Prozess in Traunstein:Tatmotiv: Mordlust

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Christoph R. beim Prozessauftakt im Landgericht Traunstein. (Foto: dpa)

Das Landgericht Traunstein verurteilt Christoph R. zu 14 Jahren Haft. Er hatte er in der WM-Nacht in Bad Reichenhall einen Mann getötet und eine Frau schwer verletzt. Nach dem Urteil kommt es zu einer ungewöhnlichen Szene.

Report von Heiner Effern, Traunstein

Nachdem der Vorsitzende Richter Klaus Weidmann den früheren Soldaten Christoph R. zu 14 Jahren Haft verurteilt hat, hält er es für nötig, sich zu entschuldigen. Keinesfalls beim 21 Jahre alten Angeklagten, der in der Nacht des WM-Finales im vergangenen Jahr in Bad Reichenhall einen 72 Jahre alten Mann mit seinem Kampfmesser äußerst brutal ermordet und ein damals 17 Jahre altes Mädchen lebensgefährlich verletzt hat. Auch nicht bei den vielen Prozessbeteiligten am Landgericht Traunstein, bei denen er sich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit bedankt.

Die Worte gelten Sarah F., der jungen Frau, die nur wenige Meter von ihrem Peiniger entfernt sitzt. Dass er die Attacke auf sie nicht als Mordversuch werten dürfe, sondern lediglich als schwere und gefährliche Körperverletzung, darüber könne man nur den Kopf schütteln, sagt Weidmann. "Mit dieser Gesetzgebung bin ich nicht glücklich."

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Sarah F. erkennt den Angeklagten "eindeutig" als ihren Peiniger: Vor neun Monaten ist die 18-Jährige in Bad Reichenhall niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Vor Gericht schildert sie ihre Erinnerung an den Angriff.

Von Heiner Effern

Diese außergewöhnliche Anmerkung zeigt, dass auch ein erfahrener Richter nur schwer fassen kann, was in den ersten Stunden des 14. Juli 2014 im Zentrum von Bad Reichenhall geschah. Nur wenige Stunden nach dem Finalsieg der deutschen Mannschaft in Brasilien machte sich Christoph R. in seiner Stube der Bad Reichenhaller Gebirgsjägerkaserne bereit, einen oder mehrere Menschen zu töten. "Weil er einfach Lust hatte, einen Menschen eigenhändig umzubringen und sterben zu sehen", wie Richter Wiedmann in seiner Urteilsbegründung ausführt.

Der angetrunkene junge Mann drehte seinen schwarzen Kapuzenpulli auf links, weil ihn niemand erkennen sollte, steckte sein schweres Kampfmesser in den Hosenbund und ging zu Fuß in die Innenstadt.

Im falschen Moment am falschen Ort

Dort hatte der pensionierte Malermeister Alfons S. das Pech, im falschen Moment am falschen Ort zu sein. Christoph R. stach ohne Vorwarnung auf ihn ein. 28 bis 30 Verletzungen zählte der Gerichtsmediziner, allein 13 Stiche gingen gegen den Kopf. "Man kann von einem mehrfachen Overkill sprechen", sagt Richter Weidmann. Der Angeklagte habe sich "stark und überlegen" fühlen wollen. Als er sein Ziel erreicht hatte, setzte sich der Soldat ein Stück weiter zu einer Gruppe junger Leute in ein Bushäuschen. Seine Hände waren blutverschmiert, seine Hose und seine Schuhe voller Spritzer. Er zündete sich eine rote Gauloise an und prahlte, gerade einen Menschen umgebracht zu haben. Einer aus der Gruppe ging los und sah nach, fand Alfons S. aber nicht.

