Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme":Sekten-Aufstand im Landtag

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Privatunterricht bei den "Zwölf Stämmen" (Archivbild). Wenn die Kinder nicht gehorchen, gibt es schon mal einen "Klaps" - mit der Rute. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die Abgeordneten im bayerischen Landtag debattieren über den Umgang mit der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme". Warum haben die Behörden so lange gezögert, bis sie eingegriffen haben? Plötzlich springt ein Vater auf und schreit herum. Die Geschichte eines Eklats.

Von Frank Müller

Nach einer guten Stunde platzt Carsten Hennigfeld dann einfach der Kragen. Lange saß er still mit seiner Frau in der letzten Reihe des Sitzungssaals im Landtag, hat zugehört, was die Politiker im Sozialausschuss über ihn und seine Glaubensbrüder von den Zwölf Stämmen gesagt haben. Dass sie gegen das Recht verstoßen, weil sie ihre Kinder schlagen. Dass sie schlechte Eltern sind. Dass der Staat ihre Kinder vor ihnen schützen muss.

Dann steht er auf, es bricht aus ihm heraus und er ruft einfach in die Debatte hinein. Die Politiker hätten doch keine Ahnung, wie es ist, wenn einem die Kinder weggenommen werden. Der Eklat ist da. Die Abgeordneten drohen Hennigfeld mit der Polizei. Er fügt sich und geht raus. Kein Parlament, das auf sich hält, kann sich solche Szenen bieten lassen - da sind sich alle Fraktionen einig.

Vor dem Sitzungssaal geht es dann weiter. Die Hennigfelds sind nicht alleine, auch andere Sektenmitglieder stehen draußen. Es gibt Interviews. Hennigfeld leugnet die Schläge für die Kinder gar nicht, er nennt es einen "Klaps", was er und seine Frau Britta den Kindern zufügen.

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Ein Kommentar von Ulrike Heidenreich

Journalisten erklären, was sie unter einem Klaps verstehen. Es ist nicht das, was Hennigfeld meint. "Das ist eine ganz dünne, flexible Rute." Er zieht die Hände vielleicht 30 Zentimeter auseinander, um deren Länge anzuzeigen. Für ihn ist das keine Gewalt. "Ich hab meinen Sohn, meine Kinder, nie geschlagen", sagt er und fügt gleich hinzu. "Das tut kurz weh, das ist richtig. Aber das ist nicht systematisch." Und außerdem stehe es ja in der Bibel, in Sprüche 13, Vers 24. "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten." Der junge Vater ist ungerührt. "Der Schöpfer aller Dinge wird schon wissen warum." Seine Frau Britta weint, weil die Kinder leiden. Nicht unter der Rute, sondern unter der Trennung.

Schläge als Währung für Liebe?

Nur zwei Meter entfernt steht Margarete Bause, die Fraktionschefin der Grünen. Sie ist die schärfste Kritikerin der Behörden in dem Fall, gerade hat sie ihnen während der Sitzung wieder Vorwürfe gemacht, warum sie so spät eingeschritten seien gegen die Sekte. Jetzt steht sie da und hört mit einer Mischung aus Faszination und Fassungslosigkeit den Hennigfelds zu. Bause ist selbst Mutter, sie kann es nicht glauben, wie jemand über Schläge spricht, als wäre es Liebe.

Die Hennigfelds erzählen, was für fröhliche Kinder die dreijährige Shalomah und der acht Jahre alte Shama sind. Beziehungsweise waren. Nun, nachdem die Behörden im September sie und 38 weitere Kinder aus den Familien genommen haben, seien sie traurig und voller Angst. Die Eltern dürfen ihre Kinder nur unter Aufsicht sehen. Dass es mittelbar ihre eigene Schuld sein könnte, kommt den beiden nicht in den Sinn. Sie machen dem Jugendamt und den Ordnungsbehörden Vorwürfe. Diese hätten die Kinder weggenommen, ohne Kontakt mit ihnen, den Eltern, aufgenommen zu haben, sagen beide. Überprüfen lässt sich das nicht.

Drinnen, im Sitzungssaal, haben sich die Ämter die ganze Zeit für den gegenteiligen Vorwurf rechtfertigen müssen. Warum sie erst gar nicht und dann viel zu spät eingeschritten seien. Schon 2003 habe es schließlich Hinweise auf Gewalt in den Familien gegeben, sagt Margarete Bause empört.

Eine "massive Katastrophe" für die Kinder

"Man muss unterscheiden zwischen Hinweisen und Beweisen", kontert Bernhard Butz vom Kultusministerium. Sein Kollege Josef Ziller vom Sozialministerium legt großen Wert darauf, unter welch engen Grenzen Jugendämter in Familien einschreiten dürfen. Wie kompliziert die Lage sei, zeige sich auch daran, dass gerade erst das Oberlandesgericht einem Elternpaar wieder das Aufenthaltsrecht für den Sohn zugesprochen habe.

Doch richtig wohl damit, wie der Staat und die Sekte miteinander umgehen, ist niemandem. Ruth Waldmann (SPD) nennt es eine "massive Katastrophe", was den Kindern zugestoßen ist. "Da ist eine Gruppe von Leuten, die verdreschen regelmäßig kleine Kinder, da müsste man sich eigentlich vorstellen, dass es in den zuständigen Stellen kein wichtigeres Thema gibt."

Moderater gibt sich die CSU. Man müsse jeden einzelnen Fall für sich betrachten, sagt Ausschusschef Joachim Unterländer. Und Eva Gottstein von den Freien Wählern, die selbst Lehrerin war, sagt nachdenklich, es handele sich um Kinder, "die von ihren Eltern geliebt werden und die auch ihre Eltern lieben".

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Von Sabine Pusch und Charlotte Theile

Nur die Kinder selbst, sie können nichts sagen an diesem Tag.

© SZ vom 24.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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