat. Und Katja Anslinger soll helfen.

Die 44-Jährige ist Chefin der DNA-Abteilung am Institut für Rechtsmedizin. Tausende Münchner wurden im vergangenen Jahr und werden noch immer zum Speicheltest gebeten, Anslinger und ihr Team müssen alle abgegebenen DNA-Proben mit den Spuren des Täters abgleichen. Aber nicht nur deshalb brummt der "Laden" an der Nußbaumstraße. Ganz nebenbei läuft noch ein zweites Massenscreening, "und eigentlich", sagt Anslinger und zieht die Augenbrauen hoch, "sind wir ja kein Speichel-, sondern ein Spurenlabor für Sexual- und Tötungsdelikte in ganz Oberbayern". Hier, in den nüchternen Laboren der Rechtsmedizin, hat sich die "Strickleiter des Lebens", wie die DNA genannt wird, für etliche Täter schon als Fallstrick erwiesen.

1983 ahnte niemand, dass an den Fingernägeln auch Spuren des Täters waren

Katja Anslinger ist nicht nur promovierte Biologin, sondern auch Ehrenkommissarin der Münchner Polizei. Während die Mordermittler alles daran setzen, die Täter hinter Gitter zu bringen, sagt die Wissenschaftlerin: "Die Konsequenzen meiner Arbeit, die ich so ins Rollen bringe, haben mit mir nicht mehr so viel zu tun." Erfolg, das ist für die 44-Jährige, wenn sie beispielsweise nach mehr als 20 Jahren den Mord an einer 18-jährigen Schülerin klären kann. Wenn sie gemeinsam mit ihrem Team Verfahren ausprobiert, tüftelt, neue Techniken entwickelt - und am Ende ein genetischer Fingerabdruck herauskommt. Wie eben bei der 18-jährigen Hella O. Sie war 1983 im Englischen Garten vergewaltigt und erdrosselt worden. Damals war es üblich, Fingernägel der Opfer abzuschneiden, um sie später mit eventuellen Kratzspuren am Täter vergleichen zu können. Zu der Zeit ahnte man noch nicht, dass man damit auch Spuren des Täters in Tütchen packte. Anslinger konnte unter den 20 Jahre lang eingelagerten Fingernägeln winzigste Hautpartikel sichern und daraus ein DNA-Muster abstrahieren. Wenig später wurde ein Schaustellergehilfe aus dem Münsterland festgenommen, der sich zur Wiesnzeit in München aufgehalten hatte.

Wenn Besucher das Labor sehen wollen, schüttelt Anslinger energisch den Kopf. Nein, ins Labor kommt keiner rein. Kontaminationsgefahr. Jeder Mensch verteilt nahezu überall seine DNA über Haare, Hautschuppen, Speichel, bei Verbrechen oft auch über Blut oder Sperma. Wer im Labor der Rechtsmedizin arbeitet, dessen DNA ist längst gespeichert. Sogar Techniker, die dort Geräte reparieren, müssen ihre DNA hinterlegen, das sei vertraglich festgelegt, erklärt Anslinger. Zu groß ist die Gefahr, dass Unbefugte Spuren hinterlassen und so die mühsame Arbeit der Laboranten zunichte machen.

Unter sterilen Bedingungen greift Labor-Leiterin Birgit Bayer mit Gummihandschuhen zu dem Plastikröhrchen mit der Speichelprobe. Enzyme werden zugefügt, sie bringen die Zellen und die darin befindlichen Zellkerne zum Platzen. Die DNA wird freigesetzt. Stammt die Spur beispielsweise von einer blutigen Jeans, muss die DNA noch in einen Reinigungsroboter, der die Farbstoffe eliminiert, beziehungsweise die hochreine DNA herausfiltert. Am Ende schwimmt die gewundene Strickleiter mit dem Erbmaterial in einer sauberen Lösung. Um das Molekül sichtbar und entzifferbar zu machen, wird es vervielfältigt, immer wieder erhitzt und abgekühlt, damit sich beispielsweise fluoreszierende Startermoleküle an einen bestimmten Strang der DNA setzen können.

