Museum in Kloster Banz:Eine Ausstellung zum Gruseln

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Noch immer stellt die Hanns-Seidel-Stiftung in Kloster Banz menschliche Überreste aus. Der neue Generalsekretär Oliver Jörg deutet ein Einlenken an - andere waren davon noch weit entfernt.

Von Lutz Mükke

Versöhnlich klingt der neue Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), Oliver Jörg. Die aufgekommene Kritik am Museum in Kloster Banz nehme man ernst und plane dazu nun eine Expertentagung. Diese solle dann als Entscheidungsgrundlage für eine eventuelle Neukonzeption des Museums und den weiteren Umgang mit den derzeit dort ausgestellten menschlichen Überresten dienen. Zwei abgetrennte und auf Drahtgestelle gesteckte Mumienköpfe stehen dort in den Vitrinen, der Schädel eines im 19. Jahrhundert "erschlagenen Derwischs" sowie eine gefledderte Mumie.

Seine Chefin, die Vorstandsvorsitzende Ursula Männle, hatte vor ein paar Monaten noch ganz anders geklungen: Vehement verteidigte die ehemalige CSU-Politikerin und Professorin der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München die orientalische Sammlung in Banz und sah keinerlei Probleme mit der Zurschaustellung der Menschenteile. Männle zitierte die "Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten" des Deutschen Museumsverbunds von 2013 und argumentierte, dass "die Öffentlichkeit die Ausstellung von Mumien" weitgehend akzeptiere und diese "nicht mehr Gegenstand der Pietät" seien. Zudem verwies sie auf die juristische Lage: Die "postmortalen Persönlichkeitsrechte" der Toten seien erloschen. Außerdem habe man Schilder angebracht, die darauf hinwiesen, dass "menschliche Überreste" ausgestellt seien.

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Die Leiterin der Banzer Orientausstellung, Brigitte Eichner-Grünbeck, verwies darauf, dass der besondere Wert der Ausstellung darin bestehe, Besuchern ein "typisches Kuriositäten-Kabinett" aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zu präsentieren. Dafür sei "die Vollständigkeit" sehr wichtig. Die Sammlung wurde 1838 von Herzog Maximilian, Kaiserin Sisis Vater, auf einer achtmonatigen Orientreise durch Ägypten, Nubien und das "Heilige Land" zusammengetragen und nach Bayern gebracht.

Es ist dieses wilde Sammelsurium an Souvenirs, das man heute hoch oben über dem Main in den Banzer Gewölben sieht: ausgestopfte Krokodile und Vögel, Speere, Sättel, exotische Reiseskizzen, Steine, Schilde, Messer, Eier. Wenn man die ausgepackte Mumie und die drei abgetrennten Köpfe aus dieser Sammlung herausnehme, so Eichner-Grünbeck, wäre die Ausstellung nicht mehr komplett: "Wir würden unseren Status verlieren. Das würde es für mich nicht mehr bringen." Ihre Chefin, Ursula Männle, hielt die Präsentation gar für "pietätvoll". Um "Abstand und Würde zu wahren", habe man extra ein leichtes Tuch über die Mumie gelegt. Seit kurzem liegen solche Tücher auch auf den abgetrennten Köpfen.

Die in den zurückliegenden Jahrzehnten geführten wissenschaftlichen, museumspädagogischen und ethischen Diskurse über die Ausstellung von menschlichen Überresten gingen an der Hanns-Seidl-Stiftung offenbar vorbei. Allerorten haben Museen längst mit der Restitution menschlicher Überreste nach Namibia, Australien, Neuseeland oder in die USA begonnen. Zehntausende menschliche Knochen, Präparate und Körperteile, die unter anderem zu "rassenanthropologischen" Untersuchungen insbesondere im 19. Jahrhundert nach Europa kamen, lagern zwar noch immer in Museumsarchiven in München, Hamburg, Leipzig oder Berlin. Aber niemand stellt heute mehr "ausgestopfte Neger", tätowierte Maori-Köpfe oder Lampenschirme aus menschlicher Haut aus.

