Prozess:37-Jähriger soll jahrelang Männer bei Vereinsfesten sexuell genötigt haben

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Alleingelassen von den anderen: Im Trachtenverein kann es einsam werden, wenn alle wegschauen. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • In Traunstein steht ein 37-jähriger Landwirt vor Gericht, weil er mehrere junge Männer sexuell genötigt und einen vergewaltigt haben soll.
  • Die Vorfälle ereigneten sich im Umfeld des Feuerwehr- und Burschenvereins.
  • Es scheint, als hätten viele im Ort davon gewusst. Nun gibt es Vorwürfe gegen den Vereinsvorstand.

Von Lisa Schnell, Traunstein

Wie's denn ausschaut im Burschenverein, fragt der Richter. "Des wollte niemand so genau wissen", sagt Florian I. "Des hat man akzeptiert und fertig." Jetzt muss es niemand mehr akzeptieren, die Griffe zwischen die Beine, das Streicheln am Bauch, die sexuellen Übergriffe im Wald, im Auto. Jetzt sitzt Günther Sch. am ersten Verhandlungstag seines Prozesses vor dem Landgericht Traunstein.

Der 37-jährige Landwirt, fast zwei Meter groß, breiter Schnurrbart, sitzt fast reglos, nur seine Gesichtsfarbe tendiert immer mehr ins Rötliche, je länger er sich die Vorwürfe gegen ihn anhört: Fünf junge Männer zwischen 16 und 21 Jahren soll er sexuell genötigt haben, einen sogar vergewaltigt. Alles im Umfeld von Blasmusik und Kesselfleischessen bei Festen von der Feuerwehr oder vom Burschenverein in einem kleinen Ort im Landkreis Traunstein. Und jeder dort, so scheint es, hat davon gewusst.

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Im Burschenverein heißt es wohl, der Günther Sch., der kümmert sich um die Jungen. Mancher nennt ihn den "Hosentürlwixer". Florian I. dachte am Anfang, es seien nur derbe Sprüche. Dann aber stand Sch. plötzlich in der Nacht in seinem Haus, schlug vor, einen Porno anzuschauen. Als I., damals 21 Jahre alt, ablehnte, drängte ihn Sch. angeblich ins Schlafzimmer, schubste ihn aufs Bett. "Auskitzeln" wolle er ihn. I. konnte ihn wegstoßen. Sch. ging. Nichts Neues, hieß es im Verein, als I. davon erzählte. I. redete nicht mehr darüber.

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Und dann das Gauburschenfest 2007. Mit dem Sch. sollte I. Getränke holen. Nur wenn noch jemand Drittes mitkommt, sagte I. Doch dann saß er auf dem Rückweg zum Festzelt doch mit Sch. alleine im Auto. "Dass auf 200 Metern was passieren kann, hatte ich nicht gedacht", sagt I. vor Gericht. Doch es konnte. Sch. fuhr zu einer abgelegenen Hütte, sprang I. von hinten an, griff ihm zwischen die Beine, versuchte seine Hose runterzuziehen. I. trat um sich. Er konnte sich gegen Sch. wehren.

Christian H. auch noch. Sch. griff dem damals 16-Jährigen nur ein paar Tage später beim Burschenfest unter das T-Shirt, streichelte seine Brust. Er sagte, Sch. solle das lassen, doch der griff ihm in die Hose. "Ich war wie gelähmt", sagt H. im Gerichtssaal. Seine Stimme bricht. Er kann vor Tränen nicht mehr sprechen. "Drecksau", sagt sein Vater von den Zuschauerreihen in Richtung Sch. "Kannst uns ruhig anschauen", schreit ihm H.s Mutter zu. Sch. hält den Blick gesenkt, auch als H. weiter erzählt. Wie Sch. ihn zu Boden warf, sich auf ihn setzte. Wie er dann doch frei kam, seitdem Angst hat, nicht mehr weggeht. "Des kann er nie mehr gut machen, was er meinem Buam angetan hat", sagt H.s Vater.

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Wieder Blaskapelle, wieder ein Feuerwehrfest. E. war da, damals 19, und natürlich der feierlustige Sch. Etwa um 22 Uhr fragte Sch. den 15 Jahre jüngeren E. , ob dieser ihn mit dem Auto mitnehmen könne. Daraufhin lotste er ihn in ein abgelegenes Waldstück, angeblich eine Abkürzung. Er solle sich ausziehen, soll er zu E. gesagt haben, und "Stell dich nicht so an", als E. sich weigerte. Seine Stimme wurde lauter, seine Hand fuhr immer wieder über seine vordere Hosentasche. E. vermutete ein Messer darin. Er hatte Angst, zog sich aus. Sch. tat es ihm nach und vergewaltigte ihn, zwang ihn danach noch zum Oralverkehr. Dann forderte er E. auf, ihn nach Hause zu fahren. Das tat er. Sch. drohte ihm, es würde was passieren, falls E. reden sollte. Die Mutter Gottes hätte ihm schon immer geholfen. E. redete nicht mit der Polizei. Zwei Jahre lang.

"Das hat ihn unheimlich belastet, all die Jahre, Monate", sagt der Polizeibeamte, der E. verhört hatte. E. gab sich selbst die Schuld. Meint, er hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Schließlich wusste ja jeder, wie der Günther war - wie es eine Bekannte vor Gericht sagt. E. konnte nicht mehr schlafen. Dachte an Selbstmord. Eines Tages dann 2015 stand er auf im Unterricht seiner Hochschule in Rosenheim und ging. Zu den Gleisen. Seine Schwester machte sich Sorgen, rief die Polizei an, erzählte der Polizei, was E. ihr erzählt hatte, von der Vergewaltigung im Wald.

"Dass der Vorstand da nichts gemacht hat, des werfen wir ihm vor"

E. redete, brachte die Polizei auf all die anderen Übergriffe, die Sch. vorgeworfen werden. Und auf eine ganz besondere Vereinskultur. "Dass der Vorstand da nichts gemacht hat, des werfen wir ihm vor", sagt ein Zuschauer. Angeblich soll einer von Sch.s Brüdern bei der Feuerwehr und im Burschenverein Vorstand sein. Seine Familie fügt Sch. in einer Erklärung auch als Alibi an. Er leugnet, überhaupt auf dem Fest gewesen zu sein, nach dem er E. angeblich vergewaltigt hat.

Einem psychiatrischen Gutachter sagte er, er sei ganz sicher nicht schwul, hatte auch schon mehrere Beziehungen mit Frauen. An dem besagten Abend sei er von 19.30 bis 20 Uhr bei einem Familientreffen gewesen. Zeitlich hätte er danach aber noch zum Feuerwehrfest fahren können. Dort wurde er von einem Gast beobachtet. Sch. gab zu, dass es bei einem weiteren Fest 2013 mit einem 16- und einem 17-Jährigen zu sexuellen Handlungen kam. Er habe aber entweder nicht gegen deren Willen gehandelt oder aufgehört, als der andere nicht mitmachte. Beiden soll er an die Genitalien gefasst haben. Schon 2008 wurde Sch. wegen sexueller Nötigung verurteilt. Der aktuelle Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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