Naturschutz:Die Moorbirke ist "Baum des Jahres" - nicht alle Experten finden das gut

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Die Moorbirke erobert neu entstandene Lebensräume und bietet nachfolgenden Baumarten Schutz. Deshalb nennt man sie einen Pionierbaum. (Foto: Erhard Nerger/Imago Images)

Die Birke war Inspiration für Dichter und Literaten, aber viele Forstleute halten sie für minderwertig. Warum sie für den Wald trotzdem wichtig ist.

Von Christian Sebald

Viele Dichter und Literaten schätzen die Birke sehr. Von Johann Wolfgang von Goethe ist der Ausspruch überliefert: "Und gewiss, wer sein Leben lang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müsste ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich erginge." Hermann Hesse schrieb um 1900 über sie die Zeilen: "Eines Dichters Traumgerank / Mag sich feiner nicht verzweigen, / Leichter nicht dem Winde neigen, / Edler nicht ins Blaue steigen." Und Wilhelm Busch leitet sein Gedicht "Die Birke" mit den Reimen ein: "Es wächst wohl auf der Heide / Und in des Waldes Raum / Ein Baum zu Nutz und Freude, / Genannt der Birkenbaum." In den folgenden Strophen lobpreist er - als ganz der bodenständige Humorist, der er ist - die Schuhe und die Tabakdosen, die man aus ihrem weichen, weißen Holz anfertigen kann, aber auch die Besen und die Ruten aus ihren Reisern und den Ästen.

Förster und Waldbesitzer hingegen bringen der Birke deutlich weniger Wertschätzung entgegen. Für viele von ihnen sind Birken minderwertige Bäume, die es eher zu verdrängen gilt als zu fördern. "Das kann man schon daran sehen, dass für gewöhnlich immer nur von der oder den Birken die Rede ist", sagt der Forstwissenschaftler Stefan Müller-Kroehling. "Selbst Experten unterscheiden oft gar nicht zwischen den verschiedenen Birkenarten, die hier bei uns in Mitteleuropa vorkommen." Müller-Kroehling arbeitet an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Freising. Als Spezialist für Moore und Moorwälder ist er der Experte schlechthin für die beiden in Bayern heimischen Birkenarten: die Sandbirke oder Betula pendula und die Moorbirke (Betula pubescens).

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Nun macht zumindest Betula pubescens Karriere. Die Silvius- Wodarz-Stiftung hat sie zum Baum des Jahres 2023 gekürt. Viele Forstleute sind von der Entscheidung - gelinde gesagt - überrascht. "Betula pubescens ist eine eher an die Kälte adaptierte, nordische Baumart, sie kann Fröste bis zu minus 40 Grad ertragen", sagt zum Beispiel der frühere Chef der LWF, Olaf Schmidt. "Daher wird sie uns im Klimawandel beim Waldumbau nicht helfen können." Schmidt hätte sich stattdessen die Auszeichnung "einer klimatoleranten und stadtfesten Baumart gewünscht, die Dürre, Trockenheit, Staub, Abgase verträgt und gleichzeitig Schatten spendet und Feuchtigkeit verdunstet und damit die Lebensqualität in den Ballungsräumen verbessert", wie er sagt. Als Beispiel nennt er die Ahornblättrige Platane.

Flaumiges Laub, das aromatisch duftet

Aus Sicht ihrer Fans indes ist das Prädikat eine seit Langem überfällige Aufwertung von Betula pubescens - nicht nur aus forstlicher, sondern vor allem auch aus ökologischer Sicht. Moorbirken werden bis zu 150 Jahre alt und im Flachland bis zu 30 Meter hoch. Sie wachsen auch in den Bergen, in der Nähe der Baumgrenze aber nur mehr als niedriger Strauch. Anders als bei der Sandbirke ist die glatte Borke von Betula pubescens anfangs dunkel rötlich-braun gefärbt. Sie wird erst mit zunehmendem Alter heller und schließlich gräulich-weiß.

