Wegen Mordes verurteilt:Manfred Genditzkis Hoffnung hat sich zerschlagen

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Der wegen Mordes verurteilte Manfred Genditzki muss im Gefängnis bleiben. Das Gericht sieht keine Gründe, das Verfahren noch einmal aufzurollen.

Von Hans Holzhaider

Die Hoffnung des ehemaligen Hausmeisters Manfred Genditzki, 60, nach fast zwölf Jahren Haft wieder auf freien Fuß zu kommen, hat sich zerschlagen. Die 1. Strafkammer am Landgericht München I unter dem Vorsitz von Elisabeth Ehrl hat am Mittwoch den Antrag, das Verfahren gegen Genditzki wiederaufzunehmen, abgelehnt. Die im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten neuen Beweismittel seien nicht geeignet, das im Januar 2012 vom Landgericht München II verhängte Urteil wegen Mordes an der Rentnerin Lieselotte Kortüm zu erschüttern und eine Freisprechung des Verurteilten zu begründen, heißt es in der Begründung.

Die 87-jährige Lieselotte Kortüm, frühere Inhaberin von mehreren Schuhgeschäften, war am 28. Oktober 2008 in ihrer Wohnung in Rottach-Egern tot aufgefunden worden. Sie war in ihrer Badewanne ertrunken. Im Februar 2009 wurde Genditzki unter dem Verdacht, die alte Frau ertränkt zu haben, festgenommen. Genditzki war Hausmeister in der Wohnanlage, in der Kortüm lebte. Er war nach dem Tod ihres Ehemannes die einzige Bezugsperson der gehbehinderten alten Dame und kümmerte sich umfassend um sie.

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Im Mai 2010 wurde Genditzki vom Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen eines Verfahrensfehlers hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf, aber in einem zweiten Prozess verurteilte das Landgericht München II Genditzki erneut. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass Genditzki aus nichtigem Anlass mit der alten Dame in Streit geraten sei, sie im Zorn mit einem unbekannten Gegenstand auf den Kopf geschlagen und sie dann, um diese Tat zu verdecken, in der Badewanne ertränkt habe.

Das Urteil war von Anfang an umstritten, weil es für das angebliche Motiv, den Streit, keinerlei Indizien gab, und weil das Gericht die Möglichkeit eines Unfalls kategorisch ausschloss, obwohl durch einen Arztbericht belegt war, dass die Frau in der Vergangenheit wiederholt kurzzeitige Ohnmachtsanfälle hatte und gestürzt war. Es habe für Lieselotte Kortüm keinerlei Anlass gegeben, sich an der Badewanne zu schaffen zu machen, hieß es in der Urteilsbegründung. Das von der Verteidigung vorgebrachte Argument, Kortüm habe mutmaßlich kotbeschmutzte Unterwäsche einweichen wollen, ließ das Gericht nicht gelten. Zwei bei der Obduktion festgestellte Hämatome in der Kopfschwarte seien, so das Gericht, durch einen Sturz in die Badewanne nicht zu erklären.

In dem Wiederaufnahmeantrag, den die Münchner Rechtsanwältin Regina Rick im Juni 2019 einreichte, wurden umfangreiche neue Beweismittel vorgetragen, um die wesentlichen Urteilsgründe zu widerlegen. Kern des Wiederaufnahmeantrags ist ein Gutachten des Stuttgarter Professors für Simulationstechnologie Syn Schmitt. Das Gutachten widerlegt die Feststellung des Urteils, dass "ein Sturzgeschehen aufgrund der Auffindeposition der Frau Kortüm ausscheidet". Die aufgrund neuer Technologie möglich gewordene Computersimulation habe vielmehr ergeben, dass Kortüm bei einem Sturz genau in die Position gelangt sein könne, in der sie aufgefunden wurde, und dass sie dabei auch exakt die beiden Hämatome erlitten haben könnte, die bei der Obduktion festgestellt wurden.

Ferner legte die Rechtsanwältin ein Gutachten eines Thermodynamikers vor, aus dem hervorgeht, dass der Todeszeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit so einzugrenzen ist, dass Genditzki als Täter nicht mehr in Frage kommt, weil er zu diesem Zeitpunkt nachweislich die Wohnung schon verlassen hatte. Schließlich konnte die Rechtsanwältin Rick noch mit einer Zeugin aufwarten, von deren Existenz das Gericht bei der Verurteilung noch nichts wusste. Die Zeugin, die Lieselotte Kortüm viele Jahre lang begleitet hatte, gab an, dass die alte Dame von jeher die feste Angewohnheit hatte, ihre Wäsche in der Badewanne einzuweichen, ehe sie sie anderen zum Waschen weitergab. Die Überzeugung der Strafkammer, dass Kortüm "niemals Wäsche in der Badewanne eingeweicht hat", war damit offensichtlich widerlegt.

"Letztlich verlangt das Gericht einen Vollbeweis für die Unschuld von Herrn Genditzki"

Die 1. Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Ehrl nahm sich sehr viel Zeit zur Prüfung des Wiederaufnahmeantrags. Fast 18 Monate vergingen zwischen der Einreichung und der nunmehr vorliegenden Entscheidung. Die mit drei Berufsrichtern besetzte Kammer erkennt zwar an, dass es sich bei den vorgetragenen Argumenten um "neue Beweismittel" handelt, aber es hält sie sämtlich für ungeeignet, das Urteil des Landgerichts München II vom Januar 2012 zu erschüttern.

Das Gutachten zum Todeszeitpunkt, heißt es in der Entscheidungsbegründung, könne nur Wahrscheinlichkeiten feststellen. Dies reiche aber nicht aus, um das Urteil in Frage zu stellen, zumal auch das damals urteilende Gericht davon ausgegangen sei, dass ein exakter Todeszeitpunkt nicht feststellbar sei. Gleiches gelte für die Computersimulation zum Sturzgeschehen. Auch hier handele es sich nur um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Tatsachen, die das Urteil erschüttern könnten. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" komme im Wiederaufnahmeverfahren aber nicht zum Tragen.

Auch die neue Zeugin, die von der Marotte von Lieselotte Kortüm berichtete, ihre Wäsche in der Badewanne vorzureinigen, reiche für eine Wiederaufnahme nicht aus, entschied die Kammer. Die Bekanntschaft der Zeugin mit dem Opfer liege viele Jahre zurück; "ein Erfahrungssatz, dass bestimmte Gewohnheiten im Zusammenhang mit der Behandlung von Wäsche im Lauf von Jahrzehnten keiner Veränderung unterliegen, existiert offenkundig nicht".

Rechtsanwältin Rick zeigte sich angesichts der langen Verfahrensdauer nicht überrascht von der Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags. "Die Anforderungen, die das Gericht an das Wiederaufnahmevorbringen stellt, werden bei Weitem überspannt", sagte sie zur SZ. "Letztlich verlangt das Gericht einen Vollbeweis für die Unschuld von Herrn Genditzki." Rick kündigte eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung an.

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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