Jubiläumsjahr 2018:Warum die Bayern schon immer widerspenstig waren

Lesezeit: 3 min

Sächsisch-bayerische Grenze 1989. (Foto: Igor Pastierovic/dpa)

In einem Sonderheft zum 100. Geburtstags des Freistaats durchleuchten Historiker und Fachleute den Charakter des Landes - mit neuen Antworten.

Von Hans Kratzer

Seit alters her ist die Widerspenstigkeit ein herausragender Wesenszug der Bayern. Auch bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin wird dieser Urtrieb wieder deutlich hervortreten. Der CSU obliegt bei diesem Ringen stets die selbst auferlegte Pflicht, bayerische Interessen im Bund eisern gegen Unionsfreunde, Sozialisten und sonstige Bayernfeinde zu behaupten.

In der Bundespolitik verstanden sich die Bayern von Anfang an als hartnäckige Anwälte des Föderalismus. Sie sorgten dafür, dass der von den Ländern gebildete Bundesrat als zweite Kammer im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Ausgerechnet das Grundgesetz aber hat der Freistaat im Mai 1949 abgelehnt. Die Bayern argumentierten damals, es stecke nicht genug Föderalismus darin.

Geschichte
:In Bayerns Archiven liegen Schätze

Stadtarchive sind famose Wissensspeicher, im öffentlichen Bewusstsein aber oft kaum verankert. Das wollen sieben Einrichtungen nun mit einer Offensive ändern.

Von Hans Kratzer

Letztlich akzeptierten sie die Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes dann doch. Aber die Bayern hatten sich wieder einmal aufgemandelt, bevor sie die Realitäten anerkannten. "Diese Art von Politik sollte ein Markenzeichen der CSU werden", so hat es der Journalist Teja Fiedler einmal treffend formuliert.

Im Jahr 2018 feiern diese widerborstigen Bayern herausragende Jubiläen, allen voran den 100. Geburtstag ihres Freistaats. Dessen Geschichte besteht aus einem Sammelsurium an historischen Monstrositäten, es bleibt eigentlich nur ein Staunen darüber, was die Geschichte in ein einziges Jahrhundert alles hineinpacken kann: Revolution und Bürgerkrieg, Aufstieg und Terrorherrschaft der Nationalsozialisten, die Zerstörung von Staat, Gesellschaft und Kultur, das Trümmerfeld von 1945 und die Jahrzehnte des demokratischen Neuaufbaus zum heutigen Rechts-, Sozial- und Kulturstaat Bayern.

Vor dem Betrachter öffnet sich ein Spannungsfeld von Krieg und Frieden, Gewalt und Recht, Kulturbruch und Kultur, Ausgrenzung und Solidarität, Verlust und Gewinn. Der Historiker Hermann Rumschöttel verwies neulich in einem Vortrag auf das erstaunliche Phänomen, dass dieses neue Bayern trotz der vielen Erschütterungen seinen geradezu zeitlosen Charakter nie verloren habe.

"Widerspenstig! Eigen! Selbstständig!"

Über diese in Deutschland solitäre Eigenart wird im Jubiläumsjahr intensiv referiert werden. Das vom Haus der Bayerischen Geschichte konzeptionierte Landesmuseum in Regensburg soll dieses verwirrende Jahrhundert breitformatig darstellen, seine Eröffnung sollte einen Höhepunkt des Jahres bilden. Ein Brand hat diese Pläne zunichte gemacht, die Eröffnung muss verschoben werden.

Als kleinen Ersatz hat das Haus der Bayerischen Geschichte jetzt ein Sonderheft in der von ihm herausgegebenen Reihe "Edition Bayern" vorgelegt, in dem namhafte Historiker und Fachleute unter dem Titel "Widerspenstig! Eigen! Selbstständig!" den Charakter des Landes und die extraordinäre Rolle Bayerns in der Bundesrepublik durchleuchten.

Der leidenschaftliche Kampf des Freistaats gegen Kompetenzverluste an Bund und EU ist ein Kernthema der Publikation. Darüber hinaus finden sich in den 20 Aufsätzen manche neue Antworten auf die Frage, was den Freistaat Bayern so besonders macht.

Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) hatte 1945 den von Kurt Eisner proklamierten Freistaatsbegriff wieder aufgenommen. Seitdem dient er als Leitbegriff für die besondere staatliche Stellung Bayerns in der Bundesrepublik. Als der Landtag 1949 das Grundgesetz ablehnte, hatte Bayern bereits seit zweieinhalb Jahren eine eigene demokratische Verfassung: Am 1. Dezember 1946 hatte die Bevölkerung in einem Volksentscheid für die Annahme der von der amerikanischen Militärregierung ermöglichten Bayerischen Verfassung und für die Ausgestaltung Bayerns zum Rechts-, Kultur- und Sozialstaat gestimmt.

Peter Küspert, der Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, geht in dem Band der Frage nach, ob die Verfassung des Freistaats "ein ungetragenes Kleid des bayerischen Volkes" ist, das quasi unbeachtet im Schrank verstaubt. Sein Fazit lautet: "Die Bayerische Verfassung ist für die Staatlichkeit als auch für die Organisation des Freistaats unabdingbar. Es ist ein Alltagsgewand."

Mundartforschung
:"In München wird das Bairische spätestens 2040 ausgestorben sein"

Dialektbewahrer mühen sich, so sehr sie können - doch die Zukunft sieht düster aus: Bis in gut 20 Jahren werden Minderheitensprachen wohl verschwunden sein.

Von Hans Kratzer

Das Heft zeigt, dass die Frage der bayerischen Eigenheit in einer erstaunlichen thematischen Breite erörtert werden kann. Ferdinand Kramers Untersuchung legt dar, wie sehr der Zuzug die Lebenswelten der mittlerweile 12,7 Millionen Menschen in Bayern seit dem Krieg verändert hat und wie er trotz aller Polarisierungen bewältigt wird. Der lange von der CSU verfochtenen Position, Bayern sei kein Einwanderungsland, steht die Tatsache gegenüber, dass eine Stadt wie Augsburg eine der ersten Städte der Bundesrepublik sein wird, in der mehr als 50 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben.

Eine Konstante im Nachkriegsbayern ist die Protestkultur, das Aufmüpfige, das sich politisch in den verbalen Raufereien des Politischen Aschermittwochs manifestiert. Von physischer Gewalt begleitet waren dagegen der Widerstand des Volks gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den Achtzigerjahren und die Schwabinger Krawalle in den Sechzigern.

Die Autorin Ute Hasenöhrl kommt trotzdem zum dem Schluss, nicht die Gewalteskalation sei charakteristisch für Bayern, Protest sei weit mehr als Wackersdorf. Überwiegend bunt, vielschichtig und widersprüchlich habe das bürgerschaftliche Engagement innerstaatliche Veränderungen herbeigeführt.

Der ehemalige Generalkonservator Egon Johannes Greipl sieht trotzdem skeptisch in die Zukunft. Er fragt in seinem Aufsatz, ob das Ende Bayerns als Marke absehbar sei, angesichts des Zerfalls der überlieferten ästhetischen und geschichtlichen Werte, speziell der Kulturlandschaft, der Sprache und der Ortsbilder. Das Echte steht demnach im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr wirklich fest. Was bleibt von Bayern? "Vielleicht nur ein Mythos."

In der Reihe EDITION BAYERN sind seit 2009 insgesamt 22 Titel erschienen, davon neun Sonderhefte. Sie widmen sich einzelnen Themen mit besonderer Bedeutung für die bayerische Geschichte. Daneben gibt es 13 Regionalhefte, die sich mit den verschiedenen Regionen Bayerns beschäftigen - vom Werdenfelser Land bis zum bayerischen Untermain, von Coburg bis zum Chiemgau.

© SZ vom 08.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mitten in Bayern
:Die Bayern kriegen nicht genug von ihren Bräuchen

Darum gibt es neuerdings auch in Niederbayern Almen und Perchten in der Oberpfalz. Da stimmt doch was nicht.

Kolumne von Hans Kratzer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: