Hattie-Studie:"Kinder interessieren sich nicht fürs Unterrichten, die wollen lernen"

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John Hattie, Bildungsforscher aus Neuseeland, hat in Augsburg sein neues Buch vorgestellt. (Foto: Schulwerk Augsburg)

Der Neuseeländer John Hattie hat 2100 Metastudien zum Thema Bildung ausgewertet, in Augsburg predigt er Lehrkräften und Studierenden, worauf es wirklich in der Schule ankommt.

Von Anna Günther, Augsburg

Große Erwartungen prägen diesen Nachmittag in Augsburg: Gut 300 Besucher warteten gespannt darauf, was der neuseeländische Empirie-Guru John Hattie, 74, ihnen erzählen würde. Erwartungsmanagement war das große Thema des Nachmittags, nur sicher anders, als es viele der anwesenden Lehrkräfte und Lehramtsstudierenden für möglich hielten.

In der Welt der Pädagogik hatten Hatties Analysen 2009 großen Wirbel ausgelöst, die deutsche Übersetzung des Augsburger Professors Klaus Zierer schaffte es 2013 sogar auf die Bestsellerlisten. Zugespitzt formuliert, zeigt Hattie anhand von mittlerweile 2100 Metastudien und zigtausenden Daten auf, welche Faktoren wirklich etwas bringen in der Schule und was nachweislich zum Lernerfolg der Kinder führt. Harte Zahlen also für oft wolkige pädagogische Ideen.

In diesen Tagen erscheint die deutsche Übersetzung des Nachfolgebuchs "Visible Learning - the Sequel", neudeutsch getitelt "Visible Learning 2.0". Gut 15 Jahre nach dem ersten Buch hat sich die Zahl der Metastudien verdreifacht und die von Hattie analysierten Faktoren für sichtbaren Lernerfolg wuchsen von 138 auf 362 an. Hattie war also am Montag von Australien nach Augsburg gekommen, um auf Einladung Zierers und des Schulwerks der Diözese Augsburg über sein neues Buch zu sprechen. Der Pädagoge aus Down Under nutzte die Gelegenheit, um den Lehrkräften im Saal und jenen, die es werden wollen, mal so richtig ins Gewissen reden. "Kenne deinen Einfluss" heißt ein Buch, das Zierer mit Hattie geschrieben hat, der Direktor des Melbourne Education Research Institute spielte seinen Einfluss sogleich maximal aus - und der Saal lauschte gebannt.

"Es gibt Lehrkräfte, denen können Sie die beste Methode der Welt an die Hand geben, sie werden es verbocken. Und es gibt Lehrer, die brauchen keine besondere Methode und die Kinder werden große Lernerfolge erreichen", sagte Hattie. Das Beispiel seiner Enkelin zeige aber, wie es nicht geht: Die Jüngste, 5, habe das System Schule nach wenigen Wochen schon verstanden: "Es geht darum, es richtigzumachen." Jetzt habe sie Angst, Fehler zu machen, und tue gar nichts mehr für die Schule. Nun dürfe er den Job des Lehrers machen und versuchen, ihr eine andere, positive Fehlerkultur beizubringen. Ein Klassiker bei Hattie und Zierer.

Überhaupt müsse es laut Hattie in der Schule weniger ums Unterrichten gehen: "Die Kinder interessieren sich nicht dafür, wie Sie unterrichten, die wollen lernen." Ein Schlüssel für deren Lernerfolg sei das Erwartungsmanagement der Lehrer. Und zwar auf mehreren Ebenen: Mit kollektiver Wirksamkeitserwartung meint Hattie, dass eine Schule sich als Kollektiv auf den Weg zu bestem Unterricht macht, die eigenen Erwartungen ans Lernen der Kinder formuliert und diese regelmäßig evaluiert.

"Wie können Sie denn bei Zehnjährigen schon wissen, wie sie mit 30 sein werden?"

Zugleich müssten Lehrkräfte lernen, ihre Erwartungen zu lenken. "Kinder wissen, welche Erwartungen die Lehrkraft an sie hat", sagte Hattie. Und verhalten sich danach. Lehrerinnen und Lehrer sollten also die Lernziele für ihre Schüler definieren und ihnen so transparent zeigen, was sie erreichen müssen. Die besten Lehrer sind für Hattie übrigens nicht jene, deren Schüler ihr Potenzial erreichen, sondern jene, die es schaffen, dass Buben und Mädchen über sich hinauswachsen. Knapp formuliert: Wenn Kinder spüren, dass die Lehrkraft an sie glaubt, dann schaffen sie es am Ende auch. "Erwartungen sind unglaublich mächtig."

Bahnbrechend neu sei das nicht, murrte manch Kritiker im Saal. Der Augsburger Hochschullehrer Zierer verteidigte seinen Freund: "Menschen erziehen seit 3000 Jahren Kinder, das kann gar nicht alles neu sein. Entscheidend ist, dass die Daten dazu auf dem Tisch liegen."

Auf Daten basierten dann auch Hatties Ratschläge für die bayerische Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler), die der Bildungsforscher auf entsprechende Fragen aus dem Saal parat hatte: Von der frühen Verteilung der Kinder nach der Grundschule an die verschiedenen Schularten hält er nichts. "Wie können Sie denn bei Zehnjährigen schon wissen, wie sie mit 30 sein werden?" Um dem Lehramt mehr Ansehen zu verschaffen und die besten Leute für den Job zu bekommen, würde Hattie mehr Beförderungsstufen und eine noch bessere Bezahlung einführen. Die Zahlen zeigten, dass Lehrer nach zehn Jahren im Dienst stagnieren oder qualitativ schlechteren Unterricht machten als zu Beginn ihrer Laufbahn. Würde Leistung belohnt, könnte das anders aussehen. Insgesamt sieht er die Qualität im Klassenzimmer bedroht: "Wir werfen immer mehr ungeschulte Erwachsene in die Klassenzimmer, das ist ein großes Problem."

Auf die Frage, was ihn in seiner Schulzeit am meisten geprägt habe, antwortete Hattie passend zu seiner Erwartungstheorie: "Dass mir niemand gesagt hat, du kannst das nicht."

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