Landtagswahl:Die Zwischenrufe hallen nach

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Etwas älter ist er geworden, aber nicht viel ruhiger. Sepp Dürr bei einer Rede im Landtag 2012. Nun will er mit den Enkeln Bulldog fahren. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Nach 20 Jahren hat es Sepp Dürr nicht mehr ins Parlament geschafft. Er wird den Grünen als "skeptischer Kopf" fehlen und im Plenum als streitbarer Redner

Von Lisa Schnell, München

Wie viel Kisten braucht es, um 20 Jahre zu verstauen? Nicht so viele, sagt Sepp Dürr. Die Notizen zu seinem Öko-Stammtisch nimmt er mit, auch ein Buch, für dessen Veröffentlichung er gekämpft hat, Hitlers "Mein Kampf" in der kritischen Ausgabe und seinen alten Bürostuhl. Gleich wird Dürr ihn durch die Gänge des Landtags rollen, in seinem Büro gibt es dann keinen Platz mehr für ihn.

20 Jahre saß Dürr für die Grünen im Landtag. Seine Kisten hat er schon oft gepackt. Er hat sie in den fünften Stock geschleppt als er vor 18 Jahren zusammen mit Christine Stahl Fraktionschef der Grünen wurde, er hat sie wieder runtergeschleppt, als er den Posten nach acht Jahren abgab. Ausgerechnet jetzt, wo die Grünen so erfolgreich sind wie nie, packt er sie zum letzten Mal.

Mit ihm geht einer, der es verstand sich selbst und die Grünen ins Rampenlicht zu stellen und der es der CSU schwer machte, den Grünen das Etikett von Latte Macchiato trinkenden Großstädtern anzuheften. Dürr ist Biobauer in Germering und Meister im Gschertdaherreden. Wenn ihm etwas stinkt, muss es raus, ob im Plenum, wo er wegen seiner Zwischenrufe auch "Sudel-Sepp" genannt wurde, oder in der eigenen Fraktion. Und so hört man von Dürr zum Abschied auch keine getragenen Worte, sondern einen kurzen Spruch: "Opposition kann ich ja schon."

Wirklich geschmerzt hätte ihn nur eins: Wenn die Grünen auf der Regierungsbank sitzen, und er wäre nicht dabei. 20 Jahre lang habe er auf diese Chance hingearbeitet, da konnte er auf den letzten Metern nicht nur zusehen. Also kandidierte er mit 64 Jahren noch einmal. Sein letzter Wahlkampf war sein härtester. Er trat wieder nur auf der Liste an und hätte es alleine über die Zweitstimmen schaffen müssen und das von ganz hinten. Auf Platz 42 der Oberbayernliste platzierten ihn die Delegierten. Das Umschmeicheln von Parteifreunden ist nicht Dürrs Sache, Wahlkämpfen schon eher. Am Anfang dachte er noch, es könnte was werden. Als klar wurde, wie erfolgreich die Grünen sein könnten, ahnte er, dass die meisten Direktkandidaten ungewöhnlich viele Erststimmen bekommen würden und machte einen Haken dran. Gescheitert am eigenen Erfolg, so sieht er das. Er landete auf Platz 28, ziemlich weit hinten, bei den Zweitstimmen aber hat er das fünftbeste Ergebnis. "Das macht mich stolz und dankbar", sagt Dürr. Er sei sogar erleichtert. Seit er eine schwere Krebserkrankung überwunden hat, mache er nur noch, was ihm gefällt. Für die nächsten fünf Jahre erwartet er für die Grünen als Oppositionsführer aber so viel Gegenwind wie noch nie: "Ich hätte mich aufgerieben."

Wenn er jetzt auf seine Grünen blickt, erkennt er sie manchmal kaum wieder. "Früher hat man völlig verkannt, dass mediale Wahrnehmung auch Inszenierung verlangt", sagt er. Jetzt stürzt sich Spitzenkandidat Ludwig Hartmann am Wahlabend als Stagediver in die Menge. Oder der Heimatbegriff: Dürr erntete Kritik, als er ihn für die Grünen entdeckte. Heute darf er in keinem Wahlkampfvideo fehlen. Dürr habe immer den Finger in die Wunde gelegt, sagt der Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig. Die Fraktion werde ihn als "skeptischen Kopf" vermissen. "Meiner Kritik setzt sich nur jemand aus, der muss, das war das Schöne", sagt Dürr. Auch im Plenum konnte sich ihm niemand entziehen. Er erinnert sich noch an seinen ersten Zwischenruf. 1998 war das, die CSU war gegen Volksentscheide auf Bundesebene. Dürr wollte anmerken, dass die in der bayerischen Verfassung stehen, aus seinem Mund aber kam: "Verfassungsfeinde!" Für die einen waren seine Einwürfe eine erholsame Abwechslung in endlosen Sitzungen, für die anderen eines Parlamentariers unwürdig. Für Dürr sind sie "sein Recht" und eine "Gaudi für den Moment". Als der machtaffine Markus Söder meinte, die Menschen wollten nicht über Machtfragen reden, schallte von Dürrs Platz lautes Gelächter. "Über Bürger zu lachen ist kein guter Stil", sagte Söder. Dürr: "Über Sie lache ich, über Sie!" Zuletzt beschwerte sich Söder wieder über den Störenfried, der ihm gleich drohte: "Wir sehen uns wieder!"

Dass es nun nicht so kommt, scheint Dürr nicht sehr zu grämen. Er will jetzt Kartoffeln anbauen und mit den Enkeln Bulldog fahren. In die Politik werde er sich nur einmischen, wenn ihn jemand fragt. Keine Zwischenrufe mehr von Sepp Dürr? Es ist kaum vorstellbar.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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