Vier Stunden dauert die einfache Auswertung einer Speichelprobe, 96 Proben können gleichzeitig untersucht werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Diese Stränge werden dann später am Computer sichtbar gemacht. "Was wir hier abbilden", sagt Katja Anslinger und deutet auf die bunten Striche auf ihrem PC, "ist der nicht-codierte Bereich der DNA, quasi der genetische Schrotthaufen". Der Teil, der wohl nur zur Stabilisierung der DNA dient, enthält keinerlei Information über den Menschen. Der codierte Bereich, der etwa über Haar- und Hautfarbe, Augenfarbe oder Krankheitsdisposition Aufschluss gibt, dürfe in Deutschland nicht untersucht werden. Die Rechtsmedizin greift lediglich 16 Stellen aus dem Muster heraus und bestimmt die Längen. Daraus ergibt sich ein Identifizierungsmuster. Vier Stunden dauert die einfache Auswertung einer Speichelprobe, 96 Proben können gleichzeitig untersucht werden, zwei Durchgänge an einem Tag sind in der Rechtsmedizin machbar. Wenn's pressiert, dann wird auch länger gearbeitet.

Am 28. Mai jährt sich das bisher ungelöste Verbrechen an der Isar: Der 31-jährige Ingenieur Domenico L. wurde Opfer eines kaltblütigen Mörders, der an jenem Abend auf dem Radweg an der Erhardtstraße ein Messer zog und auf den Münchner einstach. Dann ging er über die Corneliusbrücke davon. Noch immer bittet die Mordkommission Männer, die in ein bestimmtes Raster fallen oder zur Tatzeit mit ihrem Handy in der Funkzelle nahe dem Deutschen Museum eingeloggt waren, zum DNA-Test. Gut 3000 Speicheltests dürften die Kripobeamten mittlerweile eingetütet haben.

Gibt es keine Übereinstimmung, wird das Material sofort vernichtet

Um möglichst kostengünstig und schnell zu arbeiten, werden von Katja Anslinger und ihrem zwölfköpfigen Team lediglich fünf Bereiche der DNA sichtbar gemacht. Ein Blick auf den Monitor zeigt, ob die Probe mit der DNA des Täters übereinstimmt. Der Unbekannte hatte sich bei der Messerattacke selbst verletzt und offenbar stark geblutet. Seine DNA ist im Computer gespeichert. Gibt es keine Übereinstimmung, muss alles sofort weggeworfen werden. Selbst wenn die DNA Ähnlichkeiten mit der Täter-DNA aufweist, muss sie vernichtet werden. "Die Leute haben ihre Einwilligung zu einem 1:1-Abgleich gegeben. Mehr dürfen wir nicht machen", sagt die Biologin und spielt auf einen Fall in Norddeutschland an. Dort hatte man bei einem Massenscreening zwei DNA -Muster gefunden, die dem des Täters ähnelten. Tatsächlich handelte es sich um zwei männliche Verwandte des Täters, was die Fahnder auf die Spur des Mörders brachte.

Seit zwei Jahren läuft ein weiteres Massenscreening in München. Der noch ungeklärte Mord an der achtjährigen Michaela Eisch beschäftigt die Fahnder seit langem. Genauer gesagt: seit 28 Jahren. Damals wollte die Schülerin aus der Ramersdorfer Maikäfersiedlung ihre Mutter mit der U-Bahn von der Arbeit abholen. Sie durfte zum ersten Mal alleine die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, doch sie kam nie bei ihrer Mutter an. Ihre Leiche wurde wenig später an einem Bahndamm gefunden. Sie war vergewaltigt worden. Da Zeugen sie mit einem 30 bis 40 Jahre alten Mann in vertrautem Umgang gesehen hatten, vermutet die Polizei, der Täter könnte aus der Siedlung stammen. 1300 Männer sollten eine Speichelprobe abgeben, bis heute hat die Polizei noch nicht alle erreicht. Noch immer gehen neue Proben in der Rechtsmedizin ein, in braunen Postpaketen. Und irgendwann vielleicht, enthält eines der Röhrchen darin die DNA des Mörders.

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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