NS-Dokuzentrum:Bau am Obersalzberg wird teurer als geplant - und deswegen nicht genehmigt

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Bisher endet die Bunkeranlage im Obersalzberg in einer Sackgasse. Das Dokumentationszentrum will einen Rundweg schaffen. (Foto: Max Köstler/Institut für Zeitgeschichte)
  • Die Erweiterung des Dokumentationszentrums auf dem Obersalzberg soll deutlich teurer werden als zunächst geplant.
  • Wegen der Kostensteigerung von neun auf 21 Millionen Euro hat der Haushaltsausschuss im Landtag seine Zustimmung vorerst verweigert.
  • Auch die anderen Gedenkstätten im Freistaat brauchen dringend Gelder.

Von Florian Stocker, Berchtesgaden

Auf Hitlers früherem Urlaubsberg und zweitem Regierungssitz soll gebaut werden. Und zwar in die Tiefe: Das seit Jahren von Besuchern überlaufene NS-Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg soll einen Erweiterungsbau erhalten. Die Pläne sehen auch einen neuen Zugang zu den unterirdischen Bunkern vor. Das kostet mehr Geld als erwartet und hat eine Diskussion über den finanziellen Umgang des Freistaats mit der Erinnerung an die Nazidiktatur ausgelöst.

"Sehr überrascht" sei man kürzlich im Haushaltsausschuss des Landtags über die Entwicklung der Kostenschätzungen gewesen, sagt der Vorsitzende Peter Winter (CSU). Ursprünglich waren die Ausgaben für die Erweiterung mit neun Millionen Euro beziffert worden. Nachdem das Kabinett dann 14 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollte, soll die Erweiterung nun 21 Millionen Euro kosten. Wegen dieser Kostensteigerung hat der Ausschuss seine Zustimmung vorerst verweigert, die Baupläne liegen erst einmal auf Eis.

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Die meisten Besucher kommen wegen der Bunker

Besonders umstritten ist der Plan, einen alten Blindstollen mit einem Tunnel für den Besucherverkehr freizulegen, um so einen zweiten Zugang zu den Bunkern zu schaffen. Allein dieser rund 35 Meter lange Tunnel soll mehrere Millionen Euro kosten, auch aufgrund des aufwendigen Entlüftungs- und Brandschutzsystems. "Wir brauchen eine gute Lösung für die Bunkeranlage", sagt der Leiter des Dokumentationszentrums, Axel Drecoll.

Laut einer Umfrage kommt fast die Hälfte der Besucher nur ihretwegen auf den Obersalzberg. Wenn wegen verschärfter Brandschutzbestimmungen künftig nur noch 50 Menschen zugleich im Bunker sein dürfen, würden sich bei 1500 Besuchern am Tag lange Schlangen bilden. "Besucherstaus vor dem Bunkereingang müssen wir vermeiden. Wir wollen nicht, dass die Bunker auf diese Weise indirekt zur Reliquie mit Gruseleffekt überhöht werden", sagt Drecoll.

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Mit dem Zusatztunnel entstünde ein Rundweg, der außerdem barrierefrei wäre - für Drecoll ein besonderes Anliegen, wurde doch Hitlers Euthanasiebefehl, der mehr als 70 000 Menschen mit Behinderungen das Leben kostete, auf dem Obersalzberg abgezeichnet.

Nötige Bauvorhaben in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Aber ist der teure Tunnel notwendig? Und muss, wie die örtliche Lokalzeitung titelte, am Ende der Erweiterung wirklich ein "Prestigebau aus Untersberger Marmor" auf dem Obersalzberg stehen? Voraussichtlich bis Mai will man sich Zeit nehmen, um das zu klären, sagt der Ausschussvorsitzende Winter und fügt hinzu: "Man darf auch nicht vergessen, dass es bei den Opferorten des Nationalsozialismus großen finanziellen Nachholbedarf gibt."

