Wenn Michael Spitzbarth den Ochsenkopf hinaufstapft und oben die Skier zum Snowboard aneinanderschnallt, um durch den Tiefschnee ins Tal zu brettern, dann tut er das nicht nur zu seinem Vergnügen. Der 36-Jährige ist Chef der Firma Bleed aus dem oberfränkischen Helmbrechts. Und im Fichtelgebirge testet er seine neue Kollektion am eigenen Leib.
Die Sportmode, die er seit zehn Jahren verkauft, ist komplett ökologisch, fair und vegan hergestellt. Verwendet werden so ungewöhnliche und alltägliche Materialien wie eingeschmolzener Plastikmüll, alte Fischernetze, Kork und Altpapier.
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Als Spitzbarth noch freiberuflich Mode für große Unternehmen entwarf, stellte er fest: "Sie stellen Mode für Sport in der Natur her, aber machen mit ihrer Produktion den Planeten kaputt." Er wollte es anders machen. Das Motto von Bleed: Weder Menschen, Tiere noch die Natur sollen für die Kleidung bluten (Englisch: bleed). Weil er weiß, dass ein erhobener Zeigefinger niemanden zum Umdenken bewegt, präsentiert er einen coolen Lifestyle.
Und diesen verkörpert er als ehemaliger Skateprofi, Surfer und Snowboardfahrer, der stets eine Mütze trägt, ziemlich authentisch. Man nimmt es ihm ab, dass er die Natur liebt und erhalten möchte, damit noch viele Menschen in ihr Sport treiben können.
2016 machte Bleed erstmals mehr als eine Million Euro Umsatz, dennoch versteht sich die Firma mit ihren zwölf Mitarbeitern noch immer als "Family Business". Investoren wird eine Absage erteilt, bei neuen Entwicklungen stattdessen auf Crowdfunding gesetzt. Obwohl die Kollektionen in mehr als hundert Läden in Europa und in Onlineshops erhältlich sind, wird nur in kleinen Stückzahlen produziert. Nachgeliefert wird nicht, um eine "Überproduktion für die Müllkippe" zu vermeiden.
Anders als viele junge Kreative zog es Spitzbarth nie in die Großstadt. "Da schnürt es mir die kreative Luft ab", sagt er. In der Stadt orientiere man sich immer unbewusst an anderen und lasse sich leicht ablenken, auf dem Land dagegen könne man sich besser fokussieren. Spitzbarth liebt seine Heimatstadt Helmbrechts und preist die "irre hohe Lebensqualität" in der oberfränkischen Provinz an: "Du gehst hinters Haus und bist direkt in der Natur."
Außerdem liege Helmbrechts strategisch günstig zwischen München und Berlin, und das bei Quadratmeterpreisen von zwei Euro. Die Heimatverbundenheit drückt sich auch in den Produkten von Bleed aus: Es gibt Mützen, Stirnbänder und Schals mit einem Aufnäher, der den stilisierten Schneeberg zeigt.
Studiert hat Spitzbarth auch in der Heimat, Textildesign im benachbarten Münchberg. Aus der einstigen königlichen Webschule erwuchs eine Außenstelle der Hochschule Hof, die die Textiltradition Oberfrankens hochhält. Schon im Mittelalter wurde hier gewebt, im 19. Jahrhundert galt Helmbrechts gar als "Kleiderschrank der Welt". Auch heute gibt es noch einige Webereien und Zulieferbetriebe in der Gegend.
Doch die Verwirklichung von Spitzbarths Traum, die eigenen Produkte komplett in der Heimat herstellen zu lassen, ist noch in weiter Ferne. Ein erster Schritt ist eine regionale Biojeans, die Ende des Jahres auf den Markt kommen soll. Zwar stammt die Baumwolle aus der Türkei, doch gefärbt wird sie in Leutershausen (Landkreis Ansbach) und zum Stoff gewebt in Helmbrechts. Die Weberei ist ein Familienbetrieb, der zuvor nur Heimtextilien herstellte. Der Juniorchef in Spitzbarths Alter wollte moderner werden, beim Bier entstand die Idee, sich gemeinsam an die Jeans zu wagen.
