Minister Spaenle und G8:Bayerns längster Schulversuch

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Klagen über Unterrichtsausfall, schlechte Abi-Noten und eine nicht enden wollende Strukturdebatte: Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren muss Bayerns Kultursminister Spaenle beim Gymnasium laufend nachbessern. Ein Protokoll.

Tina Baier

Seit das achtstufige Gymnasium (G 8) vor acht Jahren vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und seiner Kultusministerin Monika Hohlmeier eingeführt wurde, kämpft die CSU mit den Folgen dieser überstürzten Aktion. Auch Kultusminister Ludwig Spaenle müht sich seit Beginn seiner Amtszeit mit dem G 8 ab, bekommt die Probleme aber nur schwer in den Griff.

Ein Mann im Stress: Minister Ludwig Spaenle soll Bayerns achtstufige Gymnasien modernisieren und ohne Qualitätsverlust den Lehrplan vereinfachen. (Foto: Robert Haas)

30. 10. 2008: Ludwig Spaenle tritt sein Amt als bayerischer Kultusminister an.

14 Tage später besucht er das Wilhelmsgymnasium in München, wo er selbst zur Schule gegangen ist, und verkündet: "Ich werde das G 8 mit aller Intensität zu einem guten Ende bringen." Beim Lehrplan werde nur noch marginal nachgebessert.

Dezember 2008: Ein Gutachten des Instituts für Qualitätsentwicklung in Berlin (IQB) fällt ein vernichtendes Urteil über den gerade erst erneuerten G-8-Lehrplan: überfrachtet und zu fachwissenschaftlich. Der Tipp des Instituts: "Ansprüche reduzieren". Spaenle muss nachbessern.

März 2009: Spaenle räumt vor Eltern schwere politische Fehler seiner Partei bei der Einführung des achtjährigen Gymnasiums ein. Es habe auch an der Bildungspolitik gelegen, dass die CSU bei der Landtagswahl 2008 "so eine Watschn gekriegt" habe, sagt er.

September 2009: Der erste G-8-Jahrgang kommt in die elfte Klasse. Eltern sprechen von Burnout bei den Schülern der neuen Oberstufe: Ihre Kinder seien bereits wenige Wochen nach Schulbeginn "erschöpft, müde und ausgebrannt".

Januar/Februar 2010: Das Kultusministerium muss wieder nachsteuern: Viele Elftklässler absolvieren bis zu 38 Unterrichtsstunden pro Woche. Spaenle erlaubt ihnen, bis zum Halbjahreszeugnis Mitte Februar Wahlfächer abzulegen. "Die berechtigte Sorge, dass einer der beiden Jahrgänge benachteiligt sein könnte, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten", sagt er.

Juli 2010: Nirgendwo sind die Gymnasiasten in der Gesamtheit ihrer Ergebnisse so gut wie in Bayern - und zwar am neuen achtjährigen Gymnasium", sagt Spaenle in seiner Regierungserklärung.

September 2010: Die Vorbereitungen für den doppelten Abiturjahrgang laufen auf Hochtouren. Eine Anweisung des Kultusministeriums an die Schulen jagt die nächste. "Man muss jeden Tag nachschauen, was sich wieder geändert hat", sagt Max Schmidt, Vorsitzender des bayerischen Philologenverbands. Mitunter hebt eine Anordnung die vorhergehende wieder auf.

18. März 2011: Die schriftlichen Prüfungen des letzten G-9-Jahrgangs beginnen. Alles läuft einigermaßen glatt.

13. Mai 2011: Die schriftlichen Prüfungen des ersten G-8-Jahrgangs beginnen. Niemand weiß so recht, was auf die Schüler zukommt. Aber jeder weiß: Das erste G-8-Abitur muss aus politischen Gründen ein Erfolg werden. Deshalb erwarten alle, dass das Abitur nicht allzu schwer wird.

1. Juni 2011: Die meisten Abituraufgaben sind korrigiert. An vielen Schulen sind die Lehrer erschrocken über die hohe Zahl von Abiturienten , die die schriftlichen Prüfungen nicht bestanden haben. Da geht erneut ein Schreiben aus dem Kultusministerium ein: Spaenle senkt im allerletzten Moment die Hürden. Viele Schüler, denen bereits mitgeteilt worden war, dass sie durch die schriftliche Prüfung gefallen sind, erfahren, dass sie doch bestanden haben. Trotz des "Spaenle-Rabatts" fallen knapp drei Prozent durchs Abitur. Im G 9 waren es immer nur etwa ein Prozent.

9. Juni 2011: Achtjähriges Gymnasium erfolgreich ins Ziel geführt", meldet Kultusminister Ludwig Spaenle.

Nur einen Tag zuvor hat es erneut Ärger gegeben: Zur allgemeinen Überraschung gibt es nämlich nicht nur mehr Durchfaller als im G 9, sondern auch mehr Schüler mit sehr guten Abinoten. Doppelt so viele wie sonst bewerben sich für ein Hochbegabten-Stipendium. Das Kultusministerium erhöht übers Wochenende die erforderliche Punktzahl für eine Bewerbung. Schüler, die für die Hochbegabten-Prüfung eingeladen worden waren, werden mitten in den Vorbereitungen wieder ausgeladen. Als Spaenle, der zu diesem Zeitpunkt in Polen ist, davon erfährt, bekommt er angeblich einen Wutanfall. Alle ausgeladenen Bewerber werden daraufhin wieder eingeladen.

Juli 2011: Es tritt ein, was Spaenle anderthalb Jahre zuvor "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen hat: Die Schüler des letzte G-9-Jahrgangs haben mit einer Durchschnittsnote von 2,42 um einiges schlechter abgeschnitten als die des G 8 ( 2,27). Sie fühlen sich benachteiligt. Schließlich müssen sie mit den Absolventen des G 8 um Studienplätze konkurrieren, und dabei kann eine Stelle hinter dem Komma entscheidend sein.

September 2011: Der zweite G-8-Jahrgang kommt in die Abiturklasse und kann erstmal einigermaßen ruhig arbeiten.

Februar 2012: Bei den Lehrern sorgt ein harsches Schreiben des Kultusministeriums zur Reduzierung des Unterrichtsausfalls für Wirbel. Unter anderem sollen Lehrer vormittags zur Präsenz an der Schule verpflichtet werden. Die Empörung ist groß.

März 2012: SPD-Spitzenkandidat Christian Ude fordert in Bayern eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Hektisch verkündet Spaenle daraufhin ein zusätzliches Intensivierungsjahr fürs Gymnasium sowie eine erneute Überarbeitung des Lehrplans.

19. Juni 2012: Spaenle hält eine Regierungserklärung, in der er von "individueller Lernzeit" spricht, die "gymnasialspezifisch" weiterentwickelt werde soll. Er kündigt einen "intensiven Monitoringprozess" an.

Juni, Juli 2012 Das CDU-regierte Hessen lässt wieder G-9-Züge zu. Fast gleichzeitig wird in Bayern bekannt, dass 3,7 Prozent der Schüler des zweiten G-8-Jahrgangs durchs Abitur gefallen sind. Ministerpräsident Horst Seehofer platzt der Kragen: Keinesfalls will er sich bei den Landtagswahlen eine Watschn wegen des G 8 einfangen. Er erklärt das Thema zur Chefsache und berät sich ohne Spaenle mit den Philologen, die ebenfalls für das G 9 plädieren.

An diesem Freitag geht es bei einem Treffen in der Staatskanzlei, zu dem neben Spaenle auch Lehrer-, Schüler- und Elternvertreter eingeladen sind, um die Zukunft des Gymnasiums.

© SZ vom 13.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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