Gesundheit:Hohes Risiko durch Herzschrittmacher & Co.

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Verdacht auf Pfusch: Ob Implantate fehlerhaft sind oder der Arzt falsch behandelt hat, können betroffene Patienten von Krankenkassen klären lassen. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Fehlerhafte Medizinprodukte bringen Patienten in große Gefahr. Die AOK Bayern fordert unabhängige Zulassungsverfahren und Pflichtversicherung der Hersteller.

Von Dietrich Mittler, München

Die AOK Bayern will ihre Mitglieder künftig stärker vor fehlerhaften Medizin-Produkten schützen. Dazu zählen etwa Implantate, Herzschrittmacher oder Katheter. "Fehlerhafte Medizinprodukte stellen ein Gesundheitsrisiko für den Patienten dar und verursachen Kosten im Gesundheitswesen", sagte Helmut Platzer, der Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, am Mittwoch.

Bislang könnten die Herstellerfirmen solche Produkte entweder selbst mit einer CE-Kennzeichnung als unbedenklich deklarieren, oder diese Aufgabe Organisationen wie dem TÜV übertragen - "je nach Risikoklasse", wie Platzer betonte.

Bisheriges Verfahren ist der AOK zu unsicher

Die CE-Kennzeichnung soll garantieren, dass das Produkt den geltenden Anforderungen der EU genügt. AOK-Chef Platzer ist das bisherige Verfahren allerdings zu unsicher: "Wir fordern ein öffentlich-rechtliches Zulassungsverfahren durch eine nationale oder eine europäische Behörde, das die Sicherheit und Wirksamkeit von Hochrisiko-Medizinprodukten gewährleistet", sagte er.

Zudem sollten die Hersteller dazu verpflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. "Mit ausreichender Deckung", wie Platzer hervorhob. Nur so wäre nach Auffassung der AOK Bayern der Patientenschutz effektiv gewährleistet. "Geschädigte Patienten hätten dann gegen die jeweiligen Haftpflichtversicherer einen unmittelbaren Anspruch - ähnlich der Regelungen in der Kfz-Haftpflichtversicherung."

AOK-Versicherte, die aufgrund eines womöglich fehlerhaften Medizinprodukts unter Beschwerden leiden, sollten sich nach Platzers Worten auf jeden Fall mit ihrer Kasse in Verbindung setzen. Spezielle Ansprechpartner in der Patientenberatung würden dann klären, ob ein Produktfehler vorliege oder ob vielleicht der behandelnde Arzt im Falle eines Implantats Fehler gemacht habe. "Auch hier hilft die Patientenberatung der AOK Bayern", sagte Platzer.

Wenn das Unvorstellbare geschieht

Seit 15 Jahren bietet Bayerns mitgliederstärkste Krankenkasse eine solche Beratungsstelle an. Diese ist über die kostenlose Servicenummer 0800/ 265 2293 oder per E-Mail unter aok-patientenberatung@by.aok.de erreichbar. Platzer betonte, die medizinische Versorgung in Bayern bewege sich "ohne Zweifel auf einem sehr hohen Niveau". Dennoch könnten Behandlungsfehler nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Geschehe das zunächst Unvorstellbare, so seien die Betroffenen oder auch ihre Angehörigen in der schwierigen Position, mögliche Behandlungsfehler nachweisen zu müssen. "Deshalb hat der Gesetzgeber die Krankenkassen bevollmächtigt, ihre Versicherten zu unterstützen, wenn sie Schadenersatzansprüche durchsetzen wollen", sagte Platzer. Dem sei die AOK Bayern seit dem Jahr 2000 freiwillig nachgekommen und habe so in 4665 Fällen durch hauseigene Medizinexperten an den Standorten Bamberg und Ingolstadt Behandlungsfehler eindeutig nachweisen können.

Wie ein Sprecher der AOK betonte, habe die Kasse in diesen 15 Jahren so im Rahmen von Vergleichen und Prozessen dazu beigetragen, "Entschädigungen im Umfang von rund 72 Millionen Euro Schadenersatz" zu realisieren.

Die Mitglieder sind gefragt

Um solche Ergebnisse zu erzielen, brauche es die aktive Mithilfe der Versicherten. Melanie Ross, Teamleiterin der AOK-Patientenberatung Nord, rät deshalb allen Betroffenen, Gedächtnisprotokolle von strittigen Behandlungen anzufertigen. Nicht immer aber stehe am Ende der Prüfungen das Resultat Behandlungsfehler. Insgesamt haben die AOK-Experten seit 2000 sage und schreibe 31 824 Patienten wegen des Verdachts auf Behandlungsfehler beraten. Dabei gab sie in 13 731 Fällen ein für die Versicherten kostenloses Gutachten in Auftrag. Doch eben nur in 4665 Fällen führte das zu dem von den Patienten vermuteten Ergebnis.

"Die häufigsten Beratungen und Gutachten", so sagte Platzer, "gab es in den Bereichen Chirurgie (11 359 Fälle) und Orthopädie (3247) sowie in der Zahnmedizin beziehungsweise Kieferchirurgie (2886)."

Platzer stellte klar, dass seine Kasse nicht auf Konfrontationskurs zu Ärzten und Kliniken gehen wolle. Vielmehr setze die AOK Bayern hier auf Kooperation: "Aus Fehlern zu lernen, eine angstfreie Fehlerkultur zu etablieren und dadurch langfristig Fehler zu verhindern, dies ist im Interesse aller Beteiligten."

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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