Neuer Lehrplan:Auf eigene Faust

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Pflichtlektüre für Bayerns Gymnasiasten ist künftig nur noch Faust I, bei der Wahl der anderen Werke haben die Lehrer freie Hand. (Foto: David Ebener/dpa)

Nach dem neuen Lehrplan Plus sollen die Gymnasiasten nicht mehr so viel Stoff pauken und gleich wieder vergessen, sondern Zusammenhänge verstehen lernen. Die Lehrer bekommen mehr Freiheiten bei der Auswahl der Inhalte - fest vorgeschrieben ist nur ein einziges literarisches Werk

Von Anna Günther, München

Symbolisches Verbrennen alter Schulhefte ist für manche Gymnasiasten nach dem Abitur ein beliebter Spaß. Wozu der ganze Kram? Was soll das im Leben bringen? Geht es nach dem Kultusministerium, stellen sich diese Fragen mit dem Lehrplan Plus gar nicht mehr. Minister Ludwig Spaenle hat den neuen Lehrplan gerade abgesegnet, das Schlüsselwort heißt Kompetenzorientierung. Statt Fakten bis zur Prüfung zu pauken und danach prompt zu vergessen, sollen Bayerns Mädchen und Buben künftig anders lernen. Sie sollen Zusammenhänge verstehen, über die reinen Fachgrenzen hinweg denken, ihr Wissen anwenden können und Schlüsse ziehen, die auch lange nach dem Schulabschluss noch nützen. Fürs Leben lernen.

Der Lehrplan Plus wächst mit den Kindern mit. Die erste Generation lernt gerade in der dritten Klasse, von 2017 an kommen diese Kinder ans Gymnasium. In der ersten Lehrplanreform seit etwa 13 Jahren haben digitale und interkulturelle Inhalte mehr Raum bekommen. Digitale Methoden und Lernmaterialien sollen eine größere Rolle spielen. Außerdem wurde der Plan für alle Schularten erstellt und auf Schnittstellen im Stoff geachtet. Die Lehrpläne für Mittel- und Realschule sind derzeit noch in der Diskussion. Aber was ändert sich eigentlich? Ein exemplarischer Überblick:

Deutsch

Experten des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands haben die beiden Lehrpläne verglichen. In Deutsch sind die Inhalte weitgehend gleich geblieben, auf das Wie kommt es an. Der Lehrplan gliedert sich in die Lernbereiche "Sprechen und Zuhören", "Schreiben", "Sprachgebrauch und Sprache untersuchen und reflektieren" sowie "Lesen - mit Texten und weiteren Medien umgehen". Vorgeschrieben werden Kompetenzen, die Schüler erwerben sollen. Hier zum Beispiel die Inhalte, die sie in der 11. und 12. Klasse lernen: Unter anderem sollen sie szenisch spielen können, Texte planen, schreiben sowie überarbeiten oder sprachliche Strukturen analysieren. Wie die Lehrer den Unterricht gestalten, können diese noch freier entscheiden als im aktuellen Lehrplan. Es liegt an den Pädagogen, welche Bücher - oder Ganzschriften, wie es in bestem Beamtendeutsch heißt - sie in welcher Epoche behandeln. Verpflichtend ist nur "Faust I" von Johann Wolfgang von Goethe.

Sind derzeit in der Qualifikationsphase vor dem Abitur ein Drama, ein "episches Werk" des 19. Jahrhunderts, ein Roman des 20. oder 21. Jahrhunderts und ein Werk aus der Nachkriegszeit Pflicht, bleibt im Lehrplan Plus ein literarisches Werk des 19. Jahrhunderts übrig. Dafür sollten zwei Schriften aus Lyrik, Drama oder Epik des 20. oder 21. Jahrhunderts gelesen werden, eines aus der Zeit nach 1945. Falls noch Zeit bleibt, können die Schüler mehr lesen oder einen Film ansehen. Der Weg durch Dichterdeutschland muss nicht mehr von der Klassik bis zur Gegenwart gehen, die Jugendlichen dürfen in der Zeit springen - sofern es thematisch Sinn macht. Die Aufsatzformen bleiben gleich, Schüler müssen Dramen, Gedichte, Romane und Sachtexte analysieren und interpretieren. Künftig sollen sie neben Kommentaren, Reden und Essays aber auch Glossen schreiben.

