München (dpa/lby) - Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen judenfeindlicher Hetze im Netz ist in Bayern in die Höhe geschnellt. Die bayerischen Staatsanwaltschaften leiteten im vergangenen Jahr 387 Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer sogenannter Hate Speech im Internet ein - 78 Prozent mehr als 2021 (218 eingeleitete Verfahren). Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sprach am Donnerstag in München von einem „erschreckenden Ausmaß“.
2435 Hate-Speech-Verfahren wurden im vergangenen Jahr insgesamt in Bayern eingeleitet. Die Ermittler fanden Bilder, die ein Corona-Impfzentrum mit einem Konzentrationslager gleichsetzten oder auch das Z-Symbol, das als Unterstützungsgeste für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gilt. „Hass und Hetze halten sich im Internet auf erschreckend hohem Niveau“, sagte Eisenreich. In 1902 Verfahren war der Täter bekannt, in 533 wurde gegen unbekannt ermittelt.
2021 waren nach Angaben Eisenreichs noch 2317 neue Verfahren eingeleitet worden, vor drei Jahren 1648. Die Hoffnung, dass die Hate-Speech-Zahlen nach der Lockerung der Corona-Maßnahmen abnehmen, habe sich nicht bestätigt, sagte der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle.
Die Zahl der neuen Ermittlungsverfahren wegen rassistischer Online-Hetze stieg um 16 Prozent auf 401 eingeleitete Ermittlungsverfahren. In 64 Ermittlungsverfahren gab es einen behindertenfeindlichen Hintergrund (2021: 25), in 44 einen christen- oder islamfeindlichen (2021: 52).
In 38 Verfahren wurden die Opfer wegen ihrer sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität angegriffen. Das ist gegenüber dem Vorjahr mit 86 Fällen ein deutlicher Rückgang um 56 Prozent. Einen Rückgang verzeichneten die Ermittler auch bei frauenfeindlicher Hate-Speech.
Doch Verfahren wurden nicht nur eingeleitet, sondern auch abgeschlossen: In 488 Verfahren wurde 2022 Anklage erhoben, in 324 Verfahren erging eine Verurteilung oder ein Strafbefehl, davon sind 260 Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen.
Nach Angaben der neuen Hate-Speech-Beauftragten, Teresa Ott, liegt die höchste Strafe für einen Ersttäter bei einer Verurteilung wegen Internet-Hass in Bayern bislang bei einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung. Der Mann hatte ihren Angaben zufolge gegen Geflüchtete gehetzt und zum Mord an Politikern aufgefordert.
Nach dem Polizistenmord von Kusel in Rheinland-Pfalz wurden auch in Bayern nach Angaben Otts 30 Fälle von Internet-Hetze verfolgt, in denen die getöteten Polizisten verunglimpft oder die Tat gebilligt wurde.
„Die Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt“, betonte Eisenreich. „Selbst bei Ersttätern ist eine Freiheitsstrafe möglich. Außerdem drohen empfindliche Geldstrafen - bei Volksverhetzung beispielsweise mindestens drei Monatsgehälter plus Eintrag ins Führungszeugnis.“
Die Zahl der erkannten Fälle sei immer noch zu niedrig, sagte Ott. „Das Dunkelfeld ist nach wie vor sehr hoch. Wir haben immer noch zu viele nicht angezeigte Fälle.“ Sie appellierte an alle, Hate Speech nicht zu ignorieren: „Nicht weiterscrollen!“
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