Helfer:Seehofer zeichnet Lebensretter aus

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Sophia Deyhle aus Hersbruck bei Nürnberg ist die jüngste Lebensretterin, die die Rettungsmedaille erhält. (Foto: dpa)

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer würdigt den selbstlosen Einsatz von 137 Menschen. Die jüngsten waren gerade einmal drei und vier Jahre alt.

Von Dietrich Mittler, München

Dieter Achtenberg, der Hausmeister einer Asylbewerberunterkunft im schwäbischen Nördlingen, ist kein Mann großer Worte. Er bekommt an diesem Mittwoch von Ministerpräsident Horst Seehofer die Bayerische Rettungsmedaille verliehen - dafür dass er Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens vor dem sicheren Tod bewahrt hat.

Aber der 63-Jährige winkt ab: "Ich bin kein so ein Typ, der da Halligalli macht. Dass ich helfe, ist doch ganz normal." Was er aber im vergangenem November an menschlichem Leid verhindern konnte, hat schon sehr viel mit Charakterstärke zu tun. Nicht jeder stürzt sich in beißende Rauchschwaden, um andere aus den Flammen zu retten.

App "Mobile Retter"
:Rascher als der Rettungsdienst

Bis ein Rettungswagen kommt, können zehn Minuten und mehr vergehen. Eine App verkürzt diese Zeitspanne, indem sie im Notfall Ersthelfer alarmiert, die sich gerade in der Nähe befinden.

Von Florian Gontek

Dabei hatte an diesem 18. November 2015 alles ganz ruhig begonnen. Achtenberg erledigte gerade Routinearbeiten in der Werkstatt, als die Tür zuschlug. "Ich habe rausgeschaut, weil es so windig war, und da habe ich auch schon den Rauch gesehen", sagt er. Nun ging alles ganz schnell. Achtenberg hastete zum Haupteingang. Dort aber schlug ihm der Rauch so massiv entgegen, dass er nicht weiter vordringen konnte.

Er versucht es über den Hintereingang, und da sah er auch schon einen 28-jährigen Kosovo-Albaner regungslos am Boden liegen. Achtenberg brachte ihn in Sicherheit, hastete dann zurück ins Gebäude. In den oberen Stockwerken waren weitere Menschen untergebracht, auch Familien mit Kindern. "Die haben vom Feuer nix mitgekriegt, zum Teil haben sie geschlafen", sagt Achtenberg. Zum Glück waren die Einsatzkräfte der Feuerwehr rasch zur Stelle. Sie kümmerten sich um die Asylbewerber, die aus dem Haus strömten, und löschten den Brand.

"Es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die selbstlos helfen"

Neben Dieter Achtenberg werden weitere 86 Lebensretter aus ganz Bayern mit der Rettungsmedaille geehrt, sowie weitere 50 Personen mit der Christophorus-Medaille, die für "eine Rettungstat unter besonders schwierigen Umständen" verliehen wird. "Jeder von uns kann urplötzlich auf die Hilfe anderer angewiesen sein. Es ist gut zu wissen, dass es Menschen gibt, die dann zupacken, die selbstlos helfen", ließ der Ministerpräsident bereits Tage vor der Veranstaltung in der Münchner Residenz wissen.

Die jüngsten Lebensretter sind dieses Mal der damals dreijährige Oskar Gomolka und seine um ein Jahr ältere Schwester Lotta aus Stuttgart. Beinahe hätte der Besuch der Geschwister bei ihrem Opa im Landkreis Unterallgäu ein tragisches Ende genommen. Sie waren gerade mit ihm auf einem Spielplatz, als der Großvater einen Herzinfarkt erlitt. Trotz der ihnen fremden Umgebung konnten die Kinder noch rechtzeitig Hilfe herbeiholen. Der älteste Retter ist in diesem Jahr Manfred Arlt aus Pullach. Der damals 76-Jährige hat eine Frau aus dem schnell fließenden Isarkanal gerettet, indem er sie unter Aufbietung all seiner Kräfte ans Steilufer zog.

