Grünen-Fraktionschef Thomas Mütze:"2013 wäre schön"

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Sepp Daxenberger hat bei den Grünen in Bayern eine große Lücke hinterlassen. Sein Nachfolger als Fraktionschef, Thomas Mütze, gibt sich dennoch zuversichtlich - 2013 will er in die Regierung.

K. Auer und M. Szymanski

Im Radio dudelt der Hessensender HR3, als Thomas Mütze seinen Familien-Kleinbus durch die Stadt steuert. Den Bayerischen Rundfunk hört er nicht, denn nach Frankfurt sind es gerade einmal 40 Kilometer. Nach München 350. Und auch gefühlt liegt Aschaffenburg fast in Hessen. Das merkt man dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden an. "Das mit Bayern, das hab' ich nicht." Dieses Bajuwarische meint er, den Stolz, den die Oberbayern verspüren, schon wenn sie nur einen Berg erblicken. Mütze kann nicht mal die Bayernhymne.

Thomas Mütze ist ein unkomplizierter Typ - eine der wenigen Eingenschaften, die er mit seinem verstorbenen Vorgänger Sepp Daxenberger gemeinsam hat. Mütze ist kein Biobauer, sondern Lehrer. Ein Stadt-Grüner. (Foto: dpa)

Mütze sagt, wer hier am äußersten Rande des Freistaats lebe, habe ein anderes Bayern-Verständnis, ein extremes: fast schon unterkühlt - oder besonders ausgeprägt. Einerseits seien die Aschaffenburger besonders stolz auf ihre Stadt. Nichts ist zu spüren vom sonst verbreiteten fränkischen Minderwertigkeitsgefühl. Das Schloss aus rotem Spessart-Sandstein, der Fluss, das angeblich mediterrane Klima. Bayerisches Nizza, so nennen sie ihre Stadt. Wen interessiert da München? Andererseits gebe es besonders viele, die sich demonstrativ Freistaat-Bayern-Aufkleber auf ihre Autos kleben.

Thomas Mütze hat keinen. Als Kind ist er viel herumgekommen, der Vater arbeitete als Verkaufsleiter bei einem Kaufhaus. "Das ist wie bei der Bundeswehr", sagt er. Würzburg, Hannover, Frankfurt am Main, Weilheim, Aschaffenburg. Am meisten gefallen hat ihm der Umzug nach Weilheim, der vielen Kühe wegen. "In Frankfurt kennt man ja nur Eichhörnchen." Als Jugendlicher kam er nach Aschaffenburg. Das nennt er heute seine "Homebase", Heimat sagt er nicht. Aber: "Ich will hier nicht wieder weg."

In Aschaffenburg ist er auch politisch sozialisiert worden - Mitte der neunziger Jahre zog Mütze als Grüner in den Stadtrat ein.

" In Ihrer Partei redet man ja schon von der neuen Mitte. Werden die Grünen die neue Volkspartei?

Das Prinzip Volkspartei hat sich doch überlebt. Partikularinteressen driften immer weiter auseinander. Die alle unter einem Hut zu halten, wird schwieriger. Ich sehe das nicht bei uns Grünen.

Aber für alle wählbar sein wollen Sie schon?

Für alle sicher nicht. Für jemanden, der in der Atomindustrie arbeitet, sind wir Grünen sicher nicht wählbar. Unsere Klientel sind vor allem gut gebildete Leute, die sich nichts erzählen lassen. Die sich Sorgen machen um den Fortgang der Welt, um den Umgang mit Minderheiten, um die soziale Sicherheit. Leute, die auch bürgerlich sind. Wir sind eine Sammelbewegung unterschiedlichster Menschen, das waren wir schon immer.

Sehen Sie für die Grünen ein Wahlergebnis jenseits der 20 Prozent?

Das kann ich nicht sagen. Wir sind gewählt worden mit Ergebnissen unter zehn Prozent, haben jetzt Umfragewerte über 15 Prozent. Das ist toll. Für uns wäre es ein Supererfolg, wenn wir diese Werte in Stimmen umsetzen könnten. Das wäre gigantisch."

Mütze steht an diesem Tag in kurzen Hosen am Bahnsteig. Es ist einer dieser letzten schönen Sommertage, kein Wetter für Politikerkluft. Mütze fragt, ob man vielleicht ins Schwimmbad wolle. Der 44-Jährige ist unkompliziert. Sehr. Eines der wenigen Dinge, die er mit seinem Vorgänger Sepp Daxenberger gemeinsam hat. Daxenberger, der am 18. August an Krebs starb, hinterlässt eine Lücke, von der auch Mütze nicht so recht weiß, ob er sie überhaupt ausfüllen kann. Mütze ist kein Biobauer wie Daxenberger. Er ist Lehrer. Er kommt auch nicht vom Land. Mütze ist ein Stadt-Grüner.

Aschaffenburg musste den Abzug von 15.000 US-Soldaten bewältigen, noch heute zeugen leerstehende Block-Landschaften davon, welch große Aufgabe das ist. In den Straßen rundherum heißen die Autowerkstätten immer noch Car Care Center. Mütze steuert auf einen Supermarkt zu, der in einem hässlichen Gebäuderiegel untergebracht ist. Als Lokalpolitiker hatte er damals dem Bau zugestimmt. "Das war nichts", räumt er jetzt ein. "Das ist die einzige Entscheidung, für die ich mich heute schäme."

