Protestaktion:Heldenepos am Gipfelkreuz

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Der Trachten­verein Bad Kohlgrub zieht mit einer kriegsverherr­lichenden Gedenktafel am Hörnle Kritik auf sich

Von Matthias Köpf, Bad Kohlgrub

Das kleine Bad Kohlgrub im Landkreis Garmisch-Partenkirchen darf sich das höchstgelegene Moorheilbad Deutschlands nennen, die breiigen Bergkiefernhochmoor-Bäder dort sollen gegen mancherlei Beschwerden helfen. Geht es nach dem Linken-Politiker Klaus Weber, dann gibt es im Moorbad aber auch noch viel vom alten Sumpf, und seine Beschwerden haben dagegen bisher nichts geholfen. Am Donnerstag hat sich Weber nun zusammen mit dem Aktionskünstler Wolfram Kastner auf den Weg gemacht, um den Bad Kohlgrubern auf deren Hausberg Hörnle eine pazifistische Holztafel ans Gipfelkreuz zu schrauben.

Denn dort am Gipfelkreuz, das aus einem in Ehren ergrauten Baumstamm besteht, hängt schon längere Zeit eine hölzerne Tafel, welche aus Webers Sicht eher einem alten Ungeist die Ehre erweist. Denn auf ihr ist von Weltkriegssoldaten als "Helden" die Rede, deren "Geist und Opfermut im Volk niemals verwelken" mögen. Der örtliche Gebirgstrachtenerhaltungsverein Edelweiß hat diese Tafel am Gipfelkreuz angebracht - erstmals während der NS-Zeit im Jahr 1934 und bisher letztmals vor vielleicht zwei Jahren, weil die Vorgängertafel inzwischen verwittert war. Irgendwann dazwischen wurden die Jahreszahlen "14-18" für den Ersten Weltkrieg um "39-45" für den Zweiten ergänzt. Gleichwohl steht immer noch "Errichtet vom G.T.E.V. Edelweiß Bad Kohlgrub 1934" am Fuß der Tafel.

Wie viele Menschen sich an der Tafel über die Jahre und Jahrzehnte schon gestoßen haben, ist offen. Immerhin befördert allein die alte Doppelsesselbahn aus den Fünfzigerjahren zu Spitzenzeiten bis zu 1500 Gäste am Tag auf das Hörnle. Franz Degele, der seit 2018 Bürgermeister von Bad Kohlgrub ist, erinnert sich nach eigenen Worten an praktisch gar keine Beschwerden, weder privat noch im Rathaus noch zum Beispiel an der Bergstation. Wobei in der jüngeren Vergangenheit ein geschichtssensibler Münchner Ausflügler allein schon ein paar ergebnislose Briefe geschrieben und dann selbst ein laminiertes Papier mit kritischem Text zu der Tafel geheftet hat. Das Papier war schnell wieder weg, die Tafel blieb.

Daran änderte auch die Friedensinitiative Bad Tölz-Wolfratshausen nichts, die Schreiben nach Kohlgrub geschickt und zuletzt zusammen mit Verdi-Seniorinnen aus München ein Transparent am Hörnle entrollt hat. Klaus Webers wiederholte Protestbriefe zeigten bisher ebenfalls keine Wirkung. Der Psychologie-Professor Weber hat schon als Fachberater an der historisch-kritischen Neuausgabe von Hitlers "Mein Kampf" durch das Institut für Zeitgeschichte mitgewirkt und hat auch sonst einiges über alte und neue Nazis publiziert. Er sitzt für die Linke in Oberbayerns Bezirkstag und hat nach eigenen Worten schon viel mit Gemeinden zu tun gehabt, in denen auf fragwürdige Weise ungute Traditionen gepflegt wurden. Eigentlich sei man da immer gut ins Gespräch gekommen, nur Degele, der auch Ehrenvorsitzender der Edelweiß-Trachtler ist, habe sich jedem Dialog verweigert.

Degele selbst verweist darauf, dass das Gipfelkreuz dem Trachtenverein gehöre und der Grund am Gipfel den örtlichen Weiderechtlern, weshalb die Gemeinde und er als Bürgermeister mit all dem gar nichts zu tun hätten. Dass man die Tafel "heutzutage so nicht anbringen würde, das ist wohl klar", sagt Degele. Trotzdem sei sie "ein Zeitzeugnis". Selbst die Ältesten im Ort erinnerten sich, dass die Tafel "immer schon" da gehangen sei, und gestört habe sich über viele Jahrzehnte hinweg auch niemand daran. "Wir lassen uns da nicht kleinkriegen", versichert Degele.

Davon, dass Weber und Kastner am Donnerstagvormittag eine eigene Tafel angebracht haben, hat der Bürgermeister am Nachmittag nach eigenen Worten noch gar nichts mitbekommen. Weber und Kastner hatten ihre Aktion zwar angekündigt, aber öffentlich weder Datum noch Zeit genannt, damit es dort droben nicht zu irgendwelchen Konfrontationen kommt. Wenn man erst eine dicke Lippe riskiere und dann "bei ein bissl Gegenwind" gleich Angst bekomme, dann sei das schon ein bisschen feig, sagt dazu Bürgermeister Degele. Außerdem seien die Trachtler "ein arbeitendes Volk" und hätten unter der Woche gar keine Zeit, am Hörnle irgendwen abzupassen.

Weber und Kastner, die nach Webers Worten in Begleitung etlicher Friedensbewegter und Antifaschisten waren, blieben also ungestört. Die Reaktionen der umstehenden Touristen seien freundlich und die eines Trupps Bundeswehrsoldaten nicht unfreundlich gewesen. Wie die Reaktionen in Kohlgrub sein werden, will er abwarten. "Schauen wir mal, wie lang unsere Tafel da hängt." Anders als womöglich die neue Tafel wird das ganze Thema nicht so leicht aus der Welt zu schaffen sein. Speziell Kastner hat Projekte wie dieses schon an vielen Orten mit großer Beharrlichkeit verfolgt.

© SZ vom 13.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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