Oskar und Lotta Gomolka sind die jüngsten Lebensretter, die Seehofer auszeichnet. (Foto: privat)

Es sind nahezu unglaubliche Geschichten, die an diesem Mittwoch im Antiquarium der Residenz zur Sprache kommen. So etwa die von Johann Brandl aus Altenthann im Kreis Regensburg. Als das Schreckliche passierte, war er gerade erst acht Tage aus dem Krankenhaus zurück, wo er sich einer Knieoperation hatte unterziehen müssen. Aber die Schreie seiner gut 80 Meter entfernt lebenden Schwester ließen ihn seine Schmerzen vergessen.

Ohne Krücken hastete er zum brennenden Haus, kletterte auf einer Leiter den Balkon hoch, wo seine Schwester um ihr Leben bangte. Ihr dementer Partner hatte, während sie schlief, "gezündelt", wie Brandl sagt. Zum Glück hatten auch zwei weitere Männer, Achim Konietzny und Johann Müller, den dichten Rauch bemerkt. Einer von ihnen wagte sich ins Haus, kroch am Boden unter den Rauchschwaden hin zum Lebensgefährten der Schwester, der bereits schwere Brandwunden erlitten hatte. Er konnte ihn bergen.

Nicht minder dramatisch die Geschichte, die Vasile Marcel Sadean aus dem niederbayerischen Hengersberg zu erzählen hat. Er saß Mitte September vergangen Jahres mit Anglerfreunden an einem Weiher. Ein 82-jähriger Angler, der wegen eines amputierten Fußes auf einem Elektrorollstuhl angewiesen ist, hatte ihn gerade um ein paar Maden als Köder gebeten, als es passierte. Auf dem Rückweg zu seinem Platz verlor der 82-Jährige die Kontrolle über den Rollstuhl und fiel kopfüber in den Weiher. Während andere am Ufer nur zuschauten, sprang der 58-jährige Rumäne ins Wasser, barg erst den Rentner und dann auch noch mit Hilfe eines Arbeitskollegen den Rollstuhl des hilflosen Mannes.

Was wiederum der Polizist Hermann Obermeier aus Kelheim erlebte, erinnert an einen Horrorfilm: Er war gerade zu Besuch bei seiner Lebenspartnerin, als er in einem der Nachbargrundstücke einen Mann erblickte, der sich mit einem großen Messer die Pulsadern aufschnitt. "Ich bin zu ihm hin, habe gesagt, er solle das lassen, er habe doch Schmerzen und ich wolle ihn verbinden", erzählt Obermeier. Der verzweifelte Mann indes sagte, Obermeier solle abhauen, er wolle nicht mehr leben. Der Beamte blieb.

Johann Brandl aus Altenthann eilte seiner Schwester in der brennenden Wohnung zur Hilfe. (Foto: privat)

Schließlich warf der Mann, nachdem er sich noch zwei tiefe Schnittwunden zugefügt hatte, das Messer weg und sagte: "Na gut, dann laufe ich eben vor ein Auto." Obermeier konnte auch das verhindern. 1999 war er bereits mit der Christophorus-Medaille ausgezeichnet worden, weil er einen Asylbewerber gerettet hatte, der sich von einer Brücke stürzen wollte.

Auch Angelo Ostermair aus Klosterlechfeld hat alles darangesetzt, anderen in der Not zu helfen. Der 16-Jährige hat einen Rentner aus einem Baggersee gerettet, der sich beim Schwimmen in Wasserpflanzen verfangen hatte und sich nicht mehr über Wasser halten konnte. Die 13-jährige Sophia Deyhle tat sich ebenfalls als Retterin hervor - am Happurger Baggersee.

Oft müssen die Helfer allerdings auch die Erfahrung machen, dass sie trotz allen Einsatzes nicht alle Betroffenen retten können. So erging es etwa den Unterschleißheimern Norbert Freisleben und Michael Hellinger. Sie mussten zum Teil mehrere Meter tief tauchen, um drei Personen aus dem Unterschleißheimer See zu holen. Zwei der Verunglückten starben jedoch nach der Rettungsaktion. "Es hat mich getroffen, als ich das gehört habe", sagt Hellinger. Aber beide Männer wissen: "Wir haben wirklich alles getan, was möglich war."

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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