NS-Orte in Nürnberg:Wegweiser durch das braune Erbe

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Der Torso der Kongresshalle zählt zu den bekannten NS-Orten in Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Literatur über die NS-Zeit in Franken füllt Regale. Braucht's da noch ein Buch? Dieses hier unbedingt: Steffen Radlmaier und Siegfried Zelnhefer lassen in "Tatort Nürnberg" Zeitzeugen durch bekannte und weniger bekannte Örtlichkeiten führen - berührend und amüsant zugleich.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Ob Simone de Beauvoir wirklich wusste, wo sie da genau ist? Egal, über einen Besuch in Süddeutschland im Jahr 1934 hat sie geschrieben, das Land Bayern sei ihr durch die Einheimischen ganz gehörig verleidet worden. "Die massigen Bajuwaren, die ihre behaarten Schenkel zeigten und Würste aßen, fand ich unausstehlich", notierte sie. Um dann übergangslos fortzufahren: "Wir hatten uns viel vom malerischen Nürnberg erwartet; aber Tausende von Hakenkreuzfahnen flatterten noch vor den Fenstern und die Bilder, die wir in der Wochenschau gesehen hatten, drängten sich uns mit unersättlicher Arroganz auf: der gewaltige Aufmarsch, die erhobenen Arme, die starren Blicke, ein ganzes Volk in Trance." Sie und ihr Begleiter Jean-Paul Sartre seien erleichtert gewesen, als sie diese Stadt hinter sich gelassen hätten.

Bajuwaren in Nürnberg also, darauf aber kommt es in dieser Passage aus dem autobiografischen Buch "In den besten Jahren" nicht an. Es ist die Kraft der Beobachtungen aus NS-Franken, die Beauvoirs Skizze so wertvoll machen. Und es ist das Verdienst der Autoren Steffen Radlmaier und Siegfried Zelnhefer, die in ihrem Band "Tatort Nürnberg. Auf den Spuren des Nationalsozialismus" nun solche Beobachtungen vereinigt haben. Die Literatur über die NS-Zeit und deren Hinterlassenschaften in Franken füllt inzwischen Regale. Einen so komprimierten und klug ausgewählten Wegweiser durch das braune Erbe der Stadt Nürnberg, gestützt auf Zeitzeugenberichte, aber gab es bislang nicht.

Pressecamp im Schloss Faber-Castell

Elsa Triolet besuchte den Nürnberger Prozess gegen die Nazi-Kriegsverbrecher gemeinsam mit ihrem Mann, dem Dichter Louis Aragon. 1946 beschreibt sie das Schloss Faber-Castell in Nürnbergs Nachbar-Städtchen Stein, wo die Alliierten ein Pressecamp eingerichtet hatten. "Wie viele Bleistifte waren nötig, um den Fabers die Möglichkeit zu geben, solch ein durch und durch hässliches Schloss zu bauen?", fragt sie. Findet aber auch, nun ja, lobende Worte über das zugewiesene Anwesen: "In dem riesigen und wundervollen Park - Bäume bleiben selbst bei Fabers Bäume -, in diesem Park befinden sich ein leerer Teich und einige Fabersche Hundegräber."

Weniger bekannt: Im Schloss Faber-Castell im Nachbarstädtchen Stein wohnten während der Kriegsverbrecherprozesse die Reporter. (Foto: Faber Castell)

Was ihr Kollege Georg W. Herald aus dem Schloss zu berichten hatte, ist nicht weniger amüsant. Und gibt einen Hinweis darauf, warum die Nazi-Bauten von Nürnberg auf der Welt ein Begriff sind - im Dokuzentrum zählen sie in Urlaubsmonaten inzwischen mehr Gäste aus den USA als aus Mittelfranken.

Herald beschreibt seine Morgenhygiene in Franken und trifft dabei, so notiert er es zumindest, auf allerlei nicht ganz unbekannte Kollegen: "Eines Morgens verwechsle ich halb verschlafen meine Zahnbürste mit der meines Nebenmanns, der sagt: Verzeihung, diese Bürste trägt meine Initialen. Mein Name ist Steinbeck, John Steinbeck." Nebenan habe da gerade John Dos Passos in der Wanne geplanscht, während ein Mann mit Frottiertuch um den Bauch über lokale Weinsorten schimpfte: Ernest Hemingway. Was wohl nur bedeuten kann, dass im Schloss kein Frankenwein gereicht wurde. Oder Hemingway keinen Geschmack hatte.

Auch unbekannte NS-Orte werden beschrieben

Natürlich sind in dem Band alle bekannten NS-Orte versammelt: der Kongresshallen-Torso, das Zeppelinfeld, die Große Straße. Auch das nie gebaute Deutsche Stadion, wo Hitler die Olympischen Spiele stattfinden lassen wollte - nicht einmal in Nürnberg, sondern für immer in Nürnberg. Und der Saal 600, aus dem Dos Passos und Kollegen über den Kriegsverbrecher-Prozess berichteten. Das Buch aber führt auch an weniger bekannte Orte: ins ehemalige "Gauhaus" des NS-Pornografen Julius Streicher etwa, heute Firmensitz des Verlages Nürnberger Presse. Oder ins Hotel Deutscher Hof, das Hitler zu seinem Nürnberger Stammquartier erkoren hatte und an dem Schulkinder mit dem Spruch "Lieber Führer sei so nett, zeig Dich doch am Fensterbrett" entlangspazierten.

Am stärksten aber sind die Zeitzeugenberichte. Der etwa des Konzertveranstalters Fritz Rau, der 1978 nach dem Auftritt Bob Dylans auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände weinend hinter der Bühne zusammengebrochen ist. Als Dylan ihn fragte, was denn los sei mit ihm, rang Rau im Weinkrampf um eine Antwort: "Und ich erklärte ihm, dass wir seine Bühne der Hitlertribüne gegenüber aufgebaut hatten und dass achtzigtausend Deutsche Hitler den Rücken zudrehten und sich Bob Dylan und seiner Musik zuwandten."

Steffen Radlmaier, Siegfried Zelnhefer: Tatort Nürnberg. Auf den Spuren des Nationalsozialismus. 176 Seiten. 14,90 Euro. Verlag Ars Vivendi. Cadolzburg 2014.

© SZ vom 02.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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