Porträt:Warten auf die Glanzzeit

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Zwei Jahre war die Unterhachingerin Kerstin Schreyer bayerische Verkehrsministerin - deutlich länger als ihre Vorgängerinnen Ilse Aigner und Emilia Müller, aber bei Weitem nicht so lang wie etwa Joachim Herrmann und Otto Wiesheu. (Foto: Winszczyk/Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr)

Seit gut einem Jahr führt Kerstin Schreyer das Riesenressort für Bauen und Verkehr - relativ unauffällig, die Pandemie hat das Haus eher in die hintere Reihe bugsiert. Ein Superministerium, das keines mehr ist?

Von Johann Osel, München

Es war ein riesiger Rummel für Kerstin Schreyer und ihr Ministerium, vor allem in Niederbayern. Ein dicker Stapel Presseberichte, an digitalen Stammtischen war sie in aller Munde, beim Bäcker mitunter Tagesgespräch. Nur: Die plötzliche Prominenz vergangenen Sommer war ungewollt. Zuvor hatte ihr Bau- und Verkehrsministerium vermeldet, dass der Probebetrieb bei der Waldbahn von Gotteszell nach Viechtach nicht verlängert wird, mangels Nachfrage. Dass der Testlauf zur Reaktivierung der Strecke längst nicht beendet war? Dass Landrätin, Lokalpolitiker, Abgeordnete ihrer CSU gar nichts davon wussten? Dass Parteifreunde wie Ex-Agrarminister Helmut Brunner von einer "fachlich und sachlich falschen Entscheidung" sprachen, die "wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel" kam? Ziemlich blöd gelaufen.

Im Bayerischen Wald hatten sie mal wieder das Gefühl, München nehme ihnen etwas weg. "Kommunikationspanne" nannte es Schreyer, sie sei überhaupt nicht unterrichtet gewesen. Der Probebetrieb läuft nun erst mal weiter, ein runder Tisch soll den Verkehr der Zukunft in der Region erörtern. Im Übrigen aber werde der Freistaat nur Strecken wiederbeleben, wenn es "ökologisch und ökonomisch Sinn macht" - sie wolle nicht, dass leere Züge herumfahren.

Und sonst so? Seit gut einem Jahr steht Schreyer an der Spitze des Ministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr, das 2018 als Superministerium für die erste Ressortchefin Ilse Aigner gezimmert wurde. Die vorige Sozialministerin und Sozialpädagogin Schreyer bekam den Job, als Aigners Nachfolger Hans Reichhart Landrat von Günzburg wurde. Kurz nach ihrem Amtsantritt kam die Pandemie, seitdem schauen alle auf Gesundheit, Kultus, Wirtschaft. Auf Tagesaktuelles, Akutes. Nicht auf ein Haus mit langwierigen, strukturpolitischen Prozessen. Womöglich drängt sich da einem, wenn man nicht gerade Experte für Bauwesen oder Mobilität ist, diese Frage auf: Ein Superministerium, das keines mehr ist?

Tatsächlich scheinen die Themen in Reihe zwei gerückt zu sein, in der Regierung gesamt. Erinnerung an Mai 2018 im Bauamt in München-Obergiesing. Das "Wohnungskabinett" tagte dort, Ministerpräsident Markus Söder und Aigner gründeten die staatliche Wohnbaugesellschaft Bayernheim. Der Presse klingelten die Ohren angesichts von Superlativen, Investitionen und Visionen. Derlei Superpräsenz hatte Schreyer bislang nicht. Außer man zählt zynisch die Meldung dazu, mit der sie noch mehr Trubel erregte als mit dem Waldbahn-Debakel und vor allem Boulevardmedien in Ekstase brachte: Da ging es um Debrecziner in der Landtagskantine und eine Runde, in der sie Corona-regelwidrig saß.

Wer Schreyer im Ministerium schräg gegenüber der Staatskanzlei besucht (das weitläufige Büro ermöglicht Abstand), der trifft auf eine selbstbewusste Politikerin - das Adjektiv "hemdsärmelig" wird ihr seit Langem angeheftet. Sie attestiert sich eine ordentliche Bilanz. "Ilse Aigner war die erste Frau in der Geschichte Bayerns, die ein so großes Ministerium führte. Und ich habe die Ehre, die zweite zu sein", sagt die 49-Jährige aus dem Kreis München. "Offensichtlich scheint der Ministerpräsident mir da viel zuzutrauen, sonst hätte er mir das Haus nicht anvertraut." Er habe ihr zur Berufung klar gesagt, "dass ich die Dinge in die Hand nehmen soll. Er vertraut mir".

Seitdem beackert sie den Beritt in all seiner Kleinteiligkeit, sie brachte eine Novelle der Bauordnung durch, forciert Spatenstiche für den Wohnungsbau, ein Fördertopf hier, einer da: Solaranlagen für Behördendächer, Kreisstraßen, Brücken, Radwege, Studien. Emsig, klar. Man stelle sich aber mal den jungen Söder vor, als ein solcher Superminister. Da hätte es sicherlich fast täglich ein Pressefoto mit Maurerkelle gegeben, als zöge er höchstpersönlich all die staatlichen Wohnungen in Bayern hoch.

Oder nicht? Frage an Schreyer. "Vier Wochen nach meinem Amtsantritt kam der erste Lockdown. Die Pandemie ist seitdem das Maß aller Dinge", sagt sie. "Es gibt keinen Fachminister, der in diesem Jahr ein Thema setzen konnte oder große mediale Aufschläge hatte außerhalb von Corona." Söder setze all seine Kraft in die Pandemiebekämpfung "und das erwartet er auch von uns". Auch die Bürger "möchten nicht, dass wir jetzt Eitelkeiten produzieren". Und sie könne ja den Menschen nicht erzählen, man darf sich nicht treffen, und dann "fröhlich durchs Land springen".

Spricht sie vom Ministeralltag, geht es viel um Schalten. Viele Schalten, mit Kollegen, Verbänden, Betroffenen; auch wenn die Gummistiefel für Begehungen stets im Kofferraum liegen - zum Einsatz kommen sie selten. Corona bremst Außentermine, Einweihungsfeiern, Kongresse. Wobei es Auftritte gab, durch Zurückhaltung fiel Schreyer da nicht auf. Der CSU-Abgeordnete Max Gibis erinnert sich, als er in Regen mit ihr wegen der Waldbahn von einer Demo empfangen wurde. "Auf beeindruckende Art" habe sie die Stimmung gedreht - Buh beim Empfang, Applaus am Ende.

Bittet man die Opposition um ein Zeugnis, hagelt es Grundsatzkritik. Natascha Kohnen, die Wohnungsfrontfrau der SPD, liegt öfters mit Schreyer im Clinch. Jüngst ging es um einen Corona-Fonds für Mieter in Not, den Kohnen fordert; Schreyer sagt, es gebe wenige Mietrückstände, sie sieht keinen akuten Bedarf. Falls doch, sei der Bund am Zug. Mit dem Wohnthema, so Kohnen, sei Schreyer "nie richtig warm geworden", ihr Haus sei "alles andere als ein Hort der Ideen". Sebastian Körber, Bauexperte der FDP, nennt Schreyers Novelle ein "Novellchen". Generell: "Viel Initiative, keine Eigeninitiative. Sie arbeitet ab, was so ansteht." Die Grünen klagen: "ambitionslos" beim Ziel Verkehrswende. In der AfD heißt es: "Super-Ministerin? Guter Witz."

In den Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler sowie Kabinettskreisen bestätigt man die Diagnose, dass Schreyer unauffällig startete. Aber ohne negative Note: dass das Amt "dicke Bretter" bedeute, keinen Aktionismus; dass Geräuschlosigkeit nicht Nichtstun sei; dass es Schreyers Auftrag sei, das Haus zu "konsolidieren", nach zwei Ministerwechseln in so kurzer Zeit und dem Wegfall des Staatssekretärs, seit Klaus Holetschek ins Gesundheitsministerium geholt wurde. Und, so ein Credo in der Koalition: Derzeit gelte es, in Ruhe Themen anzupacken, die auf lange Sicht wirkten. Manfred Eibl, Fachpolitiker der FW, war zwar wegen der Bahnstrecken im ländlichen Raum 2020 arg grantig. Für Schreyer aber hat er Lob: Sie sei "dialogbereit", habe in der Krise etwa den Busverkehr gut gemanagt, stelle Weichen für die Zeit nach Corona: "Die Herausforderungen durch die Pandemie - ihre große Zeit kommt noch."

"Mein Ministerium", glaubt Schreyer auch, "wird eher noch mehr Bedeutung bekommen." Corona sei in vielem ein Brennglas: Wohnen und Leben unter Trends wie Digitalisierung oder Home-Office etwa. Sie nennt auch die Belebung der Innenstädte, der sie sich über die Städtebauförderung widme. Zur Opposition? Die neue Bauordnung sei ein "Meilenstein". Bei der Bayernheim, wo 2020 blamable Zwischenziele publik wurden, leite die "nackte Zahl" von nur 71 fertigen Einheiten in die Irre, 2900 Wohnungen seien "auf den Weg gebracht". Und die SPD setze "auf Regulieren und Zusatzsteuern. Das ist nicht mein Weg". Im Verkehr wolle sie "keinen Glaubenskrieg". Man müsse es aushalten, nicht jeder Lobby 100 Prozent geben zu können. Wenn bei Autofahrern, Radlern, Bahnfahrern jeder ein bisschen murre - alles richtig gemacht.

Ein "großer Tanker", um die 10 000 Mitarbeiter, sei ihr Haus. "Ein Tanker, den man mit viel Dynamik anschieben muss." Das stimmt: Das Organigramm wirkt wie ein Labyrinth, es ist, als ob es tausend Stäbe gäbe. Wobei auch zu hören ist, dass sich nicht jeder in der Beamtenschaft so gern "anschieben" lässt. Ein Blick nach links in Schreyers Büro, man sieht zur Staatskanzlei. Nachgesagt wird ihr ja, dass sie sich für jedes Amt geeignet fühle. "Wenn sich ein Ministerpräsident in jedes Thema einmischen würde", betont sie, "hätte man ja eher die Sorge, dass der Minister sein Thema nicht stark genug vertreten kann."

© SZ vom 07.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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