Ihre jungen, rot-braunen Triebe sind mit Härchen besetzt, die sie jedoch später zumindest zum Teil wieder verliert. Auch das junge Laub ist flaumig behaart, insbesondere an den Blattadern, es duftet aromatisch. Betula pubescens verträgt zeitweise Überflutungen und kommt überall vor, wo es feucht und nass ist. Bevorzugt also - wie der Name besagt - in Mooren, aber auch auf mageren, feuchten Wiesen. Allerdings nur sehr selten in größeren Beständen oder gar als Wälder. Aber auch in Bayern wachsen Moorbirken-Wälder - im Haspelmoor im Voralpenland etwa, im Sulzschneider Moor im Allgäu und an einigen Stellen im Bayerischen Wald. Viel häufiger freilich ist Betula pubescens als Mischbaumart anzutreffen.

Moor-Experte und Birken-Fan Stefan Müller-Kroehling. (Foto: privat)

Außerdem ist die Moorbirke ein typischer Pionierbaum. Das heißt, sie ist darauf spezialisiert, neu entstandene Lebensräume zu erobern. Das macht sie in Zeiten der Klimakrise interessant für die Förster. Denn sie eignet sich sehr gut als sogenannter Vorwald. Das ist der neue Wald, der nach Sturmwürfen oder Borkenkäfer-Schäden auf den jeweiligen Kahlflächen nachwächst. Da solche Katastrophen im Zuge der Klimakrise immer öfter auftreten werden, könnte die Moorbirke für die Wälder der Zukunft an Bedeutung gewinnen. Aber nicht nur deshalb.

Wenn die jungen Moorbirken einige Jahre alt sind, bieten sie den nachfolgenden Baumarten Schutz gegen Winde und Frost, zudem verhindern sie die Vergrasung des Waldbodens. Und sie breiten sich schnell aus. Denn sie produzieren immense Mengen Samen, die zudem sehr leicht sind und deshalb rasch vom Wind verbreitet werden. Als Überlebensspezialisten leiteten sie nach der letzten Eiszeit die Wiederbewaldung Europas ein.

Ökologisch extrem wertvoll

Gegenden mit vielen Moorbirken sind ökologisch äußerst wertvoll. "Das kann man schon daran sehen, dass einige extrem seltene und streng geschützte Tierarten ihren Namen tragen, zum Beispiel die Birkenmaus oder das Birkhuhn", sagt der Forstwissenschaftler Müller-Kroehling. Das aber ist es nicht alleine. An der Moorbirke leben einige ganz besonders spezialisierte Tierarten, die nur an ihr vorkommen, wie der Prachtkäfer Dicerca furcata. Insgesamt hat man 164 verschiedene Insektenarten an ihr gezählt. Unter heimischen Baumarten rangiert sie damit auf Rang drei. Nur an der Eiche (298 Insektenarten) und den Weiden (218) kommen mehr vor. Dagegen fallen die sehr viel weiter verbreiteten Kiefern, Fichten und Buchen mit 162, 150 und 96 Insektenarten weit ab.

Und wie ist das nun mit der kälteresistenten Moorbirke und den steigenden Temperaturen in der Klimakrise? Müller-Kroehling ist da nicht so pessimistisch. "Zum einen sind Birken von Natur aus nicht so lange langlebig wie andere Baumarten", sagt er. "Auch wenn die Szenarien düster sind, kann man nicht wirklich wissen, welche klimatischen Verhältnisse in 100 oder 120 Jahren hier bei uns in Mitteleuropa herrschen und wie sich die Birken daran anpassen."

Zum anderen sind die für die Moorbirke typischen Feuchtlandschaften schon immer kühler als andere Lebensräume und werden das auch in Zukunft sein. Und dann ist da noch die Renaturierung der Moore als ein wichtiger CO₂-Speicher, die sich jetzt sogar Ministerpräsident Markus Söder und die CSU auf die Fahnen geschrieben haben. "Dabei werden die Moorwälder eine gewichtige Rolle spielen", sagt Müller-Kroehling, "und zwar speziell die Moorbirken-Moorwälder."

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