Auch ausgepackte Mumien werden von ägyptischen Museen in aller Regel nicht mehr zur Schau gestellt. Wie bewusst mittlerweile mit dem schwierigen, von Rassenwahn durchdrängten Erbe der vergangenen Jahrhunderte umgegangen wird, mag das Beispiel der ersten großen Ausstellung zum "Deutschen Kolonialismus" belegen, die 2016/17 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen war. Zwar stellte man da Abdrücke von Gesichtern aus, die im 19. Jahrhundert für "Rassen-Untersuchungen" von "Eingeborenen" genommen wurden. Aus Respektgründen zeigten die Ausstellungsmacher aber nicht einmal die Gipsabdrücke der Gesichter, sondern nur die zusammengeschnürten Gipsformen. Dazu erläuterten Ausstellungstafeln, Audioguides und fachlich versierte Führer mehrsprachig die Hintergründe und das Ausstellungskonzept.

Eine Einordnung der schaurigen Exponate in den aktuellen Diskurs findet kaum statt

In der "Orientalischen Sammlung" in Banz verhält es sich genau andersherum: Hier zeigt man die Menschenköpfe, die zwischen Straußeneiern, Dolchen, vertrockneten Palmenfrüchten und ausgestopften Vögeln arrangiert sind, fast kommentarlos. Die ausgepackte Mumie bildet im schummrigen Licht sogar das Zentrum der Schau. Eine aufklärerische Kontextualisierung darüber, weshalb die Köpfe und die Mumie so präsentiert werden - oder eine Einordnung in die aktuellen Diskurse - findet so gut wie nicht statt. Eine kleine Tafel am Eingang der Sammlung erläutert lediglich, dass die hiesige Ausstellung menschlicher Überreste von den Staatlichen Museen Ägyptischer Kunst 2009 "ausschließlich nach ethischen und wissenschaftlichen Kriterien" gestaltet wurde. Ansonsten bleiben dem Besucher Minimalinformationen: "Schädel einer Kindermumie; Ägypten; Spätzeit (?); 7./6. Jh. v. Chr.", steht etwa auf einem laminierten DIN A4-Blatt, dass man sich am Eingang mitnehmen kann.

Etliche befragte Besucher empfinden die Zurschaustellung der menschlichen Überreste als "zwiespältig", "extrem respektlos" und die Beschriftung als "unterirdisch." Aber das Museum scheint mit dem Grusel durchaus zu kokettieren: Eine Führerin spricht vor dem ausgewickelten Mumien-Leichnam von "suppendem Gehirn" und erzählt, dass Herzog Max Freunde und Bekannte "zum Mumienauswickeln" eingeladen habe. Man hoffte demnach, wertvolle Schmuckstücke zu finden. Sogar die "Originaleinladungen zu diesen Events" seien noch erhalten.

Museumsexperten wie Karl Heinrich von Stülpnagel halten "Vollständigkeit" für ein "sehr schwaches Argument". Als Leitender Restaurator des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig, zuständig für 7000 Objekte, ist Stülpnagel permanent mit der Frage befasst, wie der würdige Umgang mit menschlichen Überresten aussehen könnte. Ausgepackte Mumien zeigt man hier nur in begründeten Sonderfällen und durch Fachpersonal erläutert.

Für Stülpnagel ist das die "museologische Ultima Ratio". Kurios am Banzer Kabinett findet er, dass die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung gerade an einem Ort wie einem ehemaligen Benediktiner-Kloster ein Museum mit so fragwürdigem Konzept betreibe. "Haben wir das Recht, uns über religiöse, ethische und moralische Vorstellungen Verstorbener hinwegzusetzen?", fragt er. Die Antwort auf diese Frage gibt er dann gleich selbst: "Nein." Und das gelte auch für die alten Ägypter. Denn die wollten in ihrem Land bestattet sein und wieder auferstehen. Dafür betrieben sie einen immensen Aufwand. "Wir jedoch haben sie wieder ausgegraben, außer Landes geschleppt und durch Auswickeln, Zerstückeln und Untersuchungen aller Art mannigfach geschändet", sagt Stülpnagel. Nach dem Glauben der alten Ägypter könnten die Seelen ihren Körper nicht mehr wiederfinden, wenn dieser nicht an seiner Stelle ist; die Seelen müssen folglich im Universum vergehen.

