Neuburg an der Donau:Polizei rätselt über Familiendrama in der Neonazi-Szene

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Einst entdeckte die Polizei auf seinem Anwesen Sturmgewehre und Handgranaten. Nun schießt sich der bekannte Rechtsextremist Anton P. vor den Augen der Beamten in den Bauch. Neben ihm: die Leiche seines Sohnes - der psychisch kranke junge Mann hat sich vermutlich selbst umgebracht.

Heiner Effern, Stefan Mayr und Frank Müller, Neuburg

Vor der Hütte nahe dem Weiler Unterstall, an der die tödlichen Schüsse fielen, stehen am Tag danach drei Mannschaftsbusse und ein Zivilfahrzeug der Polizei. Die Fensterläden des kleinen Hauses aus hellem Holz sind geschlossen, Beamte mit Plastikhandschuhen durchkämmen das Gras im Vorgarten.

In seinem Weiler Sinning residierte einst die NPD und die Zentrale des Parteiorgans "Deutsche Stimme". Jetzt hat sich der bekannte Rechtsextremist Anton P. selbst eine Schussverletzung zugefügt. (Foto: dpa)

Auf der einen Seite steht noch eine ältere Hütte mit einem Geweih über der Tür, dahinter führt ein Feldweg in den Wald. Auf der anderen beginnt ein Maisfeld, die Halme stehen mannshoch. Ein Suchhund schnüffelt nach Hülsen und Munitionsteilen, später kommt ein Polizist mit einem Detektor nach vorne zu seinen Kollegen. "Wir wollen ausschließen, dass noch eine weitere Waffe im Spiel war", erklärt ein Polizeisprecher.

Nahe der Hütte schoss sich der bekannte Rechtsextremist Anton P. in den Bauch, als von einem Bekannten alarmierte Polizisten am Mittwochnachmittag eintrafen. Kurz darauf fanden die Beamten den toten 23-jährigen Sohn des Extremisten. P. selbst liegt schwer verletzt, aber in offenbar stabilem Zustand in der Klinik.

Erst nach einer Obduktion des toten Sohnes gewinnt die Polizei am Donnerstagnachmittag Klarheit über die Abläufe: Demnach hat sich der psychisch kranke junge Mann selbst erschossen, im Anschluss versuchte auch der Vater, sich zu töten. Die Sicherheitsbehörden glauben nicht an einen rechtsextremen Anlass für die Tat. Ein Abschiedsbrief lasse auf private Gründe schließen, erklärt die Polizei.

Die beiden Männer wohnten in dem Weiler Sinning, in einem Anwesen mit großem Hof an der Durchgangsstraße. Im Wohnhaus vorne residierte einst die NPD und die Zentrale des Parteiorgans Deutsche Stimme. Im Hinterhof standen lange zwei Schützenpanzer, mit denen P. senior im Hof herumfuhr. Sein Interesse für die Wehrmacht zeigte sich auch darin, dass er alte Kübelwagen restaurierte und mit ihnen auf Flohmärkten herumfuhr, um mit Wehrmachtsutensilien zu handeln.

"Wenn er irgendeinen Menschen geliebt hat, dann seinen Sohn"

Doch seit der Rückkehr aus der Haftstrafe, da sind sich die Nachbarn einig, waren kaum mehr rechte Aktivitäten wahrnehmbar. Sein Sohn zog irgendwann aus Neuburg zu ihm hinaus, ihre Beziehung soll gut gewesen sein. "Wenn er irgendeinen Menschen geliebt hat, dann seinen Sohn", sagt ein Nachbar, der P. seit 40 Jahren kennt.

Die Jahre, in denen P. noch aktiv in der rechten Szene war, sind ihm noch als unangenehm in Erinnerung. Nicht dass hier auf dem Land ständig Kundgebungen oder Aktionen stattgefunden hätten, aber "komische Vögel" seien hier schon verkehrt. Zweimal im Jahr schmiss P. ein Fest für seine rechten Freunde. "Da sind dann die Glatzen gekommen."

In dieser Zeit gründete sich in Sinning eine Bürgerinitiative gegen rechts, die P. bis zuletzt beobachtete. Er galt stets als Waffennarr und war Mitglieder der "Wiking-Jugend" und der rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hofmann". In der war auch der Oktoberfest-Attentäter von 1980, Gundolf Köhler. Über eine Verstrickung von P. in die Hintergründe sei aber nichts bekannt, hieß es gestern im Innenministerium. P. sei dem Verfassungsschutz aber als jahrzehntelanger Rechtsextremist bekannt, hieß es.

1998 hatte P. das Wohnhaus in der Ortsmitte an die Deutsche Stimme vermietet. Dort arbeiteten zwei Jahre lang fünf Redakteure und fünf weitere Mitarbeiter an der Zeitung - sehr zum Unwillen der Bevölkerung. Gemeinde und Landkreis hatten immer wieder versucht, das NPD-Blatt mit juristischen Mitteln loszuwerden.

Nach der Ansiedlung der Deutschen Stimme fanden in dem Dorf rechtsextremistische Treffen statt - und Gegendemonstrationen linker Gruppierungen. Im Oktober 1999 wurde P. vom Landgericht Ingolstadt wegen zahlreicher Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.

Zuvor hatte die Polizei mit einem 300-Mann-Aufgebot eine Razzia in Sinning und Umgebung durchgeführt. Die Beamten stellten unter anderem eine Maschinenpistole, Sturmgewehre, Handgranaten und Maschinengewehrläufe sicher. In den Redaktionsräumen der NPD-Zeitung fanden sie mehrere Kisten mit NS-Propagandamaterial.

Bei der Aktion wurden Wohnungen, Garagen, Lagerhallen, eine Bunkeranlage und eine Waldhütte durchsucht. Letztere war offenbar die Waldhütte, vor der am Mittwoch die Bluttat geschah. Einen Waffenschein hatte P. nicht, er hat also mit der Tat auch erneut gegen das Waffenrecht verstoßen.

Straffällig wurde er nicht mehr, Aufsehen erregte er trotzdem

Im Jahr 2000 zog die Deutsche Stimme schließlich in einer Nacht- und Nebelaktion nach Riesa in Sachsen um. Die Bürger in der bis heute bestehenden Sinninger Initiative "Gegen Rechts" reagierten erleichtert. Und um Anton P. wurde es etwas ruhiger, auch wenn die Polizei ihn nicht aus den Augen ließ.

Straffällig wurde er nicht mehr, Aufsehen erregte er trotzdem: 2008 war er in Pöttmes (Landkreis Aichach-Friedberg) als Schatzmeister der "Naturreligiösen Siedlungsgemeinschaft Lindengrund" an einem umstrittenen Projekt namens "Runenhof" beteiligt. Die geplante Übernahme einer Gaststätte scheiterte, dafür ließ P. im Januar dieses Jahres verlauten, er habe sich rückwirkend zum Jahr 1991 unter "Selbstverwaltung" gestellt, weil er die Bundesrepublik als Staat nicht akzeptiere.

Mit dieser Begründung stellte er auch die Zahlung von Grundsteuer ein.

© SZ vom 05.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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