Naturschutz:Raus aus dem engen Bett

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Die Salzach ist seit gut einem Jahrhundert eingezwängt zwischen Böschungen aus Stein. Nun soll der Fluss renaturiert werden. Wie, ist allerdings höchst umstritten

Von Matthias Köpf, Burghausen

Der Fluss, den die Naturschützer der Region als letzten frei fließenden Voralpenfluss in Bayern ansehen, ist genau 114 Meter breit. Natürlich kommen Bäche dazu, die Sur zum Beispiel oder die Oichten. An den 114 Metern ändert sich über die 50 Kilometer von der Saalachmündung bei Freilassing bis kurz vor Burghausen aber nichts. Auf diese Breite, auf 60 Wiener Klafter, haben sich die Herren in München und Wien 1873 geeinigt, weil ihnen die 1820 vereinbarten 80 Klafter als zu breit erschienen. Der bayerische König und der Habsburger-Kaiser, die sich 1816 das Fürstbistum Salzburg aufgeteilt hatten, wünschten keine mäandernde Grenze mit Kiesbänken im Niemandsland, sondern eine klar gezogene Linie, und seither strömt die Salzach standardisiert wie ein Kanal zwischen Bayern und Österreich dahin. Dass sich daran dringend etwas ändern muss, ist allen Seiten klar. Nur wie die Renaturierung aussehen soll, darüber gehen die Ansichten auseinander. Hauptstreitpunkt ist die Wasserkraft.

Denn die Salzach tut seit der Regulierung Ende des 19. Jahrhunderts das, wozu sie zwischen ihren steinernen Uferböschungen gezwungen wird: Sie gräbt sich immer tiefer in ihr Bett, mit jedem Tag, und mit jedem Hochwasser erst recht. Fast fünfeinhalb Meter liegt die Sohle stellenweise schon tiefer, als im Jahr 1920. Das Geschiebe aus den nahen Bergen, der viele Kies, den die Salzach früher zu breiten Bänken aufgehäuft und immer wieder umgelagert hat, kommt über die vielen Kraftwerke aber nicht mehr hinaus, die sich am Oberlauf von den Kitzbüheler Alpen bis Salzburg aufreihen. An seinen befestigen Ufern ist für den Fluss auch kein Material zu holen, und so richtet die Salzach die Kraft ihres Wassers gegen ihr eigenes Bett. Wo die Strömung den Kies vom Grund gerissen hat, trifft sie auf weichen Seeton, der ihr wenig entgegensetzt. Mit der Eintiefung des Flussbetts sinkt auch das Grundwasser, die kaum mehr überschwemmten Auwälder an den Ufern werden immer trockener. Immer wieder ist es zu kleineren Sohldurchbrüchen gekommen, bei einem schweren Hochwasser 1959 gaben bei Salzburg die Sohle und die Ufer nach, die Autobahnbrücke bei Liefering stürzte in den Fluss. Auch beim Hochwasser 2002 fräste der sich ganz in der Nähe wieder ein gutes Stück in den Untergrund.

Da hatte längst eine internationale Expertenkommission Vorschläge gemacht und Varianten ausgearbeitet. Im Freilassinger Becken oberhalb der engen Schleife um die alte Salzschiffer-Stadt Laufen hat das Wasserwirtschaftsamt Traunstein auf bayerischer Seite inzwischen die harte Uferbefestigung abgetragen, der Fluss kann sich ein bisschen in die Breite nagen und sich so Kies holen. Ein flache Schwelle im Flussbett bremst die Strömung, und auch die Menschen können sich hier wieder an die Salzach herantrauen, ohne Angst, über die steile Böschung in den Fluss zu rutschen. Bagger haben Totholz in den Kies gegraben, wie es ein naturbelassener Fluss selbst angespült hätte.

Renaturierung: Bagger haben Totholz-Stämme in den Kies gegraben, wie sie ein naturbelassener Fluss angespült hätte. (Foto: Wasserwirtschaftsamt Traunstein)

Gegenüber verfolgt das Bundesland Salzburg mit etlichen Millionen aus Brüssel noch ehrgeizigere Pläne. Hier werden Fichten gefällt und Land abgegraben, um den Fluss aus dem Wald wieder eine regelmäßig überschwemmte Weichholzaue machen zu lassen. Ein Erlebnisweg soll in ein oder zwei Jahren den neuen "Naturpark Salzachauen" zugänglich machen.

Eine Renaturierung im großen Stil auch im Tittmoninger Becken unterhalb von Laufen könnte einen dämpfenden Effekt auf die sonst so schnelle Hochwasserwelle der Salzach über den Inn bis Passau haben. Sie könnte wieder einen artenreichen Auwald schaffen und so auch einen touristischen Mehrwert bringen. So sehen es die Naturschutzverbände, die auch manche Lokalpolitiker für ihre Ideen begeistern konnten. Martin Donat als "Umweltanwalt" der oberösterreichischen Landesregierung hat dafür eine "Naturflussvariante" vorgeschlagen, die fast ohne Querstruktur im Fluss auskommt. Zwei flache Rampen, ein sich verbreiterndes Bett und das Hineinbaggern von grobem Kies sollen die Sohle stabilisieren, acht Nebenarme Lebensräume schaffen. Dazu wären aber große Flächen notwendig, von denen auf bayerischer Seite viele in Privatbesitz sind. Die Behörden in Traunstein und Braunau hingegen stützen sich auf zwei Varianten aus der Gewässerkommission: Bei der ersten soll sich die Salzach auf bis zu 200 Meter ausbreiten können, vier Rampen würden den Fluss bremsen. Die zweite Variante basiert auf der ersten, nur würden an drei höheren Rampen Kraftwerke gebaut. Zusammen sollen sie 100 Gigawattstunden Strom im Jahr erzeugen, was nach Rechnung der Naturschützer kaum ins Gewicht fällt und viel zu wenig ist, um dafür einen Flusslauf zu opfern, der neben dem oberen Lech und dem Tagliamento im Friaul der letzte Alpenfluss mit einer längeren Strecke ohne Kraftwerk ist. Die bayerische Staatsregierung hat 2016 beschlossen, neue Querbauwerke in der Salzach auf jeden Fall zur Stromerzeugung zu nutzen. Entscheidungen müssen im Konsens mit den Regierungen in Wien und Oberösterreich fallen. Dort gibt es dazu noch keine klare Position. Mit einer ersten Aufweitung der Ufer will das Wasserwirtschaftsamt Traunstein aber so bald wie möglich beginnen.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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