Bayreuth:Der Fall Peggy bleibt ungelöst

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Im Fall der ermordeten Peggy wird nicht mehr ermittelt. (Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa)

Fast 20 Jahre dauernde Ermittlungen, 6400 Spuren, 450 Aktenordner, ein Urteil, eine Leiche - aber kein Mörder. Nun stellt die Bayreuther Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.

Von Clara Lipkowski

Mit nüchternen Worten ist an diesem Donnerstag offiziell ein fast 20 Jahre dauernder, historischer Ermittlungsfall geendet. "Es wird keine weitere Anklage geben, der Verfahrenskomplex Peggy ist eingestellt", sagt der Sprecher der Bayreuther Staatsanwaltschaft Martin Dippold in eine Kamera. Eine Pressekonferenz mit anwesenden Journalistinnen und Journalisten hatte coronabedingt nicht stattgefunden. Stattdessen verliest Dippold mit Kollegin Anne Höfer im Wechsel eine ausführliche Mitteilung. Es wirkt fast ein wenig surreal, mit einem unscharfen Kamerabild geht ein Fall zu Ende, dessen Umstände ebenso unscharf geblieben sind. Und trotzdem, im Fall Peggy, dem Mädchen aus Oberfranken, das im Alter von neun Jahren verschwand, wird nicht weiter ermittelt. Es gibt keine ausreichenden Beweise oder Indizien für eine Mordanklage gegen Manuel S., der zuletzt im Fokus stand, zwischenzeitlich ein Teilgeständnis abgelegt und widerrufen hatte.

Damit endet ein Verfahren, das in fast zwei Jahrzehnten etwa 450 Aktenordner umfasste, in dem Ermittler rund 6400 Spuren nachgegangen waren, einem Verfahren mit etwa 3600 Vernehmungen, eines das bundesweit Aufsehen erregt und Ermittlungsskandale offenbart hatte. Und es endet für die Angehörigen wohl zutiefst unbefriedigend. Warum Peggy starb und wie, wer Schuld hat an ihrem Tod, quälende Fragen bleiben unbeantwortet.

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Das Mädchen war an einem Tag Anfang Mai 2001 verschwunden. In einem Buch, das Ina Jung und Christoph Lemmer über den Fall veröffentlicht haben, kann man nachlesen, wie Peggy an dem Morgen vor der Schule noch eine Käsestange kaufen ging. Wie sie die Schule mittags verließ und nahe ihrem Elternhaus am Marktplatz das letzte Mal gesehen wurde. Schon bald fand der Fall überregionale Beachtung.

Nach Peggys Verschwinden folgte eine groß angelegte Suchaktion mit Hundertschaften der Polizei und sogar Tornados der Bundeswehr. Und es folgten Ermittlungen, die auch die Staatsanwaltschaft an diesem Donnerstag noch mal als "außergewöhnlich" bezeichnet, bei denen sogar "außerhalb üblicher Ermittlungsroutine" etwa Torfpartikel untersucht worden seien.

Das Mädchen blieb nach dem Mai-Tag 2001 viele Jahre unauffindbar. Erst nach 15 Jahren stieß ein Pilzsammler in einem Wald etwa 16 Kilometer von Lichtenberg entfernt auf sterbliche Überreste des Mädchens. Unmittelbar nach ihrem Verschwinden hatte Peggys Mutter den damals 24-jährigen Ulvi K. aus Lichtenberg verdächtigt. Er gab zu, dass er Peggy vier Tage vor ihrem Verschwinden sexuell missbraucht hatte. Im Verlauf der Ermittlungen gestand er, sie getötet zu haben. Ein Mordmotiv schien naheliegend: Er wollte damit angeblich verhindern, dass der Missbrauch ans Licht kommt. K., der eine geistige Behinderung hat, wurde in einem Indizienprozess wegen Mordes im Fall Peggy zu lebenslanger Freiheitsstrafe und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Rund zehn Jahre später dann die Wende: In einem Wiederaufnahmeverfahren wurde er freigesprochen. Sein Geständnis hatte er zurückgenommen.

Ein anderer Mann, Manuel S., rückte 2018 ins Blickfeld. Jener Mann, gegen den die Ermittlungen nun eingestellt wurden. S. wurde von Ulvi K. bereits früh als Mittäter genannt, seither zählte S. zum "relevanten Personenkreis". 2018 dann wurde der damals 41-jährige S. vernommen. Auch er legte ein Geständnis ab, zumindest teilweise, und wurde festgenommen. Er sagte aus, er habe Peggys Leiche von einem Mann in einem Bushäuschen übergeben bekommen und noch erfolglos versucht, sie wiederzubeleben, dann in eine rote Decke gewickelt, in den Kofferraum seines Autos gelegt und im Wald nahe Lichtenberg vergraben. Später widerrief auch er sein Geständnis. Sein Anwalt Jörg Meringer wirft den Ermittlern noch heute fragwürdige Methoden vor. "Mein Mandant wurde zehn Stunden vernommen", ohne anwaltliche Hilfe, sagt Meringer am Donnerstag am Telefon. Das falsche Geständnis sei unter erheblicher psychischer Belastung entstanden und schon damals unhaltbar gewesen. Mehr noch: Die Ermittler hätten es öffentlichkeitswirksam verkündet und sich erhofft, dass sich dadurch weitere Zeugen melden. Indizien durch Torfuntersuchungen, die S. in Verbindung mit Peggys Tod brachten, bezeichnet er "an den Haaren herbeigezogen". Ende 2018 kam S. frei.

Noch vor wenigen Wochen hatte die Staatsanwaltschaft Bayreuth einen neuen Sachstand angekündigt. Hoffnungen, dieser könne neue Ermittlungserfolge zutage fördern, sind nun passé. Was mit Peggy passiert ist, bleibt im Dunkeln, ausgegangen wird von einer Sexualstraftat und Mord. Strafvereitelung oder unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge sind verjährt. Mord verjährt zwar nicht, neue Ermittlungen in diesem "Cold Case" gelten aber als unwahrscheinlich.

Immer wieder hatten die Ermittlungen in den vergangenen Jahren Wirbel ausgelöst. 2014 öffneten Beamte auf dem Friedhof Lichtenberg ein Grab, weil sie vermuteten, dass bei einer Beerdigung 2001 Peggys Leiche dort abgelegt worden war. 2016 wurde Peggys Fall fälschlicherweise mit dem NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt in Verbindung gebracht. Man hatte am Fundort von Peggys Knochen DNA von Böhnhardt gefunden. Diese war offenbar unbeabsichtigt durch Ermittler, die auch im NSU-Fall tätig waren, dorthin gelangt. 2019 wurde gegen die Ermittler der damaligen "Soko Peggy" selbst ermittelt, weil sie ein verdeckt aufgezeichnetes Gespräch verwendet hatten. Auch die Ermittlungen dazu wurden eingestellt.

"Sehr sehr froh", sei sein Mandant S., dass das Damoklesschwert der Ermittlungen nicht mehr über ihm hänge, sagte sein Anwalt Meringer. Peggys Mutter hatte in den vergangenen Jahren stets Hoffnungen auf die Ermittlungserfolge gesetzt. An diesem Donnerstag wollte deren Anwältin keine Stellung nehmen.

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