Mathematik

Seit der Einführung des G 8 ist Mathematik bis zum Abitur für alle verpflichtend, das ändert sich auch im Lehrplan Plus nicht. Anders ist, dass immer wieder auf den Stoff der Grundschule Bezug genommen wird und so das nahtlose Ineinandergehen der Schularten auch im Lehrplan sichtbar wird. Die Praxis wird 2017 zeigen, was die Kleinen dann wirklich können. Der Stoff wurde teilweise in andere Jahrgangsstufen geschoben, nur wenig fiel komplett raus. Polynomdivision, Sinus- und Kosinussatz oder das Newton-Verfahren werden im Lehrplan für die Plus-Generationen nicht mehr explizit erwähnt. Dafür kommen sie in der 9. Klasse in den Genuss von Rotationskörpern und lernen in der 6. Klasse über Spannweite, Median und Quartil. Neu ist, dass wieder stärker auf Kopfrechnen geachtet werden soll - zumindest bei "angemessen gewählten Zahlen".

Englisch

Bahnbrechende Veränderungen haben im Lehrplan des Fachs Englisch nicht stattgefunden. Weiterhin spielen die USA und Großbritannien die Hauptrolle, wenn Jugendliche etwas über englischsprachige Gesellschaften lernen sollen. Der Aspekt des interkulturellen Lernens hätte aus Sicht des BLLV noch stärker vertieft werden können, etwa dadurch, dass Länder wie Indien oder afrikanische Staaten früher und intensiver behandelt würden. Der Fokus liegt klar auf der Politik der USA und des Vereinigten Königreichs, Inhalte wie Musik, Popkultur oder Mode, die näher am Leben vieler Schüler sind, müssen die Lehrer eher reinquetschen.

Wichtiger werden künftig Medienkompetenz und kritisches Hinterfragen der Bilderflut in PC-Spielen, Werbung oder Filmen. Mit der Kompetenz "visual literacy" sollen die Schüler lernen, diese Bilder zu lesen und einzuordnen. Mehr Gewicht bekommt auch die Lautschrift, mit der schon den Kleinsten eine Basis für jede neue Sprache vermittelt wird. Beherrschen Schüler Lautschrift, können sie selbständiger lernen. Und genau darin liegt einer der großen Schwerpunkte des Lehrplan Plus: Die Mädchen und Buben sollen weniger vorgekaute Fakten pauken und mehr eigenverantwortlich lernen. Zum Beispiel indem sie sich Inhalte selbst erarbeiten. Ob Zeit bleibt, um über aktuelle Ereignisse wie die Wahlen in den USA zu sprechen, bezweifelt der BLLV sehr. Dabei kritisieren bayerische Schülersprecher am G 8 ohnehin schon zu wenig Zeit für diese Themen.

Geschichte

Eine Idee des neuen Lehrplans war, Raum für fachübergreifende Projekte und Vertiefung zu schaffen. Im Fach Geschichte ging der Schuss aus Sicht des BLLV nach hinten los: Statt mehr Zeit und weniger, aber dafür intensiver zu diskutierender Themen, sind noch mehr Aspekte vorgeschrieben. Bei weniger Stunden. Zum Beispiel hat ein Geschichtslehrer in der 6. Klasse zwölf Stunden Zeit, um sich mit dem Imperium Romanum zu beschäftigen. Nach dieser Zeit sollen die Schüler über Romulus, Remus und die Wölfin, das Leben in der römischen Republik, die Kaiser von Caesar bis mindestens Konstantin den Großen und die Herrschaft über die Provinzen Bescheid wissen. Neu dazu kommt das Leben der Juden im römischen Reich, die Diaspora sowie die Rolle der Christen, erst als Verfolgte und dann als Säule Roms. Die Kaiser des Mittelalters und insbesondere Karl der Große kommen auch noch dazu. Zusätzlich gibt es Vorschläge zur Vertiefung: Familienbilder und die Rolle der Frau von der griechischen Polis über das Alte Rom bis zur Gegenwart. Spannend, aber es ist fraglich, ob auch Zeit dafür bleibt.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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