Hilfe für Herzpatienten:Ein Winzling in der Brust

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Ein Knirps, der die Fachwelt begeistert: Der weltweit kleinste Herzschrittmacher ist gerade mal so groß wie eine Vitaminkapsel. (Foto: UKR, Medtronic)

Es ist der kleinste Schrittmacher der Welt: Als erstem Patienten überhaupt haben Ärzte an der Regensburger Uniklinik Markus Heidinger ein ganz neues Gerät eingesetzt. Es ist jedoch nicht für alle Herzpatienten geeignet.

Von Dietrich Mittler, München

Klar, Markus Heidinger ist mit 74 Jahren nicht mehr der Jüngste. Aber ein Ruhepuls von 37 Herzschlägen pro Minute, das gab ihm doch zu denken. Den haben allenfalls Hochleistungssportler - und die sind fit. Er aber war ständig müde, schon beim Treppensteigen kam er außer Atem. Manchmal hatte er in der Nacht sogar Herzaussetzer von vier bis fünf Sekunden.

So rief er bei den Ärzten im Uniklinikum Regensburg an, ob sich da nicht ein Herzschrittmacher empfehle. Seine Frau hatte kürzlich erst einen bekommen. Die Ärzte sagten ja. Doch Heidinger (Name geändert) solle nicht eines der herkömmlichen Geräte bekommen, sondern den kleinsten Herzschrittmacher der Welt. Nur rund 700 Patienten weltweit profitieren mittlerweile von diesem Gerät, das von der Form her in etwa aussieht wie eine Vitaminkapsel.

"Dieser Gedanke hat mir gleich gefallen, ich war schließlich von Beruf Techniker", sagt Heidinger. Die OP, so erfuhr er, werde auch nicht lange dauern. In gut 40 Minuten könne alles vorbei sein. Er werde auch nur örtlich betäubt - und danach sehe man vom neuen Herzschrittmacher von außen gar nichts - nicht einmal eine Delle an der Schulter, die sonst die herkömmlichen Geräte verursachen.

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Ein kleines Gaunerstück unter Männern

Aber da gab es doch ein kleines Hindernis, das eines Gentleman-Agreements bedurfte. Man könnte es auch ein kleines Gaunerstück unter Männern nennen: Frau Heidinger, so gab der 74-Jährige den Ärzten zu verstehen, dürfe auf gar keinen Fall erfahren, dass er der allererste Patient ist, dem am Universitätsklinikum Regensburg so ein Mini-Herzschrittmacher der US-amerikanischen Firma Medtronic implantiert wird. "Die hätte mir gleich gesagt: Du lässt dich hier doch nicht zum Versuchskaninchen machen!", sagt er.

Aufgeregt war Markus Heidinger dann kein bisschen, als er morgens kurz vor acht Uhr zur Implantation antrat. Das würde Lars Maier, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II an der Uni Regensburg, so nicht von sich behaupten. Er beschreibt das Gefühl, als es endlich losging, als irgendwie "freudig erregt". Maier führte den nur zwei Gramm schweren Herzschrittmacher bei Markus Heidinger über die Leisten-Vene minimalinvasiv zum Herzen hin. Im Inneren des Medtronic Micra Transcatheter Pacing System - so lautet der umständliche Name der kleinen Kardiokapsel - befindet sich eine Batterie, die rund zehn Jahre lang durchhalten soll, sowie auch noch ein Steuerungschip.

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60 Minuten OP und keine Schmerzen

Da alles so neu war, dauerte der Eingriff bei Markus Heidinger dann rund 60 Minuten. Schmerz habe er dabei keinen gespürt. Ein Tag später sei er auch schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. "Der Oberarzt hat mich zum Test eine Wendeltreppe hochlaufen lassen", erzählt Heidinger. Früher habe er da zweimal halten müssen, um wieder zu Luft zu kommen. "Aber einen Tag nach der OP bin ich das spielend raufgelaufen", sagt der 74-Jährige.

Lars Maier ist von der Kardiokapsel hellauf begeistert. "Einfach genial", sagt er. Und dann beginnt er - ganz Professor - zu referieren: "Die Geschichte der Herzschrittmacher beginnt ja in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Da war der Herzschrittmacher noch so groß, dass er außerhalb des Körpers bleiben musste. Nur die Kabel, die den Stromimpuls zur Regulierung des Herzschlages weiterleiteten, führten in den Körper." Nach Jahren endlich waren die Herzschrittmacher nur noch "so groß, wie ein Fünfmarkstück".

Auf einem Kongress hörte Maier dann erstmals von der Kardiokapsel und war sofort Feuer und Flamme. In Deutschland wurde die erste dieser Kapseln an der Uniklinik Düsseldorf implantiert. Bevor auch Maier mit der Behandlung beginnen durfte, musste er erst eine Bewerbung dafür einreichen, in die USA fliegen und dort mit seinem Kollegen Ekrem Üçer an einem Simulator sowie an lebenden Schweinen und menschlichen Leichen die neue Technik einstudieren. Die Begeisterung für das Gerät wuchs beim Lehrgang um ein Weiteres, auch wenn diese Behandlungsmethode noch nicht von den Kassen bezahlt wird.

Für wen die Kapsel überhaupt geeigent ist

Die Uniklinik Regensburg übernimmt bislang die Kosten für das Gerät - gut 10 000 Euro, wie Maier sagt. Aber die Vorteile seien enorm: "Für Patienten bedeutet das Verfahren ein geringes Infektionsrisiko, da keine Elektroden im Herzen und den Gefäßen liegen - und da keine operative Tasche unter der Haut angelegt werden muss." Bei der Kardiokapsel sorgen vier kleine Häkchen, vergleichbar Mini-Angelhaken, dafür, dass sie am Platz bleibt. Kabel braucht es nicht.

Bislang, so sagt Maier, ist die Kapsel nur für Patienten geeignet, die einen Ein-Kammer-Herzschrittmacher benötigen. Patienten, bei denen beide Herzkammern stimuliert werden müssen, bekommen weiterhin herkömmliche Geräte. Wie Frau Heidinger. "In einigen Jahren", hofft ihr Mann, "sind die so weit, dass auch für sie so eine Kapsel verfügbar ist."

Nur rund 700 Patienten weltweit profitieren mittlerweile von diesem Gerät (Foto: UKR, Medtronic)
© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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