Millionen für Franken:Seehofer erklärt Quelle zur Chefsache

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Investitionsprogramm für Nürnberg und Fürth: Die Koordination wird die Staatskanzlei übernehmen - eine Entscheidung, die das Klima in der Koalition belasten könnte.

O. Przybilla

Stephan Doll wirkte danach wie ein zufriedener Mann. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Mittelfranken ist einer, der um eine klare Rede bemüht ist. In den südlichen Stadtteilen Nürnbergs, so ließ sich der DGB-Mann einmal zitieren, seien regelrechte "Elendsschluchten" zu beklagen.

Horst Seehofer: Millionenprogramm für Nürnberg und Fürth. (Foto: Foto: dpa)

Unter Ministerpräsident Edmund Stoiber kam Doll damit nicht gut an. Sein Bild passte so gar nicht in Stoibers Definition vom Freistaat, der in der Champions League zu spielen hatte. Unter Seehofer habe "sich da etwas grundsätzlich gewandelt", berichtet Doll.

Kürzlich ist der Gewerkschaftssekretär sogar in einen CSU-Wahlkampfbus gestiegen, um dem bayerischen Ministerpräsidenten erklären zu können, was es für Städte wie Nürnberg und Fürth bedeutet, wenn dort abermals mindestens 1500 Menschen bei Quelle ihre Arbeit verlieren - Beschäftigte, die zu jenen gehören, die sehr schlechte Aussichten haben, nach ihrer Entlassung noch einen guten Job zu finden.

Horst Seehofer war am Freitag in Nürnberg. Doll hatte ihm zuvor berichtet von Straßenzügen in der Südstadt, in denen schon jetzt "fast jeder Zweite arbeitslos" ist; auch von der Arbeitslosenquote in Nürnberg und Fürth, die mit jeweils mehr als acht Prozent fast doppelt so hoch ist wie die im Freistaat; und von den Zugewinnen der Rechtsextremen, die in einem südlichen Nürnberger Stadtteil zuletzt 12,2 Prozent bei der Kommunalwahl erringen konnten. Der Ministerpräsident, berichtet Doll, habe mit großen Augen zugehört.

Gestern nun hat Seehofer ein Strukturprogramm für die beiden gebeutelten Städte angekündigt. Investitionen in "dreistelliger Millionenhöhe" sollen in die Region fließen. Unter anderem will die Staatsregierung einen "Energiecampus", ein Forschungs- und Anwendungszentrum für Energieeffizienz, auf den Weg bringen - eine Einrichtung, deren Kosten Nürnbergs Dritter Bürgermeister Klemens Gsell (CSU) auf "nahezu 100 Millionen Euro" beziffert.

Fürth soll Zuschüsse für die erste private Universität in Bayern erhalten - eine Hochschule der Diakonie Neuendettelsau für 250 Studenten, die in Fächern wie Gesundheitswissenschaft ausgebildet werden sollen.

Seehofers Auftritt in Franken birgt einigen Zündstoff, was das Klima in der Staatsregierung betrifft: Die Koordination der Projekte übernehme ab sofort die Staatskanzlei, erklärte Seehofer. Mittelfranken benötige eine "konzertierte Aktion", in der das von der FDP geführte bayerische Wirtschaftsministerium künftig lediglich "mithelfen" werde.

Umweltminister Markus Söder (CSU) erklärte, das zuständige Ressort sei mit der Koordination "offenkundig überfordert". Deswegen sei er dankbar, dass Seehofer "das nun zur Chefsache" erkläre.

Weder Wirtschaftsminister Martin Zeil noch die aus Nürnberg stammende Wirtschaftsstaatssekretärin Katja Hessel hatten am Freitag an der Runde mit mittelfränkischen Kommunalpolitikern sowie Vertretern von Gewerkschaft und Handelskammer teilgenommen. Zeil hatte tags zuvor betont, die Staatsregierung sei "dem ganzen Land verpflichtet". Eine Sonderbehandlung etwa für Quelle dürfe es nicht geben.

Der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) zeigte sich jedenfalls zufrieden mit der angekündigten Initiative Seehofers. Zwar räumte Jung ein, dass die meisten der jetzt angeschobenen Projekte "der entlassenen Quelle-Verkäuferin kaum nützen" werden - in Fürth will die Staatsregierung neben einer privaten Hochschule auch ein Nanozentrum der Universität und die Erweiterung eines Fraunhofer-Instituts fördern.

Jung hält den eingeschlagenen Weg gleichwohl für richtig: Nachdem die Arbeitslosenquote in Fürth nach dem Niedergang von Grundig im Jahr 1994 auf bedrohliche 14,8 Prozent angestiegen war, habe der Stadt einzig der danach vollzogene Strukturwandel wieder auf die Beine geholfen. Nach der Ansiedlung von mehreren Forschungseinrichtungen darf Fürth seit zwei Jahren sogar mit dem Titel "Wissenschaftsstadt" für sich werben.

Während die Region auf zusätzliche Hilfe für den Strukturwandel hoffen kann, müssen die Beschäftigten bei Quelle weiterhin bangen. Wie eine Transfergesellschaft für entlassene Mitarbeiter des insolventen Versandhändlers finanziert werden könnte, blieb auch nach dem Besuch Seehofers beim Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg offen.

Die Finanzierung einer solchen Gesellschaft allein aus der Insolvenzmasse von Quelle gilt als nicht machbar. Seehofer kündigte weitere Gespräche an, man sei aber "auf einem guten Weg". DGB-Mann Doll betonte, die Gewerkschaft werde bis zur Wahl sehr genau beobachten, welche von den Ankündigungen Seehofers "auch tatsächlich auf den Weg" gebracht werde.

© SZ vom 22.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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