Und tatsächlich: Wenn auf dem Obersalzberg ein millionenteurer Tunnel gegraben werden soll, hat man auch andernorts konkrete Bauvorhaben im Visier, die dringend umgesetzt werden müssten. Seit sieben Jahren leitet Gabriele Hammermann die KZ-Gedenkstätte Dachau. Ihr fällt eine ganze Liste von nötigen Baumaßnahmen ein: So habe man in Dachau nur zwei beheizbare Seminarräume, die jetzt schon bis Jahresende ausgebucht seien. Überhaupt fehle ein Fortbildungshaus für Workshops und Tagungen, das heutzutage zur Grundausstattung großer Gedenkstätten wie Auschwitz oder Yad Vashem in Jerusalem gehöre.

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Immerhin kommen fast eine Million Besucher aus aller Welt jährlich in Deutschlands meistbesuchte Gedenkstätte. "Absolut unzureichend" sei da die Situation in Dachau, sagt Hammermann, ihre Mitarbeiter könnten dem Bildungsauftrag so nicht mehr vernünftig nachkommen.

Generell gebe es "große Probleme mit der Infrastruktur": Der Parkplatz stammt noch aus dem Jahr 1965 und wurde seitdem nicht überholt - es gibt weder eine Beleuchtung noch eine funktionierende Entwässerung. "Viele Areale sind nicht mehr befahrbar, und im Sommer muss der Platz regelmäßig wegen Überfüllung gesperrt werden." Die geplante Erweiterung des Platzes nach Westen liegt momentan auf Eis - wie auch die Pläne für einen Sanitärbereich am Parkplatz: "Die Menschenschlangen vor den Toiletten im Bistro reichen manchmal bis auf die Straße vor dem Besucherzentrum hinaus. Da muss dringend etwas passieren", so Hammermann.

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Ein wichtiger Punkt sei außerdem die Dotierung der Stellen: "Vor allem Mitarbeiter im Bildungsbereich sind im Vergleich zu neueren Dokumentationszentren aufgrund alter Verträge deutlich schlechter bezahlt." Natürlich wünsche sie sich keine Konkurrenz zwischen den Gedenk- und Dokumentationszentren, sagt Hammermann. Vielmehr gehe es darum, alle Einrichtungen angemessen auszustatten. Und doch: "Gegenwärtig bekommen Repräsentationsorte des Nationalsozialismus eine größere Aufmerksamkeit als die Orte, an denen die Verbrechen ausgeführt wurden." In neuere Einrichtungen wie das NS-Dokumentationszentrum München oder die Dokumentation Obersalzberg werde von Anfang an mehr Geld investiert.

Auch Flossenbürg müsste modernisieren

Geld, das man auch in Bayerns zweiter KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg brauchen könnte. Dort wurde im vergangenen Jahr immerhin ein neues Bildungshaus eingeweiht. Die Parkplatz-Situation aber erinnert an Dachau: "Sobald es regnet oder schneit, verwandelt sich der Platz in eine Schlammwüste", sagt der Leiter der Gedenkstätte, Jörg Skriebeleit. Und man brauche dringend mehr Personal - andernfalls könne man die starke Nachfrage, die alle Gedenkstätten deutschlandweit seit einigen Jahren erfahren, nicht mehr bedienen und müsse Seminarräume zusperren. Rund 100 000 Besucher kommen jährlich nach Flossenbürg - Tendenz steigend. "Wir arbeiten schon am Limit", sagt Skriebeleit.

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Träger der Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg ist die Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Dort weiß man um die Probleme bei Personal und Infrastruktur. "Im Moment haben wir aber nicht die nötigen Gelder", sagt Stiftungsdirektor Karl Freller. Ihre Mittel erhält die Stiftung zu knapp zwei Dritteln vom Land Bayern, mit einem Drittel beteiligt sich der Bund.

Man dürfe - und in diesem Punkt ist sich Freller mit den Verantwortlichen in Dachau, Flossenbürg und auf dem Obersalzberg einig - bei der finanziellen Versorgung keinen Unterschied machen zwischen Täter- und Opferorten: "Alle Orte sind gleichermaßen wichtig als Lernorte. Bei den Opferorten muss man aber zusätzlich den Aspekt des Gedenkens berücksichtigen." Es schade nicht, genau hinzusehen, wie die Gelder auf Bayerns Gedenkstätten verteilt werden.

© SZ vom 07.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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