Die einen fuhren dann nach Hause, der andere hatte Lust, noch einmal jemanden zu töten. Ein paar Minuten später traf Christoph R. auf Sarah F. und griff sie hinterrücks an. Er stach auch auf sie ein, auf die Augen, auf den Kopf und zog sie an den Haaren wieder hoch, als sie zusammensackte. Als er ihr auch noch in die Brust stach, ging sie wieder zu Boden, fand aber in ihrer Todesangst die Kraft für einen Fluchtversuch. Sie lief um ihr Leben - und Christoph R. ließ sie entkommen, obwohl er sie vor dem nächsten Haus auf der anderen Straße wohl noch hätte erwischen können. Rücktritt von der Tat nennen das Juristen - damit gibt es trotz der brutalen Attacke juristisch gesehen keinen Mordversuch mehr.

Was geht im Angeklagten vor?

Das hält Richter Weidmann aber nicht davon ab, mit seinem Urteil wegen Mordes sowie schwerer und gefährlicher Körperverletzung nahe an die Obergrenze von 15 Jahren zu gehen, die das Jugendstrafrecht vorsieht. Dass er dieses anwendet, kommt nicht mehr überraschend. Wenn ein Angeklagter zum Tatzeitpunkt zwischen 18 und 21 Jahren alt ist, steht das in seinem Ermessen. Drei psychiatrische Gutachter und auch die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe haben sich in der Verhandlung dafür ausgesprochen.

Wie es im Inneren von Christoph R. tatsächlich aussieht, ist ihm während des Prozesses kaum anzusehen. In manchen Situationen, auch bei der Urteilsverkündung, röten sich in seinem noch kindlichen Gesicht die Wangen und seine Finger verkrampfen, sonst lässt er sich nie eine Regung anmerken. Auch in seinem letzten Wort am vorletzten Prozesstag hatte er keine Entschuldigung über die Lippen gebracht.

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Nach dem WM-Sieg der Deutschen soll der 20-jährige Christoph R. nachts in Bad Reichenhall losgezogen sein, um zu töten. Beim Prozessauftakt in Traunstein schweigt der Angeklagte. Was ist das für ein Mensch, der nach dem Zufallsprinzip Menschen auswählt, die er umbringen könnte?

Von Heiner Effern

Für seine Zukunft wird entscheidend sein, "ob die Nuss in seinem Kopf" zu knacken ist, sagt Richter Weidmann. Er hat bei dem mittlerweile entlassenen Soldaten aus Rheinland-Pfalz eine besonders schwere Schuld festgestellt. Die Gefahr, dass Christoph R. nach einer Haftentlassung wieder eine solch brutale Straftat begeht, hält er zudem für sehr hoch. Deshalb wird nach einem Teil der Haft geprüft, ob Christoph R. nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen wird. Er wird seine Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung absitzen müssen. Dort hat er Gelegenheit, sich behandeln zu lassen. Sollte er sich dem verweigern, werde die Sicherungsverwahrung wie ein Damoklesschwert über ihm schweben, droht Richter Wiedmann. "Wie lange die dann dauert, weiß niemand."

Was der Anwalt sagt

Auch R.s Anwalt Harald Baumgärtl sagt, nur eine Therapie biete Christoph R. ein Tor zurück in die Gesellschaft. Mehr als die Anwendung des Jugendstrafrechts und die Rücknahme des Mordvorwurfs könne ein Verteidiger in einem Fall nicht erreichen, in dem die Schuld so eindeutig feststehe. Zeugenaussagen, DNA-Spuren und weitere Ermittlungsergebnisse waren so eindeutig, dass selbst der Verteidiger auf Mord plädiert hatte. Sein Mandant hatte die Aussage verweigert. Neben der Gefängnisstrafe verurteilt das Gericht Christoph R. auch noch zu einem Schmerzensgeld von 175 000 Euro, das er an Sarah F. zahlen muss.

Die junge Frau wird ihr Leben lang mit den Folgen der Attacke zu kämpfen haben. Sie verlor ihr linkes Auge, dazu bleiben die Narben am Körper und auch in der Seele. Dennoch verließ sie den Gerichtssaal wie schon nach ihrer beeindruckenden Zeugenvernehmung erstaunlich gefasst, aber ohne jeden Kommentar. Möglicherweise muss sie Christoph R. sogar wiedersehen. Das Urteil ist noch nicht rechtsgültig.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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