Das öffentliche Leben ist momentan heruntergedimmt wie selten zuvor. Am Himmel lärmen keine Flieger mehr, auf den Straßen rollt nur wenig Verkehr. Deshalb dominieren in diesen Frühlingstagen vor allem die Vögel und ihre in alle Richtungen pfeifenden Stimmen den öffentlichen Klangraum. Selten war dieses Großkonzert, das schon zwischen 4 und 5 Uhr in der Früh beginnt, so klar und deutlich wahrzunehmen wie jetzt. Dieses Naturphänomen wirft natürlich auch Fragen auf: Wer zwitschert und trällert da eigentlich? Von wem kommt denn dieses "zizi dü üü"? Nur geübte Zuhörer erkennen an diesem Gesang die Blaumeise. Unverkennbar auch die Amsel: "düririü didü"! Vieles andere ist wesentlich schwieriger zu deuten, zu vielstimmig ist der Chor in Gärten, Parks und Wäldern. Es braucht ein gut geschultes Gehör, um sich da zurechtzufinden.
Gerade in der Zeit der Ausgangsbeschränkung wächst das Bedürfnis, die Gesänge vor der Haustür zu enträtseln. Zu diesem Zweck gibt es bereits eine Menge Ratgeber sowie Bücher und CDs. Aber selbst damit ist es nicht immer leicht, Vogelstimmen zu exakt zuzuordnen. Hilfreich ist es mitunter, an einer Exkursion mit einem Vogelbeobachter teilzunehmen, wie sie der Landesbund für Vogelschutz anbietet.
Einen besonderen, weil individuell zugeschnittenen Service bietet der Vogelexperte Philipp Herrmann aus Landshut an. Wer wissen will, welcher Vogel da in seiner Nähe trällert, kann den Gesang mit seinem Smartphone aufnehmen und die Datei direkt an Herrmanns Vogelstimmenhotline schicken, die er seit 2016 in Zusammenarbeit mit dem Bund Naturschutz betreibt. Erst gab es das Angebot nur rund um Landshut, nun aber wurde es auf ganz Bayern ausgeweitet. Die Hotline zählt zu den bislang innovativsten Projekten zur Identifizierung von Vogelstimmen. Ursprünglich wurde sie als Experiment gestartet, um die Landshuter Bevölkerung für eine neue Form der Umweltbildung zu begeistern, sagt Herrmann, 37, dessen Begeisterung für die Vogelwelt schon in der Kindheit geweckt wurde. Damals hatte er eine CD mit den Stimmen mitteleuropäischer Vögel geschenkt bekommen. "Die habe ich mir immer zum Einschlafen angehört", erinnert er sich. Mit 15 kannte Herrmann sämtliche heimischen Vogelstimmen. Später, bei Familienurlauben in Italien und Frankreich lernte er auch die dortigen Vögel kennen.
Weit über 10 000 Anfragen hat der "Vogelphilipp" schon beantwortet. "Mir war es wichtig, ein Angebot zu schaffen, das man auch unterwegs ganz einfach nutzen kann, - ein Handy hat schließlich fast jeder dabei", sagt er. "Auch der Lerneffekt ist ein ganz anderer, wenn man seine eigene Vogelstimme bestimmt bekommt, die man in der Natur aufgenommen hat."
Dass die Menschen bei ihm eine persönliche Antwort bekommen, überrascht viele. Üblich war ja bisher eine von einer App generierte automatische Antwort. Diese Vogelstimmen-Apps leiden aber oft noch unter technischen Problemen. Wenn etwa mehrere Vögel gleichzeitig zwitschern oder sich Hintergrundgeräusche in die Aufnahme mengen, dann können diese Hilfsmittel kaum noch differenzieren. Kürzlich hat eine solche App kurioserweise einen Auerhahn mitten in Nürnberg bestimmt, wie Herrmann erfahren hat. Da ist man bei ihm dann besser aufgehoben, wie zum Beispiel jener Vogelfreund, der ihm am Dienstag eine Datei mit Vogelstimmen aus einem Wald geschickt hat. Vorne war eine Kohlmeise zu hören, daneben eine Amsel, der Mann interessierte sich aber mehr für die Stimme im Hintergrund. Herrmann konnte sie als den Gesang einer Misteldrossel identifizieren. Der Mann war glücklich, wie schon so viele vor ihm, denen Herrmann mit seiner Auskunft helfen konnte.
Einen kuriosen Fall hat ihm ein Ehepaar zugetragen, das regelmäßig einen Friedhof aufsucht, um dort zu gießen. Verlieren sich die Partner aus den Augen, so pfeifen sie sich zu, wie sie erklärten. Dabei fiel dem Mann auf, dass da plötzlich ein Vogel zu hören war, dessen Ton genauso klar war wie der Pfeifton seiner Frau. Ein klassischer Fall für Philipp Herrmann, der den Vogel als einen Kleiber bestimmen konnte.
Zuletzt wurde ihm mehrmals der Gesang eines Wiedehopfs zugespielt. Das ist erfreulich, denn der Wiedehopf bildet auf der Häufigkeitsskala den Gegenpol zur Amsel, die mit Abstand am häufigsten nachgefragt wird. "Der Wiedehopf ist in Bayern extrem selten", sagt Herrmann. Er schätzt, dass es wohl nur ein Dutzend Brutpaare in Bayern gibt.
Der Service von Philipp Herrmann ist kostenfrei. Wer Interesse hat, kann den Vogelgesang via Smartphone über die Sprachnachricht-Funktion von Whatsapp aufnehmen und über die Nummer 0160-4424450 an den "Vogelphilipp" schicken. Der gibt dann Bescheid, welchen Vogel man da gehört hat - oft garniert mit Zusatzinformationen.