Bayern und Österreich:Ein Volk geht auf dem Zahnfleisch

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Wie der Streik der österreichischen Kieferorthopäden mit Zahnspangen aus Bayern gebrochen werden soll.

Kolumne von Anton Rainer

Es gibt so einiges, das der eine am Aussehen des österreichischen Bundeskanzlers bewundert und der andere bespöttelt. Sein akkurat geschmalzter Haarschopf, die jederzeit lauschbereiten Ohrwascheln - oder seine roten Bäckchen, die bei Orbán-Besuchen und anderen freudigen Anlässen verschämt glänzen.

Doch um eine körperliche Eigenschaft beneiden Sebastian Kurz selbst seine größten Kritiker: ein strahlend weißes Lächeln, das sich auf Kinderschokolade-Packungen fast noch besser machen würde als auf Wahlplakaten. Kurz grinst, Österreich grinst zurück und man versteht plötzlich, warum in diesem Land die Forderung nach einer "Gratis-Zahnspange" sämtliche Wahlkämpfe der letzten Jahre bestimmt hat. Wer ständig Zähne zeigt, braucht gute Beißer.

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Umso unverständlicher ist es, dass ausgerechnet die Kieferorthopäden das Land des Lächelns nun in eine veritable Staatskrise stürzen wollen. In Salzburg, wo derzeit rund 1 500 Kinder mit Metallkonstruktionen behandelt werden, streiken seit neuestem die Zahnärzte, wollen mehr Geld für ihre Spangen und mehr Anerkennung durch die Krankenkassen.

Teenagern das Knutschen zu vermiesen ist nun mal ein harter Job, der soll auch honoriert werden. Die Kassen aber denken nicht daran, mehr zu bezahlen, lieber bauen sie auf bayerische Stahlexporte. Man habe sich schon bei Zahnärzten in Freilassing erkundigt, teilte die Salzburger Gebietskrankenkasse (GKK) am Dienstag mit, "die wären hocherfreut, für die Salzburger Kollegen einzuspringen".

Soweit also ist es mit Österreich schon gekommen: Ein Volk geht auf dem Zahnfleisch, ruft den deutschen Nachbarn um Hilfe an und schickt arme Kieferflüchtlinge über die Grenze, damit sie endlich wieder lächeln können. Was Markus Söder im Wahlkampf als weiteren Beweis für die Qualität des bayerischen Gesundheitssystems feiern dürfte, ist für Sebastian Kurz in Wirklichkeit ein Debakel.

Der Mann mit dem strahlenden Lächeln hat den ganzen Balkan mit Maschendraht überzogen, Metall auf Metall geschraubt, Eisengitter an den Brenner geschafft. Aber jetzt, wo es um den eisernen Vorhang im Mund der eigenen, einheimischen Kinder geht, braucht es plötzlich die Bayern. Das kann selbst Sebastian Kurz nicht weglächeln.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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