Vier Jahre sind inzwischen vergangen, noch immer wird an der Stoffqualität gefeilt. Und eine Näherei in Nordbayern zu finden, scheint unmöglich zu sein. Bisher werden die Jeans im polnischen Posen genäht. Mit 100 Euro kosten sie nicht mehr als eine konventionelle Markenjeans. Weil die Lohnkosten in Deutschland etwa doppelt so hoch seien, werde die regionale Jeans aber wohl 20 bis 30 Prozent mehr kosten, schätzt Spitzbarth.
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Bleed setzt nicht nur auf Regionalität, sondern auch auf neue Materialien. Sie waren die ersten, die vor drei Jahren eine Lederjacke aus Kork entwickelten. Oder genauer gesagt: eine Korkjacke in Lederoptik. Spitzbarth erzählt, dass die portugiesischen Korkbauern, die die Rinde etwa alle acht Jahre von den alten Bäumen schälen, froh über neue Abnehmer seien, nachdem Korkfußböden und Korkverschlüsse aus der Mode gekommen sind. Und weil "die vegane Szene nach Alternativen lechzt", gibt es Laptoptaschen, Gürtel und Käppis mit Schirmen aus Kork. Auch ein vermeintlicher Ledergeldbeutel ist im Sortiment. Er besteht aus Altpapier gemischt mit Latex.
Surfshorts und Bikinis sind bei Bleed aus Econyl. Das Garn aus alten Fischernetzen ist eine recycelte Alternative zu chemisch hergestelltem Nylon, der man ihre Vergangenheit übrigens nicht ansieht. Im Sortiment hat Bleed auch Kleidung aus chinesischem Hanf. In China werde das Know-how seit 4000 Jahren tradiert, sagt Spitzbarth. Gerne würden sie noch mehr Hanf verarbeiten. Doch wegen der weltweiten Prohibition sei die Kulturpflanze, die eigentlich überall schnell und unkompliziert wächst, kaum herzubekommen.
Für den Klimaschutz zahlt Bleed einen Ausgleich
Wer draußen Sport macht, braucht eine Jacke für schlechtes Wetter und so hat Bleed auch mit wasserabweisender Baumwolle experimentiert. "Damit sind wir leider gescheitert", gibt Spitzbarth zu. Zu teuer das Produkt und zu groß der Glaube des Handels an Kunstfasern. Um wenigstens kein neues Plastik in die Welt zu setzen, hat Bleed eine komplett klimaneutrale Funktionsjacke aus recyceltem Plastik entwickelt. Seit September vergangenen Jahres ist sie auf dem Markt und dürfte weltweit die erste ihrer Art sein.
Für die Treibhausgase, die bei Herstellung und Transport anfallen, zahlt Bleed einen Ausgleich in ein Umweltprojekt. Eingeschmolzen und zu sortenreinem Garn gesponnen wird der Plastikmüll in einem Betrieb in China, der höchste ökologische und soziale Standards einhält. Innen hat die Jacke eine atmungsaktive Membran von Sympatex, dem bekannten Unternehmen aus Unterföhring für recycelbare Funktionsmaterialien.
So kann die Jacke eines Tages komplett recycelt werden. Stoffe in einem geschlossenen Textilkreislauf immer wieder aufbereiten: Auch das ist einer von Spitzbarths Träumen - nicht erst, seit er vor der Küste Portugals durch Plastikmüllinseln gepaddelt ist.
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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es fälschlicherweise, dass die regionale Jeans wegen der hohen Lohnkosten in Deutschland doppelt so viel kosten werde. Gemeint hatte Michael Spitzbarth allerdings, dass die Lohnkosten in Deutschland etwa doppelt so hoch seien wie in Polen und nicht der Verkaufspreis der Jeans. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.