Die Chance für Museen, so betont Stülpnagel, könne darin bestehen, anhand ihrer Sammlungen solche Hintergründe zu erhellen und so auch den Respekt vor anderen Kulturen zu fördern. Über die Kontroversen im Umgang mit menschlichen Überresten erfährt man indessen in Banz so gut wie gar nichts. Für Spekulationen lässt die Ausstellung hingegen reichlich Raum. Im "Schrank IV" der Banzer Ausstellungsvitrinen liegt heute beispielsweise ein Kopf, an dem noch braune Hautfetzen hängen. Auf einem Zettel neben ihm steht in alter deutscher Schrift und damit für die allermeisten Besucher wahrscheinlich unleserlich: "Schädel eines Derwischs, welcher in der Wüste ermordet wurde. Der Mörder, welcher mehrere Tage mit der Karawane Sr: K: Hoheit geführt wurde, wurde dort gleich gefangen."

Hat Herzog Max den Kopf des toten Derwischs also einfach abtrennen lassen und eingepackt? Die "Orientalische Sammlung" erhellt das alles nicht. Das Obermain-Tagblatt hingegen berichtet "Von Mumien, Ungeheuern und Totenschädeln" und bringt auch die Reisetagebücher des Bayernherzogs ins Spiel. In denen soll stehen, wie Herzog Max auf seiner Reise 1838 eigenhändig einen Derwisch erschlagen habe. Sind das Räuberpistolen? Das Museumspersonal in Banz deutet die fraglichen Tagebucheintragungen des Herzogs als "geflunkert".

Der neue Generalsekretär der Stiftung forciert eine Neuorientierung

Für 30 Euro kann man an der Museumskasse den 372 Seiten starken Ausstellungskatalog "Eine Zitherpartie auf dem Nil" der Autoren Isabel Grimm-Stadelmann und Alfred Grimm kaufen. In dem wird die "weltweit einzigartige Ausstellung" ausführlich als "Kunst- und Wunderkammer" gewürdigt. Sie erinnere "an die große Tradition bayerischer Sammlungsgeschichte und fürstlicher Sammlungstätigkeit in der Tradition der Wittelsbacher". Herzog Max und seine Reise werden hinlänglich inszeniert. Über die ausgestellten Menschen ist aber selbst hier nicht viel zu erfahren: Die Köpfe wurden einst von den Schultern "eines Derwischs", "eines Mannes" und eines "jungen Ägypters" abgetrennt. Bei der gefledderten Mumie soll es sich um eine Frau "aus den Katakomben des libyschen Gebirges" handeln.

Auch einige "nubische Sklaven" hatte der Herzog von seiner Orientreise nach Bayern mitgebracht, so heißt es im Katalog. Vier verblieben "im Eigentum von Herzog Max", einen verschenkte er an den Grafen von Waldbott-Bassenheim. Von einem anderen ist bekannt, dass ihn der Herzog einsetzte, um "Bäuerlein zu erschrecken", indem er "den Mohren als Leibhaften Beelzebub mit drohenden Gebärden auftauchen ließ".

Wenn die Hanns-Seidel-Stiftung ihre politische Bildungsarbeit in Richtung unabhängige Provenienz-Forschung vorantriebe, könnte eventuell Licht in einige Untiefen und Widersprüche gebracht werden. Das wäre nicht nur im Sinne von Stülpnagel. Dafür sollte man allerdings auch den Wittelsbacher Hochadel überzeugen, Familienarchive und Tagebücher zu öffnen. Ob daran aber Interesse besteht, bleibt offen. Eine Besucherin, die die Banzer Orientsammlung seit Jahren besucht, hat jedenfalls resigniert. Auf ihre Briefe und unbequemen Fragen - sie liegen der Redaktion vor - antworteten weder Max Emanuel Herzog in Bayern noch das Museum. Vielleicht gelingt dem neuen Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung, Oliver Jörg, mit der geplanten Expertentagung eine Neuorientierung.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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