" Herr Mütze, wann regieren die Grünen in Bayern mit?

2013 wäre schön.

Das geht wahrscheinlich nur mit der CSU.

Noch geht es nur mit der CSU. Man muss sich dann mal unterhalten, was möglich ist. Lange Zeit hat aber offenbar die Phantasie nicht bei allen Parteien ausgereicht, dass es auch ein Bündnis ohne die CSU geben könnte. Aber die Frage stellt sich erst wieder 2013, wenn wir genügend Stimmen bekommen.

Ist die CSU bereit für die Grünen?

Es gibt in beiden Parteien Menschen, die sich aneinander abgekämpft haben und die nicht miteinander können. Es gibt auch Positionen, die nicht kompatibel sind. Aber es wächst ja eine neue Generation heran, und ich sehe auch in der CSU die Offenheit, miteinander zu reden und sich auszutauschen. Und das ist ja schon mal der erste Schritt.

Ist denn Bayern bereit für die Grünen?

Das sieht man doch. Die Grünen sind definitiv in Bayern angekommen. Wir haben eine hohe Akzeptanz."

Mütze lebt in Schweinheim. Ein etwas schmuckloser Stadtteil außerhalb des Zentrums. Eine Gegend mit Einfamilienhäusern und kleinen Gärten dazu. Ein Ort, wo man hinzieht, wenn man seine Ruhe haben will. Seine 13 und 16 Jahre alten Söhne sind hier aufgewachsen. Der Ältere sagt schon jetzt, dass er niemals weg will.

Als Mütze einzog, da fragte ihn sein Vermieter, ob er etwas gegen Fleischgeruch habe. Er sei Jäger und habe sich in der Garage einen Schlachtraum eingerichtet. Mütze hat nichts gegen Fleischgeruch. Er wirkt überhaupt wie einer, der den praktischen Dingen des Lebens nahe steht. Er passt gut in diese Gegend.

In Schweinheim mindestens und eigentlich im ganzen Raum Aschaffenburg war Thomas Mütze mal fast ein Star. Er hatte eine Band, die hieß immer wieder anders, aber immer spielte sie Westernhagen. Und Mütze sang. An die Auftritte auf der Schweinheimer Kerb, so heißt die Kirchweih auf unterfränkisch, kann sich Landtagskollege Karsten Klein von der FDP noch gut erinnern. Ein Mordsandrang sei da immer gewesen. Und Mütze echt gut.

Als Mütze 2003 in den Landtag kam, wurde er jugendpolitischer Sprecher. Vor allem aber musste er sich in die Finanzen einarbeiten. Es war recht weit weg von den Themen, die ihn als 16-Jährigen interessiert hatten, als er zu den Grünen gegangen war. Er wollte die Wälder vor saurem Regen retten und die Menschheit vor Atomwaffen schützen.

" Als den Mann fürs intelligente Sparen hat Sie Ihre Kollegin Margarete Bause vorgestellt. Machen Sie doch einmal drei intelligente Sparvorschläge.

Da muss ich Sie auf unsere Fraktionsklausur im Herbst vertrösten, denn wir sind noch mitten in der Arbeit. Wir wollen ein Konzept vorlegen, das dann auch wirklich trägt. Aber auch darin werden Sie die drei Vorschläge nicht finden.

Sie wollen gar nicht sparen?

Doch klar, aber wir streichen nicht einfach drei Projekte. Bei der Bildung sparen wir auf keinen Fall. Es darf auch kein Jahr wie 2004 mehr geben mit diesem Kahlschlag im Sozialbereich, den wir damals erlebten. Wir setzen deshalb nicht einfach auf drei platte Sparvorschläge, sondern eher auf eine Art grundlegenden Dreiklang: Sparen ist das eine, dann müssen wir die Einnahmen verbessern, und wenn alles nichts hilft, dann muss man über neue Schulden nachdenken. Aber das muss wirklich die letzte Möglichkeit sein.

Die Grünen haben sich als Landesbank-Aufklärer hervorgetan. Honoriert der Wähler das?

Ich glaube schon. Über Jahre lag die Kompetenz der CSU gerade bei den Themen Wirtschaft und Finanzen. Jeder dachte, mit der CSU ist man in dem Bereich auf der sicheren Seite. Jetzt erleben wir das Gegenteil, die totale Auflösung. Die haben da Milliarden versenkt."

Mütze gilt heute als der Haushaltsexperte seiner Partei - ein Titel, den er sich hart erarbeitet hat. Er ist kein Charismatiker wie Daxenberger. Auch kein Polemiker wie sein Vorvorgänger Sepp Dürr. Mütze beschreibt sich als sachlich und nicht extrem. Zum Stürmer hat er allerdings nicht unbedingt das Zeug, das weiß er aus der Zeit als Fußballer beim BSC Schweinheim. Vier Tore in sechs Jahren. Das war mager. Heute lacht er drüber. Aber ein gutes Team, auch das weiß er vom Sportplatz, braucht nicht nur Stürmer. Sie braucht auch einen Kapitän.

© SZ vom 08.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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